Niederösterreich

Alarm! Ganzer Bezirk war stundenlang ohne Notarzt

Wie schlimm der Notarztmangel in NÖ sein soll, untermauert ein Brief von einigen Stützpunktleitern: Zu wenig Honorar und teils unbesetzte Stützpunkte.

Notarztwagen des Roten Kreuzes
Notarztwagen des Roten Kreuzes
Bild: Paul Plutsch (Symbol)

Der Präsident der nö. Ärztekammer, Dr. Harald Schlögel, hatte erst vor einer Woche Alarm geschlagen: "Leider läuft es in letzter Zeit nicht immer so, denn der nächstgelegene Stützpunkt ist immer öfter unbesetzt oder der diensthabende Notarzt ist bei einem anderen ärztlichen Notfall viele Kilometer entfernt im Einsatz. Wir sehen die Sicherheit und das Leben des Einzelnen bei einem medizinischen Notfall deutlich gefährdet." - alles dazu hier.

Mehr alte Ärzte

Grund für den Mangel an Notärzten ist laut Ärztekammer unter anderem das steigende Alter der Medizinerinnen und Mediziner, es würden viel mehr Ärzte in Pension gehen, als nachkommen. Und: Der erstmalige Zugang zum Notarztsystem für bereits berufsberechtigte Ärzte sei massiv erschwert worden. Die Bezahlung der Notärzte sei zudem viel zu gering.

"Mangel ist absurd"

Primar Dr. Helmut Trimmel, Leiter der Sektion Notfallmedizin der ÖGARI und Leiter der Wr. Neustädter Intensivstation sieht zwar nicht alles durch die rosarote Brille, teilt auch teilweise die Kritik, hält aber klar fest: "NÖ hat ein Problem mit der medizinischen Versorgung im Akutbereich. Aber nicht jeder Notfall ist ein Akutfall." Bei aktuell 32 bodengebundenen und bis zu 6 Notarzthubschraubern von einem Mangel zu sprechen, sei absurd. Richtig sei, dass die Bezahlung der Notärzte mit 55 Euro pro Stunde weder der Qualifikation noch der Verantwortung entspreche.

Falsch sei indes die Behauptung, dass die notärztliche Ausbildung nach Absolvierung der Ausbildung zum Allgemeinmediziner oder Facharzt drei Jahre an einer Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin erfordert. Im Gegenteil: seit der Ausbildungsreform können junge Kolleg*innen bereits 33 Monate nach ihrer Promotion zum Dr.med., also vor Abschluss ihrer Ausbildung zum Allgemeinmediziner oder Facharzt notärztlich tätig werden (früher: 36 Monate). Voraussetzung ist allerdings (und das ist neu), dass sie die wesentlichen Kompetenzen der Notfallversorgung schwerstkranker oder –verletzter Patienten, wie etwa die Behandlung von lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen, Narkoseeinleitung und Atemwegssicherung, Wiederbelebungsmaßnahmen etc. unter Anleitung von Fachärzten nachweislich erlernt haben und zumindest 20 Notarzteinsätze unter Supervision durch einen erfahrenen Notarzt absolviert haben müssen.

Viele Stornierungen und Frust

Ein Kernproblem, welches die niederösterreichische Notfallmedizin habe, sei eine überbordende Anzahl an nicht indizierten Einsätzen. So gäbe es Standorte, an denen in einem Drittel der Fälle der alarmierte Notarzt noch während der Anfahrt wieder storniert wird, und wo bei den verbleibenden 70% in mehr als der Hälfte ebenfalls keinerlei ärztliche Handlung notwendig ist. Dies frustriere natürlich engagierte Ärzte, die gerne zu Notfällen ausrücken, aber nicht als „akademischer Krankentransport“ eingesetzt werden wollen.

