"Jetzt im Herbst besteht ein höheres Risiko für Wildunfälle. Schalenwild wechselt in dieser Zeit in die Winterreviere, gleichzeitig können Blattwerk auf der Straße und schlechtes Licht die Unfallgefahr beträchtlich erhöhen", warnt Leopold Obermair, der Geschäftsführer des NÖ Jagdverbandes.
Dass ein Wildunfall gravierende Folgen haben kann, zeigt der Fall eines Autofahrers in Niederösterreich, der einen längeren Rechtsstreit mit der Bezirkshauptmannschaft Melk (BH) hinter sich hat, nachdem er Anfang 2024 versucht hatte einem verletzten Reh das Leben zu retten. Die Beurteilung durch den Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) brachte schließlich nach mehr als eineinhalb Jahren eine Entscheidung.
Es ist ein ungewöhnlich warmer und milder erster Februartag 2024, als der am Wildunfall unbeteiligte Lenker gegen 7.00 Uhr Früh in eine dramatische Szene, die sich gerade am Straßenrand ereignet hat, hineingezogen wird. Dort liegt an diesem Donnerstag ein schwer verletztes Reh – ein bereits eingetroffener Jäger will zum Gnadenschuss ansetzen.
Der Fahrer, der seinen Wagen nur Augenblicke zuvor zum Stehen gebracht hat, stellt sich sprichwörtlich in letzter Sekunde dazwischen – und verhindert so die Schussabgabe des Jägers. Noch immer liegt das verletzte Tier am Asphalt, doch jetzt kommt die Polizei.
Gegenüber den Beamten erklärt der Mann, "er sei der Meinung, dass das verletzte Reh nicht getötet werden müsse und er die Tierarztkosten bezahlen würde" – das hält eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) über eineinhalb Jahre später fest. Denn, obwohl das Tier schließlich doch erschossen wurde, fasste der Kfz-Lenker zunächst 200 Euro Strafe aus.
Gegenüber der BH Melk hatte nämlich eine Amtstierärztin erklärt, dass durch das Einschreiten des Mannes die rasche Tötung des Tieres verzögert wurde – und damit der Leidensprozess um 30 Minuten verlängert wurde. Die BH sah darin Tierquälerei und verhängte daher die besagte Geldstrafe.
Rund 30.000 Wildtiere verenden in NÖ jedes Jahr durch Wildunfälle – davon 15.000 Rehe, 12.000 Niederwild und 400 Wildschweine. Seit 2008 läuft das Projekt "Wildtiere & Verkehr" des NÖ Jagdverbands zusammen mit dem Land NÖ zur Unfallreduktion. Bis dato wurden in über 500 Revieren rund 130.000 Wildwarnreflektoren, 6.700 Wildwarngeräte und 44 olfaktorische Vergrämer, entlang von 1.873 Kilometern Straße, installiert. Ergänzend setzte der Verband jagdliche Maßnahmen und informiert regelmäßig zu Wildunfallrisiken.
Der tierliebe Autofahrer, gegen den die Strafe gerichtet war, sah aber nicht ein, dass er als Tierquäler bestraft werden sollte und wehrte sich. Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) gab ihm zunächst recht, denn als Täter einer Übertretung des Verbots der Tierquälerei nach § 5 Abs. 1 Tierschutzgesetz komme grundsätzlich jeder in Betracht, der eine aktive Handlung setze. Auf die Vorkommnisse am 1. Februar 2024 treffe das aber nicht zu.
Denn "die dem Zweitmitbeteiligten vorgeworfene aktive Tathandlung, durch seine Intervention - in Form einer verbalen Auseinandersetzung und dem im Weg Stehen - dem Jäger die Tötung des Rehes unmöglich gemacht zu haben", ist, laut LVwG, nicht geeignet "einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen oder es in schwere Angst zu versetzen."
Seitens des NÖ Jagdverbandes heißt dazu: "Rechtlich gesehen dürfen in NÖ in so einem Fall nur Jäger oder die Polizei einen Erlösungsschuss setzen." Geschäftsführer Obermair präzisiert: "Grundsätzlich ist die Jägerschaft aufgerufen, Tiere vor unnötigen Qualen zu schützen. In den allermeisten Fällen muss angefahrenes Wild erlöst werden, da die Verletzungen zu schwer sind. Ab dem Moment, wo ein Wildtier liegen bleibt und mehr als ein Lauf gebrochen ist, kann man meist nur noch erlösen. In der Regel liegen nämlich auch innere Verletzungen vor."
Der Landesverwaltungsgericht stellte fest, dass das "Unterbleiben der (leidensverkürzenden) Tötung des Rehes während eines Zeitraumes von etwa 30 Minuten eine Unterlassungshandlung durch den allenfalls handlungsverpflichteten Jäger" darstelle. Somit sah das Gericht keine Rechtsgrundlage für die Geldstrafe über 200 Euro und hob sie auf. Die BH Melk, welche die Strafe verhängt hatte, sah sich aber im Recht und beantragte Revision.
Der Fall landete schließlich am VwGH, der die Revision der BH Melk zurückwies, denn der "Strafbestand der Tierquälerei … ist dem Tatbild nach ein Erfolgsdelikt. Da sich weder aus dem gesetzlichen Tatbestand … noch aus anderen Bestimmungen ergibt, dass die Unterlassung bestimmter Handlungen strafbar sein soll, … ist die Tathandlung der Tierquälerei durch eine Unterlassungshandlung eines Dritten nicht verwirklicht."
Der Autofahrer hatte keine "aktiven Handlungen unmittelbar gegen das Tier, das ohne sein Zutun bereits verletzt war" gerichtet, sondern lediglich durch sein Verhalten den Jäger abgehalten, das leidende Tier sofort zu töten.
Zwar habe das Vorliegen von Schmerzen, Leiden oder Angst des Tieres von der Amtstierärztin beurteilt werden können, doch die Beurteilung, ob dem Autofahrer die "Verwaltungsübertretung rechtlich zugeordnet werden kann, war … alleine durch das Verwaltungsgericht NÖ vorzunehmen …" Aufatmen für den Autofahrer: Er ist dem Entscheid des Landesverwaltungsgerichts nach kein Tierquäler, das hielt zuletzt auch der VwGH gegenüber der BH Melk fest.
Mit dem Herbstbeginn steigt nun auch wieder das Risiko für Wildunfälle: "Die aktuellen Schutzmaßnahmen beinhalten Wildwarngeräte, die mittels Reflektoren das Licht herannahender Autos zur Warnung der Tiere in den Wald streuen oder zusätzlich Warntöne abgeben. Außerdem sollen Duftstoffe die Wildtiere von der Straße fernhalten", sagt Leopold Obermair vom NÖ Jagdverband und mahnt zu erhöhter Vorsicht.