Politik

Werden Russland brauchen: Schallenberg spricht Klartext

Außenminister Alexander Schallenberg sagt zu "Heute": "Russland wird nicht von der Landkarte verschwinden." SP-Chef Babler kritisiert er scharf.

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    "Heute" besuchte am Mittwoch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in seinem Büro am Minoritenplatz.
    "Heute" besuchte am Mittwoch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in seinem Büro am Minoritenplatz.
    Sabine Hertel

    Außenministerium am Minoritenplatz, der Hausherr sitzt in seinem Büro im ersten Stock. Über der Couch für Besucher hängt ein Werk des Südtiroler Künstlers Klaus Pobitzer, das Tiroler Gebirgsschützen zeigt. "Ich mag das Bild sehr, es begleitet mich auf all meinen Stationen und ist das einzige hier, das ich selbst gekauft habe. Der Rest sind Leihgaben vom Belvedere", sagt Alexander Schallenberg beim "Heute"-Interview. Nachsatz: "Ich habe es damals auch mit ins Kanzleramt genommen." Womit wir gleich im Thema wären ...

    "Heute": Herr Außenminister, vor knapp zwei Jahren sagten Sie – damals noch als Bundeskanzler – im "Heute"-Interview: "Ich bleibe bis 2024 Kanzler." Wieso ist alles anders gekommen?
    Schallenberg: Was die letzten Jahre betrifft, muss ich sagen: Lebensplanung ist etwas für Anfänger. Ich habe das Amt damals nicht angestrebt, aber in einer schwierigen Situation Verantwortung für die Republik übernommen. Dass es dann anders gekommen ist, konnten wir alle mitverfolgen.

    Traurig, dass es anders gekommen ist?
    Im Gegenteil. Es ist gut, denn wir haben jetzt einen Bundeskanzler, der einen Top-Job macht und ich bin auch glücklich, wieder Außenminister sein zu können.

    Ich höre, dass Sie eine Reise im Herbst in den Irak führt?
    Ja, ich habe eine Reihe von spannenden Reisen vor mir – der Irak gehört dazu.

    Österreich eröffnet eine Botschaft in Bagdad. Mit welchem Ziel? Recht viele Österreicher leben dort nicht.
    Wir haben ja nicht nur Botschaften dort, wo viele Auslandsösterreicher leben. Als Außenministerium sind wir Teil der österreichischen Sicherheitsstruktur, denn Sicherheit beginnt nicht erst an der Landesgrenze. Der Irak ist ein Staat, dessen Stabilität uns am Herzen liegt – Stichwort Migration, Stichwort Sicherheit.

    Wird Österreich konsequent in den Irak abschieben? Ist ein entsprechendes Abkommen geplant?
    Wir haben mit dem Irak bereits eine Vereinbarung, das die Zusammenarbeit auf feste Beine stellt.

    Video: Interview mit Alexander Schallenberg

    Werden Sie zur UNO-Vollversammlung im September wieder gemeinsam mit dem Kanzler reisen oder führen der Bundespräsident und Sie heuer alleine die Geschäfte in New York?
    Ob der Bundeskanzler nach New York kommt, wird er zeitgerecht bekanntgeben. Der Bundespräsident wird jedenfalls vor Ort sein. Aber es ist ohnedies Usus, dass der Außenminister für Österreich die Rede hält. Ich habe viele Termine geplant, etwa mit Indien, Israel, den Philippinen. Wenn man die Nachrichten verfolgt, sieht man, dass es enorm viel Gesprächsbedarf gibt. Es wird eine sehr intensive Woche des internationalen Speed-Datings (lacht).

    Seit eineinhalb Jahren herrscht in Europa Krieg, die Konsequenzen – Stichwort Inflation – sind für alle spürbar. Was sagen Sie den Österreichern, die sich eine Rückkehr zur "alten Normalität" wünschen?
    Man muss schon bei der Fragestellung aufpassen. Die Inflation ist nicht erst durch den Angriff Russlands auf die Ukraine entstanden. Da darf man nicht dem russischen Narrativ auf den Leim gehen. Ich erinnere daran, dass es schon Ende 2021 einen extrem hohen Gaspreis gab. Ja, der Krieg war ein Brandbeschleuniger, genauso wie zuvor die Pandemie.

    "30 Jahre Urlaub von der Geschichte sind vorbei."