Nicht verhehlt werden dürfe laut Trimmel, dass es natürlich auch einer entsprechenden Qualifikation des Sanitätspersonals bedürfe: so dauert die Ausbildung eines Notfallsanitäters in Deutschland drei Jahre, und ist mittlerweile ein anerkanntes Berufsbild. In Österreich sei man davon noch weit entfernt. Viele Notfallsanis beklagen, dass sie gerichtlich nur als niedere Arbeiter angesehen werden würden - mehr dazu hier.

Brief von Stützpunktleitern

Wie dramatisch aber angeblich die Lage in NÖ ist, zeigt ein aktueller Brief von mehreren Stützpunktleitern: Darin werden Lücken in Dienstplänen beschrieben, die schlechte Bezahlung genannt. In Zeiten der Inflation spiele eine weite Anfahrt zum Dienstort sehr wohl eine Rolle bei Notärzten. Jetzt im August sei die Lage dramatisch, das viele Dienste nicht besetzt werden können. Tendenziell würde sich die Situation weiter verschlechtern, jedenfalls nicht von selbst bessern.

Ärzte in Schnupfenboxen oder Impfstraßen würden 150 Euro pro Stunde kassieren, das Honorar für Notärzte müsse auf mindestens 80 € pro Stunde angehoben werden. Auch die Politik wird von den Stützpunktleitern aufgefordert, zu handeln, insbesonders Gesundheitslandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SP).

NEF einfach unbesetzt

Am besten würde ein aktuelles Beispiel den Mangel skizzieren: "Vor kurzem hat der NEF Großenzersdorf eine 25-jährige polytraumatisierte Patientin nach einem Verkehrsunfall in Rutzendorf erfolgreich versorgt, kurz danach waren sowohl Großenzersdorf als auch Gänserndorf ohne Notarzt, so wie auch heute, morgen und am kommenden Wochenende....."

NÖ hat zwar 32 Stützpunkte, manche Regionen sind jedoch unterversorgt: Zum Beispiel die großen und auch bevölkerungsreichen Bezirke Gänserndorf haben mit Groß-Enzersdorf, Gänserndorf und Mistelbach nur drei Stützpunkte. Der Stützpunkt Hainburg würde zwar einen kleinen Teil mitabdecken, aber im nördlichen Weinviertel ist Mistelbach samt Spital der einzige Fels in der Brandung. Bei Unfällen kommt auch oft der C9 aus Wien zum Einsatz. Bei einem Notfall in Neusiedl an der Zaya oder Hohenau an der March oder einigen abgelegenen Gemeinden im Bezirk Gänserndorf könnte ein nichtbesetzter Notarztstützpunkt zum Wettlauf mit dem Tod werden.

Das sagt Landesrätin

Landesrätin Königsberger-Ludwig meint auf Nachfrage zur strittig-heiklen Thematik: „In Niederösterreich gibt es aktuell 32 NEF Stützpunkte, zudem werden Notarzthubschrauber und seit dem neuen Rettungsdienstgesetz auch die RTW-C eingesetzt, welche mit gut ausgebildeten NotfallsanitäterInnen besetzt sind. Auch wenn es leider immer wieder vorkommt, dass einzelne Stützpunkte stundenweise nicht besetzt werden können, ist die notärztliche Versorgung der NiederösterreicherInnen mit dem Angebot gewährleistet. Um dies auch in Zukunft garantieren zu können, gibt es derzeit laufend Gespräche mit den unterschiedlichen Akteuren, um einen Gesamtüberblick zu erhalten und die verschiedenen Anliegen von besserer Honorierung über Telemedizin bis hin zu den Ausbildungsstandards in die Weiterentwicklung des Notarztsystems einfließen zu lassen. Als erster Schritt wurde bereits ein Bundesländervergleich betreffend die Bezahlung eingeholt, der gezeigt hat, dass z.B. NÖ nicht am schlechtesten zahlt.“

Ein Notarzt, der anonym bleiben muss, dazu: "Dass NÖ nicht am schlechtesten zahlt, ist ein schwacher Trost und eine schwache Ansage - steht leider für vieles."