Putin als lachender Dritter

"Damit haben die größten Optimisten nicht gerechnet"

Wie blickt eigentlich Putin auf die Ukraine-Politik von Trump? Diese und andere Fragen beantwortet Osteuropahistoriker André Härtel im Interview.
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10.03.2025, 07:50
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Die US-Waffenlieferungen an Kiew sind derzeit stillgelegt. Die Europäer wollen als Reaktion massiv aufrüsten. Das braucht aber Zeit, die die Ukraine nicht hat. Wie sieht eigentlich der russische Präsident die Entwicklungen – und war am Ende alles für die Katz und die Ukraine und Europa werden die großen Verlierer sein? Das "Heute"-Partnermedium "20 Minuten" stellt die wichtigsten Fragen an Osteuropahistoriker André Härtel*.

Herr Härtel, wie ist die russische Optik auf Trumps Politik?

Der Clash mit Selenski, das rasche Einstellen der US-Unterstützung und sogar der nachrichtendienstlichen Informationen, damit haben wohl nicht mal Russlands größte Optimisten gerechnet. Dass Trump schon vor möglichen Verhandlungen Konzessionen macht – ukrainische Gebiete abtreten und einen Nato-Beitritt ausschließen will – widerspricht jeder vernünftigen Verhandlungslogik. Russland nimmt also Trump und seine Regierung als sehr unprofessionell wahr und sieht das als Gelegenheit, sich den USA anzunähern und seine strategischen Ziele ohne Europa und die Ukraine erreichen zu können. Anders als viele damals dachten, machte Putin keinen Witz, als er sagte, ihm sei ein Joe Biden oder eine Kamala Harris als Präsidentin lieber als Trump.

Das war also kein Zynismus?

Nein. Putin sieht Trumps Unberechenbarkeit und Unprofessionalität sicher sehr kritisch, sie widersprechen der Natur des russischen Präsidenten. Putin setzt seit Jahrzehnten auf Bedachtsamkeit – vom Angriff auf die Ukraine einmal abgesehen, den ich als Übersprungshandlung bezeichnen würde – und möchte keinen erratischen, von Emotionen getriebenen US-Präsidenten. Denn diesen kann er nicht lesen. So weiß auch Putin nicht, was Trump wirklich antreibt: Sind es Sicherheitsinteressen, die Wirtschaft und "Deals" oder motiviert sich alles daraus, die Maga-Bewegung daheim zu stärken? Biden respektive Harris waren berechenbarer und eskalierten letztlich nicht, das war Putin viel lieber. Dennoch: Sollte sich die derzeit rein auf Russlands Interessen fokussierte US-Haltung als nachhaltig erweisen, ist das ein Geschenk, das Putin gerne annehmen dürfte.

Sie sagen es selbst: Bislang sieht Putin einen sehr entgegenkommenden Trump.

Ja, aber es kann ja schnell wieder zu einem radikalen Umschwung kommen. Wenn Trump merkt, dass er in den Verhandlungen mit Russland nicht weiterkommen sollte, sich die Regelung von Details als zu aufwendig erweist und dass seine "Reputation" auf dem Spiel steht – in dieser Medienlogik denkt Trump ja – dann kann er wieder alles auf den Kopf stellen. In Moskau herrscht derzeit also mehr ungläubige Unruhe als Genugtuung über Trumps aktuellen Kurs.

Mit Blick auf die Ukraine: Wo und wie soll das Ganze enden?

Ich stimme der US-Administration in einem Punkt zu: Der Westen verfügt nur über eine sehr fragile "Theorie des Sieges" für die Ukraine. Wir unterstützen das Land seit drei Jahren mit dem Ziel einer freien, unabhängigen Ukraine, die auch Bündnisfreiheit hat: Wenn sich ein souveränes Land der Nato oder der EU anschließen möchte, soll es das auch können. Wir bauen darauf, dass diese Unterstützung und die Sanktionen mit der Zeit Russland dazu bewegen, sein Kalkül zu ändern und statt eines Sieges irgendwann doch Verhandlungen anzustreben. Dafür gibt es Stand heute aber schlicht keine Anhaltspunkte – auch weil unsere Strategie von wichtigen Faktoren abhängig ist, die wir kaum beeinflussen können.

Welche Faktoren sind das?

Eine funktionierende Mobilisierung in der Ukraine, deren Kampfeswillen und die Fähigkeit, unsere Waffen richtig einzusetzen. Russland umgeht zudem unsere Sanktionen und hat – anders als wir – auf Kriegswirtschaft umgestellt. Sprich: Unsere derzeitige Theorie des Sieges der Ukraine beruht auf Spekulationen. Es bleibt im Grundsatz bei einem asymmetrischen Krieg zwischen David und Goliath, durch den der Westen am Ende vor allem Zeit gewinnt.

War also alles für die Katz und die Ukraine und Europa werden die großen Verlierer sein?

Nein. Europa hat ein existenzielles Interesse am Überleben der Ukraine. Wir müssen Antworten darauf finden, was unsere Optionen sind, wenn alle Sanktionen und militärische Hilfe nicht ausreichen. Es gibt nur wenig Alternativen.

Welche?