    Trotzdem spüren wir auch hier die Konsequenzen des Kriegs.
    Für jene, die sagen, sie hätten gerne eine Rückkehr zum "Status quo ante", habe ich leider Gottes eine schlechte Nachricht: Die wird es nicht geben. Was wir am 24. Februar erlebt haben, ist ein geostrategischer Eiskübel, den wir ins Gesicht geschüttet bekommen haben. Wir sind wieder dort, wo wir in früheren Jahrzehnten waren: Krieg auf europäischem Boden. Ich habe einmal etwas überspitzt formuliert: 30 Jahre Urlaub von der Geschichte sind vorbei.

    Laut neuester Umfrage eines Linzer Marktforschungsinstituts sind nur 42 Prozent der Österreicher der Meinung, dass die Ukraine weiterkämpfen soll. Bereitet Ihnen diese mangelnde Unterstützung im Land Sorgen?
    Nein, überhaupt nicht. Im Grunde genommen ist es völlig legitim, wir alle wollen wieder Frieden. Am allermeisten die Menschen in der Ukraine. Doch nur Putin hat es in der Hand. Er hat den Krieg vom Zaun gebrochen. Wenn er morgen beschließt: 'Wir beenden die Invasion', dann ist der Krieg zu Ende. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, dann ist die Ukraine zu Ende.

    Aber es ist doch völlig unrealistisch, dass die Ukraine alle Gebiete – wie etwa die Krim – zurückgewinnen kann.
    Man stelle sich nur vor, das Burgenland und die Südsteiermark wären besetzt und jemand hätte versucht, mit Fallschirmtruppen die Bundesregierung auszulöschen. Und dann wird uns gesagt: "Geh bitte, liebe Österreicher, jetzt macht’s doch endlich Frieden." Das wäre kein gerechter Frieden. Daher sage ich: Es kann keine Verhandlungen geben über die Ukraine ohne die Ukraine.

    Was sagen Sie jetzt aber den Menschen, die sagen, die Ukraine solle aufhören zu kämpfen?
    Wie ich gesagt habe, es ist völlig legitim für Frieden einzutreten. Nur: Wenn die Ukrainer aufhören sich zu verteidigen, wird es ja keinen Frieden geben. Die Russen werden einfach weiter angreifen und dieses Land einnehmen. Also ja zu Frieden, aber es muss ein "echter" sein.

    Haben Sie noch Gesprächskanäle nach Russland?
    Wir haben eine Botschaft in Moskau, die Russen haben eine Botschaft in Österreich. Aber auf politischer Ebene habe ich mit Außenminister Lawrow keinen Kontakt.

    "Wir werden Russland brauchen. Ghosten geht auf Twitter, nicht aber in der realen Welt."

    Warum hat Österreich nie – und sei es als Symbol – die Botschaft in Moskau geschlossen?
    Ich hielte das für den falschen Zugang. Die Botschaften vor Ort sind unsere Augen und Ohren in der Welt. Wenn wir sie jetzt schließen, würden wir die dort lebenden Auslandsösterreicher sich selbst überlassen. Ich glaube – gerade in Krisenzeiten – braucht es eine Außenstelle und ich halte nichts von Abbruch von diplomatischen Beziehungen.

    Es ist also auch in Ordnung, dass der russische Außenminister eine Bühne bei der UNO-Vollversammlung geboten bekommt?
    Ja. Wir können ja nicht nur mit der Schweiz und Liechtenstein zusammenarbeiten. Die Welt ist nicht schwarz-weiß. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Wir werden Russland brauchen, wir werden China brauchen. Denken wir nur an den Kampf gegen den Klimawandel. Genauso, wie wir Plattformen wie die UNO oder die OSZE brauchen – das waren nie Klubs von Gleichgesinnten. Das war auf gut Wienerisch immer super zach.

    In einem ZiB2-Interview forderten Sie, man solle zwischen Putin, seinen Schergen und 144 Millionen Russen unterscheiden. Heißt das, dass man im Falle einer Machtübernahme durch jemand anderen wieder "Business as usual" machen könne?
    Business as usual sicher nicht. Aber bei aller verständlichen Emotionalität müssen wir Augenmaß und Pragmatismus bewahren. Russland wird nicht von der Landkarte verschwinden, es wird der größte geografische Nachbar Europas bleiben. Wir dürfen nicht den Fehler begehen, dass wir uns die Welt zurechtbiegen und dem Wunschdenken verfallen, indem wir Länder wie China, Russland oder andere Staaten, "ghosten" und "canceln". Das geht vielleicht auf Twitter, aber nicht in der realen Welt.

    "Vor Andreas Babler liegt noch eine große Lernkurve."

