Kurz nach 15.00 Uhr traten CDU-Chef Friedrich Merz, CSU-Vorsitzender Markus Söder und die beiden SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Saskia Esken vor die Pressevertreter in Berlin. Die gemeinsame Botschaft: "Man will Deutschland wieder nach vorne bringen."
Den Anfang machte CDU-Chef Merz. Er bezeichnete den über 140-seitigen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD als "Aufbruchssignal" für Deutschland. "Vor uns liegt ein starker Plan, mit dem wir unser Land gemeinsam wieder nach vorne bringen können", so der CDU-Chef. Deutschland bekomme "eine handlungsfähige und eine handlungsstarke Regierung", beteuerte Merz, der die künftige Koalition als Bundeskanzler führen will.
Union und SPD haben sich im Migrationsbereich auf eine "Rückführungsoffensive" geeinigt. Das Koalitionspapier sehe vor, freiwillige Aufnahmeprogramme des Bundes "so weit wie möglich" zu beenden. Die sogenannte Turbo-Einbürgerung der Ampel-Regierung nach bereits drei Jahren solle wieder abgeschafft werden, betonte Merz.
Zudem soll, zur Entlastung von Unternehmen und Verbrauchern, die Stromsteuer gesenkt und ein Industriestrompreis für energieintensive Firmen eingeführt werden. Die Stromsteuer werde für alle "auf das europäische Mindestmaß" gesenkt, Umlagen und Netzentgelte würden reduziert, hieß es in der Pressekonferenz. Außerdem soll die Körperschaftsteuer in fünf Schritten um jeweils einen Prozentpunkt gesenkt werden - beginnend ab 2028.
Auch in Sachen der Rente haben sich Union und SPD geeinigt. Das Rentenniveau soll bei 48 Prozent bis 2031 festgeschrieben werden. "Die Mehrausgaben, die sich daraus ergeben, gleichen wir mit Steuermitteln aus", hieß es.
Das Rentenniveau von 48 Prozent war ein erklärtes Ziel der SPD in den Koalitionsverhandlungen. Gleichzeitig gehe es um eine wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, eine hohe Beschäftigungsquote und eine angemessene Lohnentwicklung. Nur so sei es möglich, "dies dauerhaft zu finanzieren". Auch künftig soll zudem nach 45 Beitragsjahren ein abschlagsfreier Renteneintritt möglich bleiben.
Zugleich sollen finanzielle Anreize für das Arbeiten im Alter geschaffen werden. "Statt einer weiteren Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters wollen wir mehr Flexibilität beim Übergang vom Beruf in die Rente", heißt es im Vertrag. Arbeiten im Alter solle mit einer Aktivrente attraktiv werden, das war vor allem eine CDU-Forderung. "Wer das gesetzliche Rentenalter erreicht und freiwillig weiterarbeitet, bekommt sein Gehalt bis zu 2000 Euro im Monat steuerfrei."
Die Mütterrente soll ausgebaut werden - das wurde von der CSU vorangetrieben: Sie werde mit drei Rentenpunkten für alle vollendet, "unabhängig vom Geburtsjahr der Kinder", um allen Müttern die gleiche Wertschätzung und Anerkennung zu gewährleisten. Auch diese Finanzierung soll aus Steuermitteln erfolgen, wie aus dem Vertrag weiter hervorgeht.
Das Bürgergeld soll in seiner jetzigen Form abgeschafft und zu einer "neuen Grundsicherung für Arbeitssuchende" umgestaltet werden. Dabei müssten sich Arbeitslose "aktiv um Beschäftigung" bemühen. Die künftige Regierung will demnach "Vermittlungshürden beseitigen" sowie "Mitwirkungspflichten und Sanktionen" verschärfen.
Außerdem will die künftige Regierung in Deutschland einen neuen Wehrdienst einführen. Dieser basiert "zunächst auf Freiwilligkeit". Für die neue Ausgestaltung dieses Dienstes seien die Kriterien Attraktivität, Sinnhaftigkeit und Beitrag zur Aufwuchsfähigkeit leitend. Vorbild sei das schwedische Modell, noch in diesem Jahr sollen die "Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung" geschaffen werden.
Union und SPD wollen das Deutschlandticket beibehalten. Anders als im Sondierungspapier von Ende März sieht der am Mittwoch vorgestellte Koalitionsvertrag Preissteigerungen für das Monatsabo aber erst ab 2029 vor. Zuvor war 2027 als Startdatum für "schrittweise und sozialverträglich" Preiserhöhungen genannt worden. Derzeit kostet das Ticket 58 Euro im Monat.
