Fall vor Gericht

Bub ist behindert – Behörde verbietet Home Schooling

Elyas (9) ist geistig beeinträchtigt, hat einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Deshalb untersagt ihm die Bildungsdirektion häuslichen Unterricht.
Christine Ziechert
02.06.2025, 06:30
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Seit zwei Jahren wird Elyas P. (9) liebevoll von seiner Mutter, Jeanette P. (49), daheim in Vordernberg (Stmk.) betreut und unterrichtet: "Elyas ist noch nie in der Schule gewesen. Ich habe ihn immer zu Hause unterrichtet. Er ist geistig beeinträchtigt, hat körperlich aber viel aufgeholt. Ich versuche ihn, individuell zu fördern", erzählt die 49-Jährige im Gespräch mit "Heute".

Der Neunjährige hat einen Wachstums-Hormonmangel, vermutlich aufgrund einer genetischen Ursache ist er daher kleinwüchsig – mit 117 Zentimeter hat er die Größe eines 6- bis 7-Jährigen. Zudem ist der Bub stark entwicklungs- und sprachentwicklungsverzögert, psychomtorisch ist er auf dem Stand eines Dreijährigen.

Elyas ist stark entwicklungsverzögert

"Elyas hat fast keine Sprache entwickelt, mithilfe von Gebärden könnten mit dem Kind vielleicht an die 50 Worte kommuniziert werden. Beispielsweise versteht der Bub das Wort 'rot', kann dies aber aktiv nicht ausdrücken. Das Kind hat absolut kein Mengenverständnis. Grafomotorisch befindet sich das Kind in der Phase des indifferenten Kritzelns", heißt es in einem Schreiben des LKH Hochsteiermark, Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde.

Zwei Jahre lang besuchte der Bub einen Kindergarten: "Zuerst war er in der großen Gruppe, dort hat er sich schon schwergetan – er hat die Kinder gehaut. Dann ist Elyas in die kleine Gruppe gekommen, da war es besser. Er ist sehr feinfühlig. Wenn er überfordert ist, wird er aggressiv. Er braucht seine Struktur, erhält zudem Physio- und Ergotherapie", berichtet seine Mutter, die noch zwei erwachsene Kinder hat.

„Es geht vor allem um die Förderung seiner Selbstständigkeit. Ich möchte, dass er den Alltag selbst bewältigen kann“
Jeanette P.Mama von Elyas

Die Zeit im Kindergarten hat Jeanette P. gezeigt: "Wenn Elyas krank wird, geht sein Gewicht rasant runter – auf 21 Kilo. Daher hab ich mich entschieden, ihn zu Hause zu unterrichten. Es geht vor allem um die Förderung seiner Selbstständigkeit. Er lernt, sich mitzuteilen, zu schneiden, zu basteln, selbst aufs Klo zu gehen und sich die Zähne zu putzen. Ich möchte, dass er den Alltag selbst bewältigen kann und, dass er Spaß am Leben hat", erklärt die 49-Jährige, die für ihren Sohn ein soziales Netzwerk aufgebaut hat.

Die ersten zwei Volksschul-Jahre unterrichtete die Steirerin ihren Sohn daher daheim – ohne Probleme wurde ihr der häusliche Unterricht von der Bildungsdirektion bewilligt: "Im Juni 2024 hat Elyas auch die notwendige Externistenprüfung in Graz bestanden", ist sie stolz. Jeanette P. reichte daher wieder einen Antrag auf häuslichen Unterricht für das Schuljahr 2024/25 ein, der von der Bildungsdirektion am 24. Juni auch bewilligt wurde.

Antrag auf Home Schooling abgewiesen

Doch schon am 4. Juli wurde der Bescheid zurückgezogen, der Antrag abgewiesen: "Wir haben uns aus medizinischen und pädagogischen Gründen für häuslichen Unterricht entschieden. Diese Form war für mein Kind ein sicherer, strukturierter Weg, der seinem individuellen Bedarf gerecht wurde. Doch die Bildungsdirektion hat uns diesen Weg entzogen, uns wurde sogar die aufschiebende Wirkung verweigert", ist Jeanette P. verärgert.

Der Grund: Weil Elyas einen sonderpädagogischen Förderbedarf hat, muss er nach dem Lehrplan der Sonderschule für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf unterrichtet werden – und dies sei bei Jeanette P. nicht möglich.

Kein gleichwertiger Unterricht zu Hause

"Aufgrund der unmissverständlichen aktuellen Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Schulpflicht nicht durch die Teilnahme an einem gleichwertigen Unterricht erfüllt werden, wenn der gleichwertige Unterricht nach einem anderen Lehrplan als dem der Volks- oder Mittelschule erfolgen soll. Nachdem Sie die Anwendung des Lehrplanes erhöhter Förderbedarf angezeigt haben, kann die Behörde der Judikatur folgend nicht anders vorgehen, als diese Anzeige als unzulässig zurückzuweisen. Das Kind hat somit eine entsprechende öffentliche Schule (....) zu besuchen."

Für Jeanette P. ist die Entscheidung völlig unverständlich – sie ging daher vor Gericht: "Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht am 30. September 2024 konnten wir die aufschiebende Wirkung zurückerlangen, der Bescheid vom 4. Juli wurde aufgehoben."

Der Antrag auf häuslichen Unterricht wurde nach der Bewilligung wieder zurückgewiesen.
Getty Images, zVg

VwGH hob Beschluss von Bildungsdirektion auf

Doch am 28. Oktober 2024 stellte die Bildungsdirektion erneut einen Bescheid aus, der Elyas den häuslichen Unterricht untersagt. Jeanette P. ging daher in außerordentliche Revision, diese landete beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH). Der VwGH gab der Bildungsdirektion die Möglichkeit zu einer Stellungnahme, sie kam dem allerdings nicht nach.

Ende März 2025 erging daher der Beschluss des VwGH, dass der Beschluss der Bildungsdirektion wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben ist. Nun muss das Verwaltungsgericht in der Angelegenheit neuerlich entscheiden und ist dabei an die Rechtsansicht des VwGH gebunden: "Wir sind gezwungen, juristische Unterstützung auf eigene Kosten zu organisieren, obwohl die finanzielle Belastung für uns als Familie bereits enorm ist", meint Jeanette P.

„Häuslicher Unterricht ist in manchen Fällen kein Rückzug, sondern ein selbstbestimmter, inklusiver Weg“
Jeanette P.über den häuslichen Unterricht

Auf "Heute"-Nachfrage heißt es seitens der Bildungsdirektion Steiermark: "Das Verfahren läuft noch, da das Verwaltungsgericht noch keine Entscheidung getroffen hat. Daher bitten wir um Verständnis, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt keine weiterführende Stellungnahme abgeben können."

Für Jeanette P. ist klar – sie wird nicht aufgeben: "Ich glaube, dass unsere Geschichte beispielhaft für viele stille Kämpfe ist, die derzeit in Österreich geführt werden: Inklusion steht zwar im Gesetz – aber sie wird nicht gelebt. Eltern von Kindern mit Behinderung stoßen oft auf Mauern, wo eigentlich Brücken sein sollten. Häuslicher Unterricht ist in manchen Fällen kein Rückzug, sondern ein selbstbestimmter, inklusiver Weg – gerade weil das System oft versagt."

{title && {title} } cz, {title && {title} } 02.06.2025, 06:30
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