    Kommen wir nach Österreich: Der neue SPÖ-Parteivorsitzende Andreas Babler sagte im ORF-Sommergespräch, eine Stimme für die ÖVP sei eine Stimme für Herbert Kickl. Ihre Partei bezeichnete er als "radikalisiert". Ist die SPÖ für Sie überhaupt noch ein möglicher Koalitionspartner?
    Ich finde die völlig absurden Äußerungen vom neuen Chef der SPÖ doch bemerkenswert. Nicht nur in dieser Frage, sondern auch, was die Europäische Union anlangt. Ich glaube, da liegt noch eine große Lernkurve vor ihm. Das Bollwerk gegen Herbert Kickl ist die ÖVP. Und es ist die ÖVP, die klar macht, dass Kickl ein Sicherheitsrisiko für dieses Land ist.

    Was halten Sie von einer Erbschaftssteuer?
    Rein gar nichts.

    Das war deutlich.
    Man darf nicht vergessen: Dieses Vermögen ist vom Staat zuvor schon wiederholt besteuert worden. Da gibt es die Einkommenssteuer, die Kapitalertragssteuer, die Umsatzsteuer.

    Die SPÖ argumentiert damit, dass Erben keine Leistung sei.
    Das ist ein sehr sozialdemokratisches Denken: Wir nehmen mal allen alles weg und dann entscheidet Vater Staat, wer was davon bekommt. Das hat sich schon im Kommunismus als nicht sehr sinnvoll erwiesen.

    Sie betonten bereits mehrfach, eine von FPÖ-Chef Kickl angeführte Regierung abzulehnen. Wie glaubwürdig sind solche Statements? In NÖ und Salzburg regiert die ÖVP mit den Blauen ...
    Wir stehen ein Jahr vor der nächsten Wahl. Ich sage immer gerne: Umfragen sind wie Parfum – man soll daran riechen, aber nicht davon trinken. In Österreich habe ich manchmal das Gefühl: Wir trinken das Zeug in sehr großen Schlucken. Wir tun immer so, als wären Umfragen das amtliche Wahlergebnis. Ich würde hier mal die Kirche im Dorf lassen.

    Herr Minister, die ÖVP liegt aber wirklich in allen (!) Umfragen meilenweit hinter der FPÖ.
    Ich kann Ihnen versprechen: Wir werden mit aller Kraft daran arbeiten, dass die ÖVP als Erste über die Ziellinie kommt und Karl Nehammer den Regierungsauftrag erhält. Die ÖVP hat eine ganz klare Linie gegenüber Herbert Kickl. Natürlich hätte ich mir auf Länderebene bessere Ergebnisse gewünscht.

    "Politik ist immer ein Kompromiss."

    In Niederösterreich hätten Sie dennoch andere Optionen als die Landbauer-FPÖ gehabt.
    Die SPÖ in Niederösterreich hat sich selber ins Nirvana geschossen, indem sie Forderungen gestellt hat, die nicht mal auf Bundesebene erhoben werden. Da muss ich wirklich auch an das Verantwortungsbewusstsein der SPÖ appellieren.

    Werfen Sie der SPÖ jetzt Verantwortungslosigkeit vor?
    Sie hätte, wenn sie bereit dazu gewesen wäre, Verantwortung in Niederösterreich übernehmen können. Politik ist immer ein Kompromiss, aber wenn von Anfang an Forderungen gestellt werden, die nicht einmal von der eigenen Bundespartei mitgetragen werden, weil sie so übertrieben sind, dann ist das nicht gerade ein Zeichen dafür, dass man Interesse an ernsthafter Regierungsarbeit hat. Insofern mache ich ihnen einen Vorwurf, ja.

    Gehen wir jetzt mal davon aus, die ÖVP gewinnt die Nationalratswahl. Würden Sie dann als Außenminister weiterhin zur Verfügung stehen?
    Als Politiker darf man kein Sesselkleber sein. Ich übe ein Amt aus, das ich auf Zeit geliehen bekommen habe und nach bestem Wissen und Gewissen erfülle. Ich habe für mich eine klare Linie definiert, unter welchen Umständen ich keinesfalls zur Verfügung stehe.

    Und die wäre?
    Ein Regierungschef Kickl ist für mich unvorstellbar. Dann heißt der Außenminister zu 100 Prozent nicht Alexander Schallenberg. Aber auch ein Minister Kickl ist für mich ein Gedanke, der mir nicht geheuer ist.

    Können Sie sich einen Job in Brüssel vorstellen?
    Nein, das schreiben nur die Zeitungen. Papier ist geduldig (lacht).

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      TOBIAS SCHWARZ / AFP / picturedesk.com