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Merkel spricht Machtwort – Das ist die Corona-Notbremse

Für einige deutsche Bundesländer sind Corona-Schutzmaßnahmen Auslegungssache. Jetzt spricht Berlin ein Machtwort – mit einem bundesweiten Rahmen.

13.04.2021, 19:09
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Jetzt spricht Berlin ein Machtwort – mit einem bundesweiten Rahmen.
Nicolas Armer / dpa / picturedesk.com

In der dritten Welle hat Deutschland dem unübersichtlichen Flickenteppich bei den Corona-Regeln den Kampf angesagt. Künftig soll es bundesweit einen verbindlichen Rahmen für Lockdown oder Lockerungen geben. Und auch wenn die Bundesländer damit an Macht einbüßten – dies sei ein Paradigmenwechsel im Kampf gegen die Pandemie, notieren Beobachter.

Hintergrund ist die Zuspitzung der Pandemie auch in Deutschland: Das Robert Koch-Institut meldet 10.810 neue Corona-Infektionen, die Sieben-Tage-Inzidenz steigt auf 140,9. Seit Wochen warnen Intensivmediziner wieder vor einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems.

 Was?

Die deutsche Regierung will in Zeiten der Pandemie eine bundeseinheitliche Notbremse ziehen können, wenn regional die Inzidenzwerte hochschnellen. Die dafür nötige Änderung im Infektionsschutzgesetz hat das Kabinett jetzt beschlossen. Am Freitag soll der Bundestag, kommende Woche der Bundesrat folgen.

Die Vorlage soll zeitlich begrenzt gelten – für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag. Das ist derzeit der 30. Juni.

 Warum?

Die bundesweit einheitliche Notbremse sei "überfällig", so Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Bevölkerung habe zwar Verständnis für regional unterschiedliche Maßnahmen, doch Unklarheiten darüber, "was wann wo" gelte, seien mit der neuen gesetzlichen Regelung vorbei, so die Kanzlerin. Die geplante Neuregelung erlaube ein "stringenteres und konsequenteres" Vorgehen in der Pandemiebekämpfung und habe zum Ziel, "unser ganzes Land aus dieser Phase der stetig steigenden Infektionszahlen, der sich füllenden Intensivstationen und der bestürzend hohen täglichen Zahl der Corona-Toten herauszuführen".

 Ab wann?

Die Änderungen im Gesetz zum Infektionsschutz sehen vor, dass die Maßnahmen der Notbremse automatisch gelten, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt die 7-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 100 liegt. Das bedeutet, dass binnen einer Woche mehr als 100 Neuinfizierte auf 100.000 Einwohner kommen.

 Was gilt in dem Fall alles?

Ausgangssperre: Dann soll zwischen 21 Uhr und 5 Uhr morgens eine nächtliche Ausgangssperre gelten. Wenige Ausnahmen gelten etwa bei der Berufsausübung und für die "Abwendung einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum", insbesondere Besuche beim Arzt oder Tierarzt in Notfällen. Auch die "Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts und die unaufschiebbare Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen" zählen dazu.

Treffen: Die Angehörigen eines Haushalts dürfen sich privat oder öffentlich nur noch mit einem weiteren Menschen treffen. Maximal dürfen fünf Menschen zusammenkommen, Kinder unter 14 Jahren werden dabei nicht mitgerechnet.

Ladenschließungen: Geschäfte, die nicht dem täglichen Bedarf dienen, müssen wieder schließen. Öffnen dürfen im Zuge der Notbremse nur noch Geschäfte des Lebensmittelhandels, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Stellen des Zeitungsverkaufs, Buchhandlungen, Blumenfachgeschäfte, Tierbedarfsmärkte, Futtermittelmärkte und Gartenmärkte. Dabei müssen strenge Auflagen eingehalten werden.

Schulen: Schüler und Lehrer müssen sich im Präsenzunterricht zweimal pro Woche testen lassen. Bei einem Inzidenzwert von über 200 gibt es keinen Präsenzunterricht mehr. Ausnahmen für Abschlussklassen und Förderschulen sind möglich. Die Bremse gilt auch für Kitas, wobei die Bundesländer aber Notbetreuung ermöglichen können.

Kultur und Freizeit: Die Öffnung von Kultur- und Freizeiteinrichtungen wie Theatern, Museen oder Zoos wird untersagt, ebenso wie Übernachtungsangebote zu touristischen Zwecken.

Reaktionen

Für das Vorhaben, in der Pandemie-Bekämpfung mehr Kompetenzen auf den Bund zu verlagern, gibt es grundsätzlich breite Zustimmung. Ein Hauptkritikpunkt einiger Bundesländer und der Opposition ist allerdings die alleinige Orientierung an Inzidenzwerten und vor allem die geplante bundesweite Ausgangssperre.

Die FDP etwa hält die Maßnahme für verfassungsmäßig fragwürdig, und FDP-Chef Christian Lindner zog die Sinnhaftigkeit des Gesetzes grundsätzlich in Zweifel. "Dieses Bundesgesetz hätte man nicht gebraucht", sagte er. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich geht nach eigenen Angaben davon aus, dass "an der einen oder anderen Stelle Verbesserungen einfließen werden".

Ablehnung kam auch von den Linken. Mit ihr seien "Ausgangssperren nicht zu machen", sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt unterstützte die Neuregelung dagegen grundsätzlich. Sie bezeichnete jedoch die von der Regierung geplante Regelung als "Notbehelf", notwendig sei hingegen ein "bundesweiter Stufenplan", der neben Schutzmaßnahmen auch Öffnungsperspektiven enthalte.

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    Sabine Hertel, Google Maps, zVg