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"Als Autorin kann ich gar nicht unpolitisch sein"

Heute Redaktion
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Die Autorin Raphaela Edelbauer ist mit ihrem Debütroman "Das flüssige Land" für den Deutschen und den Österreichischen Buchpreis nominiert. Wir haben die Wienerin vorab zum Interview getroffen.

Auf ihrem Instagram-Profil beschreibt sie sich selbst als Nobelpreisgewinnerin 2045. Ist das größenwahnsinnig? Vielleicht. Doch Raphaela Edelbauer mischt derzeit die Literaturszene auf wie keine andere.

Aufgewachsen in Hinterbrühl (Niederösterreich), studierte die Autorin nach ihrer Matura Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Für ihre erste Publikation "Entdecker. Eine Poetik" erhielt sie 2018 den Rauriser Literaturpreis.

Ein Ort, der nicht gefunden werden will

Ihr Aufstieg ging rasant weiter. Im selben Jahr war Edelbauer beim Bachmannpreis in Klagenfurt zu Gast, wo sie den Publikumspreis gewann. Anhand dieser Vorgeschichte wurde ihr Debütroman "Das flüssige Land" von den Kritikern mit Spannung erwartet.

Worum geht es: Ruth Schwarz ist Physikerin und schreibt gerade an ihrer Habilitation. Der Unfalltod ihrer Eltern stellt ihr Leben komplett auf den Kopf. Ihr letzter Wunsch war es, im Ort ihrer Kindheit begraben zu werden. Doch Groß-Einland ist nicht einmal auf der Landkarte zu finden.

Als Ruth nach längerer Suche endlich in der Gemeinde eintrifft, stößt sie nicht nur auf seltsame Charaktere. Unter dem Ort verbirgt sich ein riesiger Hohlraum, der nach und nach die Stadt zu verschlucken scheint. Als die Physikerin Nachforschungen anstellt und die Verwicklungen Groß-Einlands zur Zeit des Nationalsozialismus untersucht, bekommt sie den Widerstand der Bewohner und der einflussreichen Gräfin, welche die Geschicke der Gemeinde steuert, zu spüren.

Chance auf Double

Mit ihrem Debütroman ist der 29-jährigen Autorin eine abgründige Parabel auf Österreich und den Umgang mit der NS-Vergangenheit gelungen. Das Werk steht nicht nur beim Deutschen Buchpreis, sondern auch beim Österreichischen Buchpreis auf der Shortlist, "Heute.at" berichtete.

Es wäre ein Sensationssieg, wenn sich die Wienerin gleich beide Auszeichnungen holen könnte. Die erste Verleihung findet am 14. Oktober in Frankfurt statt, der Österreichische Buchpreis wird am 4. November in Wien vergeben.

Wir haben die Wienerin im "Kaffee Alt Wien" vorab zum Interview getroffen und mit ihr über den Roman, Heimat, das Literatur-Business und die österreichische Politik gesprochen.

Wie entstand die Idee zum Roman „Das flüssige Land"?

Raphaela Edelbauer: Ich stamme aus Hinterbrühl, einer Vorstadt von Wien, wo es ja bekanntlich diese Touristenattraktion, die Seegrotte, gibt. Ich habe erst sehr spät erfahren, dass es dort eine Nebenstelle des KZ Mauthausen gab. Als die türkis-blaue Regierung 2017 angelobt wurde, habe ich bemerkt, dass sehr viele Sachen in der Vergangenheit unaufgearbeitet sind. Das hat mich fasziniert und dazu wollte ich ein Buch schreiben.

Welche Parallelen gibt es zwischen Hinterbrühl und Groß-Einland?

In Groß-Einland fließen mehrere österreichische Ortschaften hinein. Neben Hinterbrühl dienten auch noch Melk, Attnang- Puchheim und Kirchberg am Wechsel als Vorbilder. Ich habe versucht, eine Montage aus diesen Orten zu machen, die sich zu einer Gemeinde vereinen, die für Österreich stellvertretend stehen kann, wo sich jeder wiederfinden kann, aber nichts zu deutlich ist.