Das staatlich subventionierte Angebot, das deutschlandweit Fahrten im öffentlichen Nahverkehr ermöglicht, hatte bei Einführung vor knapp zwei Jahren 49 Euro im Monat gekostet. In diesem Januar stieg der Preis auf 58 Euro. Um die Fortführung und insbesondere die Finanzierung des insgesamt sehr beliebten Tickets hatte bereits die Ampel-Regierung intern und mit den Bundesländern immer wieder gerungen. Wie die Finanzierung künftig gesichert werden soll, ist dem Koalitionsvertrag nach zu urteilen weiterhin nicht abschließend geregelt.
Die von der Ampel-Koalition eingeführte Teillegalisierung von Cannabis bleibt vorerst bestehen. Man habe sich darauf geeinigt, dass im Herbst "eine ergebnisoffene Evaluierung" des Gesetzes erfolge. CDU und CSU hatten in ihrem Wahlprogramm angekündigt, sie wollten die Legalisierung der Droge zurücknehmen.
Das Gesetz zur Teillegalisierung von Cannabis war am 1. April 2024 in Kraft getreten. Besitz und kontrollierter Anbau zum privaten Gebrauch sind seither erlaubt, allerdings mit Einschränkungen. Der Konsum im öffentlichen Raum ist beschränkt erlaubt - in unmittelbarer Gegenwart von Minderjährigen und in der Nähe von Schulen, Kitas und Sportstätten etwa ist er verboten.
Bis zum Ende der Legislaturperiode habe man sich das Ziel gesetzt, die Verteidigungsausgaben "deutlich und stringent" zu steigern. "Die Höhe unserer Verteidigungsausgaben richtet sich nach den in der NATO gemeinsam vereinbarten Fähigkeitszielen."
Eine konkrete Höhe wird in dem Papier nicht genannt. Angestrebt werde ein mehrjähriger "Investitionsplan für die Verteidigungsfähigkeit". Noch im ersten halben Jahr der Regierungsarbeit solle "ein Planungs- und Beschaffungsbeschleunigungsgesetz für die Bundeswehr" beschlossen werden. Die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte solle "kurzfristig, nachdrücklich und nachhaltig" erhöht werden.
SPD-Chef Lars Klingbeil sieht den Koalitionsvertrag als Aufbruchssignal, das allerdings auch notwendige Änderungen bedeute. Die aktuelle Lage zwinge aber auch dazu, sich "von lieb gewordenen Projekten zu verabschieden" und "zu priorisieren", so der SPD-Vorsitzende. "Es geht nicht darum, alles zu ändern, aber es geht darum, das Richtige zu ändern", sagte Klingbeil.
"Wir sind uns bewusst, dass es darum geht, unser Land gemeinsam voranzubringen." Die neue Regierung wolle "daran arbeiten, dass das Leben für die Bürgerinnen und Bürger einfacher wird". Mit Blick auf das Streitthema Migration betonte Klingbeil, es gehe um ein stärkeres Ordnen und Steuern, aber "das Grundrecht auf Asyl bleibt dabei unantastbar". Auch stehe nicht in Frage: "Deutschland bleibt ein Einwanderungsland." Wer hier arbeite und sich integriere, werde auch weiterhin die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen können.
Ausdrücklich lobte Klingbeil das Miteinander mit CDU und CSU in den Verhandlungen. Es sei gelungen, "trotz unterschiedlicher Standpunkte Brücken zu bauen". Der rote Faden dabei sei die "Verantwortung für Deutschland, die wir gemeinsam in den nächsten vier Jahren übernehmen wollen". Daher werde er den SPD-Mitgliedern empfehlen, "auf Basis dieses Koalitionsvertrages in die Regierungsbildung einzutreten".
Die Union wird in der künftigen Bundesregierung unter anderem das Außenministerium, das Wirtschaftsministerium, das Gesundheitsministerium sowie das Ministerium für Bildung und Familie stellen. Auch das Verkehrsministerium geht an die CDU. Außerdem soll es erstmals ein eigenes Digitalministerium geben, das ebenfalls von der CDU besetzt wird. Die CDU soll zudem den Kanzler sowie den Chef des Bundeskanzleramts stellen.
Die SPD hingegen bekommt das Finanzministerium, die Ressorts Arbeit, Verteidigung, Justiz und Umwelt, das um den Bereich Klima ergänzt wird. Zudem erhalten die Sozialdemokraten Entwicklungsministerium und das Bauministerium.
Die CSU erhält das mächtige Innenministerium, womit künftig auch die Ausgestaltung der Migrationspolitik weitgehend in CSU-Hand ist. Außerdem gehen das neu gestaltete Ministerium für Forschung und Raumfahrt sowie das Landwirtschaftsministerium an die CSU. Demnach erhält die CDU sechs Ministerien, die SPD sieben und die CSU drei.
Die Neuwahl des deutschen Bundeskanzlers ist für die Woche ab dem 5. Mai anberaumt, kündigte CDU-Chef Merz an. Ein genauer Tag sei noch nicht festgelegt worden, da dies Sache von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) sei und zunächst die Entscheidungsprozesse in den Parteien abgewartet werden müssten.