Schicksalstage in Blau-Schwarz! Der heutige Donnerstag könnte die Regierungsbildung neuerlich erschüttern. Die Positionen liegen am Tisch, doch die Fronten sind verhärtet und beide Seiten warten darauf, dass die jeweils andere einen Schritt auf sie zu macht.
Knackpunkte: die Ressorts Inneres, Finanzen und die Europa-Agenden. Sowohl FPÖ als auch ÖVP beanspruchen sie zwingend für sich. Herbert Kickl übergab eine entsprechende Liste seinem Verhandlungspartner Christian Stocker. Die ÖVP wies diese Aufteilung – wie von "Heute" berichtet – in der Sechserrunde entschieden zurück. Kickl gab jedoch nicht nach, bat seine Verhandlungspartner in sich zu gehen – eine Vorstandssitzung bei den Schwarzen folgte. Seither ruhen die Koalitionsgespräche und es wurde kein neuer Termin der Chefrunde mehr angesetzt.
Aus Sicherheitsbedenken will die ÖVP den Blauen nicht noch einmal das heikle Innenministerium mitsamt der Nachrichtendienste überlassen. Österreich drohe, von internationalen Informationen abgeschnitten zu werden. Verheerend, kamen doch Hinweise etwa zum Swift-Terroristen oder dem Hotel-Doppelmord stets aus dem Ausland. Die FPÖ wiederum besteht ihrerseits auf diese Agenden aufgrund der schwarzen Verfehlungen seit 2015 in Sachen Sicherheit und Asyl und bot der ÖVP einen Staatssekretär für die DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, Anm.) an.
Das Finanzministerium hingegen stellt einen wichtigen Gegenpol zur Macht des Bundeskanzlers dar, weswegen es die ÖVP offenbar für sich beansprucht. Schon zur Zeit der Großen Koalition waren Bundeskanzler und Finanzminister deshalb stets aufgeteilt. Für die FPÖ wiederum ein No-Go: "Die letzten Finanzminister waren es ja, die dieses Budget mit Milliardenschulden zu verantworten haben", so Kickl.
Die Europa-Agenden will die FPÖ im Bundeskanzleramt, also ebenfalls bei Herbert Kickl, ansiedeln. Für die selbsternannte "Europapartei" ÖVP, mit Magnus Brunner sogar Teil der Europäischen Kommission, ist das wohl keine Option.
Wie so oft in den vergangenen Jahren muss Bundespräsident Alexander Van der Bellen ein Mal mehr als Mediator für Österreichs Spitzenpolitiker einspringen. Schon am späten Mittwochnachmittag gab es ein unvorhergesehenes Gespräch mit Christian Stocker – Inhalt: streng geheim.
Am Donnerstag ist nun Herbert Kickl zu Gast. Bei jener von ihm als "senile Mumie in der Hofburg" bezeichneten Person, der er den Regierungsauftrag überhaupt erst zu verdanken hat. Zwar war der Termin schon länger geplant, statt einer Wasserstandsmeldung könnte es aber das Schicksalsgespräch am Weg zur blauen Kanzlerschaft werden. Selbst die genaue Uhrzeit war am Vormittag nicht herauszufinden, dem Vernehmen nach wird es erst am Nachmittag so weit sein.
FPÖ und/oder ÖVP müssen jedenfalls Zugeständnisse machen, die sie in den vergangenen Tagen vehement ausgeschlossen haben. Scheitern die Gespräche, müsste die Volkspartei zurück zur SPÖ. Im Parlament könnte sie immerhin mit einer Duldung der Grünen rechnen, wie Werner Kogler in Interviews andeutete.
Hilft auch das nichts, müssen wohl Neuwahlen für klare Verhältnisse sorgen. Diese kann entweder der Nationalrat oder der Bundespräsident veranlassen, Vorlaufzeit: mindestens drei Monate. Einstweilen die Amtsgeschäfte führen könnten die nach wie vor im Amt befindlichen türkis-grünen Ministerinnen und Minister. Oder abermals ein Expertenkabinett.
Fest steht: Schon jetzt ist es die längste Regierungsbildung aller Zeiten. Mit Donnerstag sind es 130 Tage seit der Wahl. Der bisherige Rekord stammt mit 129 Tagen aus dem Jahr 1963. Diese ÖVP-SPÖ-Regierung hielt daraufhin nur drei Jahre – keine guten Vorzeichen.