Gibt es auch Parallelen zu den Charakteren aus der realen Welt?

Also der Bürgermeister in Hinterbrühl ist ganz anders (lacht). Der ist schon sehr interessiert daran, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Aber es sind tatsächlich einige Nebencharaktere aus der Hinterbrühl entnommen. Das liegt aber daran, dass ich dort aufgewachsen bin und es gut kenne. Und einige Anekdoten musste ich einfach einbauen. Viele Charaktere sind einfach bestimmte Typen. Im Heimatfilm gibt es ja den "klassischen Trunkenbold", der ständig nur im Wirtshaus sitzt. Es spielt schon sehr mit Klischees.

Dieses Loch, das in Groß-Einland unter der Erde klafft, ist ebenfalls eine Metapher für die verdrängte NS-Vergangenheit.

Es gibt ja in der Hinterbrühl und in Gießhübel auch Einsenkungen, man weiß nicht genau woran das liegt. Das ist ein echt reales Problem und eine schöne Metapher für dieses Buch. Man hat ja sogar letztens erst ein unterirdisches KZ gefunden. Es hat viele reale Anteile, die schockierend echt sind. Die Realität ist immer noch ärger als das Absurde. In der österreichischen Literatur gibt es ja oft dieses Motiv, wo etwas im Boden verscharrt ist und dann durch Umwelteinflüsse oder das Wetter nach oben gelangt. Die Natur spuckt das wieder aus, wovon die Menschen sich wünschen, dass es verborgen bleibt.

Mit diesem Roman setzt du die Tradition von Elfriede Jelinek und Co. fort.

Es wird ja als Antiheimat-Roman bezeichnet und das ist es auch. Ich nehme bewusst Klischees aus Heimatfilmen und überspitze sie dann und mache es komplett wahnsinnig. In Heimatfilmen ist die Natur immer wunderschön, die Alpen sind ganz toll und alle leben glücklich auf ihrer Alm mit fröhlichen Sennerinnen. Bei mir ist es so, dass sich die Natur zum Grauenhaften wandelt und plötzlich einbricht und sich gegen die Menschen stellt.

Es steckt auch viel Kafkaeskes bzw. Absurdes in dem Buch – Woher kommt die Faszination dafür?

Ich mag Kafka sehr gerne. Dieser Vergleich ist durchaus schmeichelhaft. Fritz Ostermayer, der Leiter der Schule für Dichtung und Gründer von FM4, hat vor kurzem gesagt, er glaubt, dass große Literatur immer lustig bzw. absurd ist. Und das sehe ich auch so. Das Leben ist einfach absurd. Am Anfang wundert sich Ruth noch über die Skurrilitäten, nach einiger Zeit nimmt sie sie einfach hin.

Ruth lässt sich sehr von dieser Gemeinde vereinnahmen und fängt an, für die Gräfin zu arbeiten. Du zeigst damit, dass es jedem passieren kann, in derartige Machtverhältnisse zu gelangen.

Mir war es wichtig, dass sie nicht als urbane Städterin dorthin kommt und meint, das Dorf ist so bescheuert. Das hätte ich nicht gut gefunden. Jeder hat diese Mechanismen in sich, jeder sehnt sich nach einer Heimat und das macht uns anfällig für solche Ideologien. Es ist ja ziemlich ersichtlich, dass ich eher links eingestellt bin und damit auch Kritik an der vorigen Bundesregierung übe.

Was bedeutet Heimat für dich?

Mit dem Heimatbegriff der vorigen Bundesregierung bin ich keinesfalls einverstanden. Da hieß es immer: "Wir sind Österreicher, uns gehört diese Natur und wir teilen sie nicht. Das ist unsere Heimat." In Wirklichkeit können wir uns unendlich glücklich schätzen, dass wir ein sicheres Heimatland haben. Das ist die Form von Wertschätzung, die man mit anderen teilen kann und die möchte ich auch anderen Menschen zugänglich machen, die nicht dieses Glück hatten. Das wäre mein positiver Heimatbegriff. Heimat ist für mich nicht unbedingt an ein Land gebunden. Für mich bedeutet Heimat aber vielmehr literarische Heimat. Ich sehe mich als österreichische Literatin und bin sehr stolz in dieser Tradition zu stehen, aber diese Tradition heißt auch Österreich als Heimat zu kritisieren, was auch eine paradoxe Situation ist.