Wenn wir die Unterstützung für die Ukraine einstellen, könnte das Land in sechs Monaten oder maximal einem Jahr von Russland kontrolliert sein. Das wird uns teuer zu stehen kommen, viel teurer als unsere Ukraine-Unterstützung. Denn wenn wir ohne die Ukraine als Pufferzone dastehen, müssen wir Russland an den Nato- und EU-Grenzen noch viel stärker abschrecken. Selbst wenn es Putin nur um die Ukraine geht, ist die strategische Lage, in der wir landen können, extrem unvorteilhaft. Wenn es aber eben nicht nur um die Ukraine geht, sondern um die russische Hegemonie in Europa, dann haben wir ein massives Problem.

* Dr. André Härtel ist Wissenschaftler bei der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP. Er war dort in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien und leitet seit 2023 das Brüsseler Büros der SWP. Härtels Forschungsschwerpunkte sind die ukrainische Innen- und Aussenpolitik sowie die europäische Sicherheitsordnung. Die SWP berät die deutsche Regierung und den Bundestag ebenso wie Wirtschaft und Medien in aussenpolitischen Fragen.

Wie meinen Sie das?

Europa braucht die Doppelstrategie aus eigener Aufrüstung und einer weiteren starken Unterstützung der Ukraine. Alles andere wäre sukzessive Unterwerfung. Dennoch sollten Verhandlungsansätze und -bereitschaft genutzt werden. Wir dürfen den Punkt nicht verpassen, an dem Russland aus welchen Gründen auch immer bereit ist, seine maximalen Ziele fallen zu lassen. Ein Waffenstillstand gibt am Ende auch der Ukraine Zeit, sich für einen erneuten Angriff zu wappnen. Einen russischen Strategiewechsel sehe ich mittelfristig nicht.

Russland pfeift, mit Verlaub, militärisch doch selbst aus dem letzten Loch.

Russland ist voll investiert und steht ökonomisch bereits unter hohem Druck. Es hat bisher aber auch immer Wege gefunden, den Krieg weiterzuführen und gar zu intensivieren. Kritiker können immer sagen, dass Russland keine Mittel mehr hat und nur partielle politische Ziele. Dass der europäische Westen zwischen Unterwerfung und Dagegenhalten irgendwie schon überleben wird. Und dass die liberalen Verfassungsstaaten Russland, das dann nach der Ukraine eher gesättigt ist, wieder entgegenkommen sollten, wieder Energiebeziehungen aufnehmen und mit ihm wieder vernünftig zusammenleben sollten. Aber daran glaube ich nicht, und das ist auch aus sicherheitspolitischer Sicht völlig unverantwortlich.

Frieden ist unverantwortlich?

Wir müssen aufwachen. Zuerst: Ob Russland oder nicht – man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen. Wir haben in Europa lange genug den Fehler gemacht, sicherheitspolitisch immer mit der besten Situation zu rechnen. Wir müssen mal anfangen, in existenziellen Bedrohungen und Eventualitäten zu denken. Und zweitens entspricht dieses Denken nicht dem, was wir empirisch beobachten können. Russland hat ein Entgegenkommen immer ausgenutzt. Bestes Beispiel ist Georgien 2008, wo man sich mit Putins Anerkennungen von Abchasien und Südossetien einfach abgefunden hat. Darauf folgte 2014 die Annexion der Krim. Russland ist in seinen Ambitionen immer raumgreifender geworden, ja, hat immer noch mehr Ambitionen entwickelt, weil wir unter Berufung auf den Frieden das Ganze stets mittels partiellem Entgegenkommen klären wollten. Diese Politik hat nicht funktioniert.

Man könnte einwenden, Russland habe sich mit den Annexionen gegen die Nato-Osterweiterung gewehrt.

Klar, das ist ein starkes russisches Propagandanarrativ – zu dem die Nato selbst beiträgt. Die Nato war zu naiv. Denn Russland, China oder wohl auch Indien empfinden sich in den internationalen Beziehungen als autonome Pole, nicht als Teil von irgendetwas. Wenn man so über sich selbst denkt, empfindet man das größte Verteidigungsbündnis in der Geschichte natürlich als Bedrohung. Dann ist es auch egal, wenn dieses versichert, es wolle sich nur um die eigenen Sicherheitsinteressen kümmern. Oder anders gesagt: In der russischen Großmachtlogik ist die Nato eine ganz natürliche Bedrohung, weil man ihr selbst nicht angehört und auch nicht angehören will. Meine Schlussfolgerung: Die Nato hätte die Ukraine bereits vor 2022 deutlich stärker unterstützen oder sich deutlicher von einer Erweiterung distanzieren sollen. Das ist hinterher leicht gesagt – noch Janukowitsch betrieb eine blockfreie Außenpolitik, erst nach 2014 setzten echte Reformen in der Ukraine ein und es widerspricht den Statuten der Nato, Länder strategisch auszuschließen.

Wo sehen Sie die Zukunft der Nato?

Wir müssen uns jetzt ganz offen vor Augen halten, dass es vielleicht die alte Nato nicht mehr gibt und dass es auch diese Sicherheitsgarantie, die mit dem Artikel 5 einhergeht, so nicht mehr gibt. Mit seinen Aussagen gegenüber Kanada und Grönland, seinen Handelskriegen gegen Alliierte und der rein ökonomischen Logik, von der Trump seine Nato-Unterstützung abhängig macht, hat er die Glaubwürdigkeit der Abschreckung nahezu zerstört. Diese ist neben den reinen Fähigkeiten aber Grundvoraussetzung der Nato-Beistandgarantie.

{title && {title} } 20 Minuten, {title && {title} } Akt. 10.03.2025, 09:33, 10.03.2025, 07:50
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