Ukraine

Augenzeugen schildern Russen-Gräueltaten in Butscha

Nach dem Abzug der russischen Truppen aus Butscha berichten Überlebende, was sie gesehen haben und was ihren Angehörigen widerfahren ist.

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    Die Straßen des Kiewer Vororts sind nach dem Abzug russischer Truppen voller Leichen. Bild vom 3. April 2022.
    Die Straßen des Kiewer Vororts sind nach dem Abzug russischer Truppen voller Leichen. Bild vom 3. April 2022.
    REUTERS

    Nach dem Massaker in der Stadt Butscha bei Kiew sind ukrainischen Medienberichten zufolge deutlich mehr als 300 Leichen von Zivilisten geborgen worden. Bis Sonntagabend seien bereits 330 bis 340 leblose Körper eingesammelt worden, schrieb die Zeitung "Ukrajinska Prawda" am Montag unter Berufung auf einen Bestattungsdienst. Überlebende schildern, was sie erlebt haben:

    "Wir waren zu Hause in unserer Doppelhaushälfte. Plötzlich hörten wir eine Explosion: Sie zerstörten unser halbes Haus. Dann begannen sie, durch die Fenster zu schießen. 'Kommt raus', riefen sie": So schildert die Irina Abramowa (48) gegenüber einem "Bild"-Korrespondenten vor Ort den Beginn der russischen Besetzung von Butscha am 5. März.

    "Wir kommen, um euch zu befreien"

    Ihr Ehemann Oleg sei dann auf die Straße getreten und habe die Soldaten informiert, dass nur Zivilisten im Haus seien. Als Abramowa ebenfalls rausgegangen sei, hätten die Kämpfer sie gefragt, warum sie sich verstecke. "Ich sagte: 'Wir haben Angst. Und ihr schießt'. Sie sagten: 'Schaut, wir sind Russen. Wir haben ein Sankt-Georgs-Band. Wir kommen, um euch zu befreien.'"

    Dann habe ihr Haus zu brennen begonnen, und ihr Mann habe versucht, es zu löschen. "In dem Moment packten sie ihn, zogen ihm den Pullover ab, drückten ihn auf die Knie und schossen ihm in den Kopf. Dann begannen sie, mich zu verhören. Sie fragten mich: 'Wo sind die Nazis?'" Sie habe dann gesagt, sie sollten auch sie und ihre Katze töten. Doch einer der Soldaten habe gemeint, er töte keine Frauen.

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      Massengrab bei einer Kirche in Butscha, aufgenommen am 31. März 2022.
      Massengrab bei einer Kirche in Butscha, aufgenommen am 31. März 2022.
      Maxar Technologies/Handout via REUTERS

      "Mein Mann wurde 40 Jahre alt, er hat seinen Geburtstag am 14. März nicht mehr erlebt. Er lag dort, wo sie ihn erschossen haben, bis wir sicher waren, dass die Soldaten weg waren", so Abramowa weiter. Die Russen hätten sie für den Tod ihrer Kameraden verantwortlich gemacht. "Wir sagten: 'Was haben wir euch getan?' Sie erwiderten: 'Ihr habt den Präsidenten gewählt, ihr habt Nazis an die Macht gelassen. Ihr habt die Maidan-Proteste gestartet'". Die Russen hätten immer wieder nach Nazis gefragt und deren Adressen verlangt. Die Männer hätten mit Akzent gesprochen: "Es waren wohl Kadyrowzy", glaubt sie, also Männer aus der Garde des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow.

      "Sie schossen auf jeden, den sie sahen"

      Auch Wladislaw Kozlowsky überlebte die Besetzung von Butscha. Im Interview mit einem polnischen TV-Sender erzählt er von dem Moment, als die Russen in die Stadt kamen. "Allen, die keine Waffen hatten, wurde befohlen, sich in einem Luftschutzbunker zu verstecken." Doch die Soldaten hätten sie entdeckt. Kozlowsky und andere wurden als Geiseln festgehalten. Fünf Tage lang hätten sie ohne Licht und fließendes Wasser ausharren müssen.

      Dann seien andere Soldaten gekommen. Zunächst hätten diese ihnen die Wertsachen abgenommen, dann hätten sie ihre Papiere kontrolliert. "Wenn jemand an der Anti-Terror-Operation (der Militäreinsatz im Donbass 2014 bis 2018, Anm.) teilgenommen hatte oder zur Verteidigungsarmee gehörte, wurde er sofort erschossen. Sie kontrollierten auch Tätowierungen und suchten nach 'Nazis'. Es wurden auch diejenigen erschossen, die das Wappen der Ukraine trugen."

      Leichen einfach liegengelassen

      Acht Menschen aus seiner Gruppe seien erschossen worden, so Kozlowsky. Ihre Leichen wurden einfach liegengelassen. Einem Freund habe man in die Seite geschossen und ihm gesagt: "Das ist, damit du es nicht eilig hast, nach Hause zu gehen." Kozlowsky berichtet weiter, wie er mehrmals verprügelt wurde, zuletzt von einem betrunkenen Soldaten. "Meine Nase war gebrochen, meine ganze Kleidung war voller Blut."

      Kurz vor der Befreiung der Stadt hätten Kadyrowzys in der Stadt Tod und Verderben verbreitet. "In der letzten Woche sind sie von morgens an durch Wohngebiete gelaufen und haben auf jeden geschossen, den sie gesehen haben." Ein Bekannter habe mit anderen versucht, nach Irpin zu fliehen. "Ihre Leichen wurden wenige Tage später gefunden. Meinem Bekannten wurde in den Hinterkopf geschossen. Der andere wurde gefoltert, seine Wange herausgeschnitten."

      Russen dementieren alles

      Das russische Verteidigungsministerium dementiert einem russischen Agenturbericht zufolge einen Massenmord an Zivilisten in Butscha. Jegliches von der Ukraine veröffentlichte Bild- und Filmmaterial in diesem Zusammenhang stelle eine Provokation dar, berichtet RIA Novosti unter Berufung auf das Ministerium. Alle russischen Einheiten hätten Butscha am 30. März verlassen.

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        Ein Schreiben des ukrainischen Präsidenten soll bei Wladimir Putin einen Wutanfall ausgelöst haben. Er tobt in Richtung Ukraine: "Ich werde sie verprügeln."
        Ein Schreiben des ukrainischen Präsidenten soll bei Wladimir Putin einen Wutanfall ausgelöst haben. Er tobt in Richtung Ukraine: "Ich werde sie verprügeln."
        Reuters