Wie politisch muss Literatur sein?

Nicht unbedingt tagespolitisch, aber als Autorin kann ich gar nicht unpolitisch sein. Selbst wenn du einen Familienroman schreibst, wo es um private Dinge geht, dann zeichnest du ein bestimmtes Bild von Familie und Einstellungen, die die jeweiligen Personen haben. Als Schriftstellerin bin ich mir bewusst, politisch zu sein. Du stehst in der Öffentlichkeit und machst ein öffentliches Statement und ich finde es klug, das mitzubedenken. In meinem nächsten Roman "DAVE" geht es um künstliche Intelligenz. Das scheint mal nicht politisch zu sein. Aber die Frage "Ersetzen wir Menschen durch Maschinen?" ist eine extrem politische Frage.

Kannst du schon ein bisschen mehr zu deinem nächsten Roman verraten?

Naja, ich bin schon fast fertig und habe bereits 130 A4-Seiten geschrieben. Das sind ca. 260 Buchseiten. Es wird wieder bei Klett-Cotta erscheinen. Es geht um künstliche Intelligenz und spielt in einem Labor. Der Protagonist ist diesmal männlich und ein Programmierer.

Wie funktioniert das Literatur-Business?

Ich habe eine Agentur, die sich um alles Vertragliche kümmert. Die vermittelt meine Manuskripte, kümmert sich um die Hörbücher oder Filmrechte. In einer Firma gibt es ja auch immer jemanden, der die Buchhaltung macht. Wir haben auch schon total viele Anfragen für eine Verfilmung. Ich wüsste ja überhaupt nicht, wie ich das verhandeln sollte. Meine Agentin hat dann das Manuskript rausgeschickt und dann kam es zu einer Auktion, wo Verlage geboten haben. Im Endeffekt habe ich mir dann Klett-Cotta ausgesucht. Im Verlag gibt's dann noch meine Lektorin und zwei weitere Mitarbeiterinnen, die sich um die Presse kümmern und meine Lesungen organisieren. Es ist mittlerweile schon ein recht großes Team.

Die Übersetzung auf Englisch ist ja auch schon fix. Wie kam das zustande?

Bei einem der Verlage, der sich auch für das Manuskript interessiert hat, gab es eine Lektorin, die ein absoluter Fan war. Und diese Lektorin hat dann die Branche gewechselt und ist jetzt Headhunterin für englische Verlage und wollte unbedingt mein Buch vermitteln. So ist es jetzt gekommen. Ich habe auch schon das erste Kapitel erhalten und freue mich total. Das ist eine große Ehre.

Planst du auch eine Lese-Tour im englischsprachigen Raum?

Ich bin im Dezember in London mit dem Buch zu Gast. In Südafrika hab ich auch eine Lesung. Ich könnte mir schon eine größere Tour vorstellen.

Wer sind deine literarischen Vorbilder? Welche/r Autorin hat dich besonders inspiriert?

Der größte Einfluss kommt sicher von Elfriede Jelinek, aber ich habe auch andere Vorbilder in der österreichischen Literatur. Es gab z.B. eine Avantgarde-Vereinigung in den 1950er-Jahren, genannt "Die Wiener Gruppe", die haben mich immer sehr interessiert. Ich finde Thomas Bernhard ganz toll oder den frühen Handke.

Du hast auch als Journalistin gearbeitet – War für dich dennoch immer klar, dass du Schriftstellerin werden möchtest?

Ja, immer. Ich schreibe täglich, seit ich 15 bin. Als ich etwa 10 Jahre alt war, habe ich mit meiner Familie in Portugal Urlaub gemacht und jeder hat sich ein Schild für die Tür gekauft. Auf meinem stand "Escritora", also Portugiesisch für Schriftstellerin.

Wie hast du deine Liebe zum Schreiben bzw. zur Sprache entdeckt?

Ich konnte schon sehr früh schreiben. Als wir den ersten Text in der Volksschule geschrieben haben, wo man so Sätze bildet wie "Momo sitzt am Dach" oder "Mimi ist im Baum" habe ich ein Gedicht über den Osterhasen, der die Eier vergessen hat, abgegeben. Die Lehrerin hat darunter geschrieben "Du bist ein Genie" und ich dachte, das sei ironisch gemeint und bin weinend nach Hause gegangen. Ich hab als Kind voll gerne Geschichten auf Kassette gesprochen, die sollte ich mal wiederfinden. Ich war ein großer Brezina-Fan und hatte schon immer eine blühende Fantasie (lacht).

Daniel Kehlmann und Wolf Haas behaupten ja, sie schreiben eine Seite pro Tag. Wie sieht so ein Schreibprozess bei dir aus? Wie entsteht ein Roman?

Also ich schreibe acht Stunden am Tag. Es gibt auch nie einen Tag, wo ich nicht schreibe. Schreibblockaden sind ein Fremdwort. Jeden Tag in der Früh fertige ich einen Arbeitsplan an. Darauf steht, was ich erreichen möchte und er enthält Kapitelzusammenfassungen. Abends mache ich dann meistens Recherche oder fülle Förderungsanträge aus. Für "Das flüssige Land" habe ich zwei Jahre gebraucht. Mein Ziel ist es, alle zwei Jahre ein Buch herauszubringen.

Die Kritiken fallen durchwegs positiv aus und du hast bereits mehrere Auszeichnungen erhalten. Was bedeuten dir diese Preise?

Das fragen mich alle. Also ich versuche mein Selbstwertgefühl nicht davon abhängig zu machen. Das ist ganz wichtig. Man muss sich immer vor Augen halten, das Buch ist vor einer Preisnominierung genauso gut. Wenn du als Fußballer aber schon dreimal die Champions League gewonnen hast, dann steigen deine Möglichkeiten und deine Sicherheit. Es ist für viele nicht einfach, vom Schreiben zu leben, das ist eine sehr exklusive Sache und ich bin sehr dankbar, dass es für mich funktioniert. Und da sind Preise einfach Gold wert. Auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis zu sein, ist für mich schon ein ganz großer Schritt, wenn man sich anschaut, wie viele Bücher veröffentlicht werden. Wenn ich da jetzt nicht gewinne, ist es kein Versagen.

Liest du alle Rezensionen über dich?

Keine einzige. Ich lese weder die guten noch die schlechten. Es sind nur Einzelmeinungen und sie hätten das Potential, mich fertig zu machen und das möchte ich nicht. Ich brauche die Energie auf anderen Seiten. Ich glaube, Kritiken sind eher für das Publikum gedacht.

Was liest du privat?

Ich lese viele philosophische Texte, aber auch naturwissenschaftliche Sachbücher. Mich interessieren Gothic-Novels. Ich habe auch Stephen King daheim und sicher alle Klassiker der Literatur. Ich schaue, dass ich aus unterschiedlichsten Genres Texteinflüsse finde und möchte dem Leser etwas Neues anbieten.

Was machst du, wenn du nicht gerade schreibst?

Sport. Meine große Leidenschaft ist das Rudern. Ich bin in einem Verein und mache auch Wettkämpfe. Ansonsten interessiere ich mich sehr für Sprachen. Momentan lerne ich gerade Arabisch. Einen Tag nichts tun, das gibt es bei mir nicht. Selbst wenn ich im Urlaub bin, mache ich mir Notizen, ich habe ja ständig Ideen (lacht).

Wo siehst du dich in zehn Jahren?

Das ist eine sehr wichtige Frage. Ich hoffe, ich habe vier weitere gute Bücher geschrieben und ich denke, es werden noch ein paar Preise dazukommen (lächelt).