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Gigantische Explosion in Ukraine – das ist die Wahrheit

Eine Explosion im ukrainischen Chmelnyzkyj hat auf Social Media viel Aufsehen erregt. In Windeseile kam es darauf zu zahlreichen Falschbehauptungen.

Mit den Aufnahmen wurden auch Gerüchte und Falschbehauptungen verbreitet.
Mit den Aufnahmen wurden auch Gerüchte und Falschbehauptungen verbreitet.
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In der Nähe der ukrainischen Stadt Chmelnyzkyj kam es am 13. Mai 2023 zu einer gewaltigen Explosion, kurz darauf zu einer zweiten. Der davon ausgehende Feuerball war riesig (siehe Video). Videos davon verbreiteten sich in Windeseile im Netz, genauso wie Spekulationen darüber, was dort getroffen worden sein könnte. Die Behauptungen reichten von einem "US-amerikanischen Steuerzahler-/Nato-Waffendepot" bis zu einem Uran-Lager. Die Strahlungswerte in der Ukraine, aber auch im benachbarten Polen, seien gestiegen. Doch die Gerüchte sind falsch.

Was ist passiert?

Laut Angaben der ukrainischen Luftwaffe hat Russland in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai die Ukraine mit 21 Drohnen angegriffen. 17 davon habe man abschießen können. Die anderen vier "trafen das Gebiet der Region Chmelnyzkyj". Wo diese jeweils einschlugen, kommentierte die Luftwaffe bisher nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass der Einschlag einer der vier Drohnen in den auf Social Media kursierenden Videos zu sehen ist (siehe Video oben).

Wo ist die Drohne eingeschlagen?

Die Explosion hat sich rund drei Kilometer vor den Toren der Stadt Chmelnyzkyj ereignet, bei der Militäreinheit A3013. Das zeigt der Abgleich der Videos mit verschiedenen Kartendiensten eindeutig (siehe folgende Bildstrecke). Die mithilfe der in den Clips zu sehenden Details ausgemachte Perspektive weist auf einen Ort hin, der "in der Vergangenheit – mindestens bis ins Jahr 2011 – als Munitionslager diente", wie DPA-factchecking.com aus einer ukrainischen Quelle zitiert.

Die Explosion bei Chmelnyzkyj wurde aus mehreren Perspektiven gefilmt.
Die Explosion bei Chmelnyzkyj wurde aus mehreren Perspektiven gefilmt.
Screenshot Twitter

Dass der Ort in den Tagen rund um die Explosion zerstört wurde, belegen Satellitenbilder des Erdbeobachtungsunternehmens Planet Labs.

Satellitenbilder aus den vergangenen Jahrzehnten zeigen, dass sich auf dem zerstörten Gelände seit Jahren nicht viel geändert hat. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die dort nach wie vor gelagerte Munition durch den Drohnenangriff zur Explosion gebracht wurde.

Das aktuellste verfügbare Satellitenbild von der Militäreinheit A3013 auf Google Earth Pro entstand im Oktober 2021. Damals war das Areal noch intakt.
Das aktuellste verfügbare Satellitenbild von der Militäreinheit A3013 auf Google Earth Pro entstand im Oktober 2021. Damals war das Areal noch intakt.
Screenshot Google Earth Pro

Darauf gibt es keine Hinweise. Auch nicht in einer Studie (PDF) des Internationalen Konversionszentrums Bonn (BICC) über "alternde Lagerbestände von Munition sowie Klein- und Leichtwaffen in der Ukraine" aus dem Jahr 2005. In dieser listet Autor Leonid Polyakov auf, welche Munition aufgrund von Sicherheitsbedenken entmilitarisiert werden sollte. Ob seinem Rat gefolgt wurde, ist unbekannt. Es könnte also sein, dass die gelisteten Waffen Mitte Mai 2023 noch dort gelagert gewesen sein könnten. Laut dem Artikel aus dem Jahr 2011 lagerten dort damals rund 30.000 Stück Munition.

Das ist Polyakovs Aufstellung über die ihm zufolge zu entmilitarisierenden Waffen und Munitionen.
Das ist Polyakovs Aufstellung über die ihm zufolge zu entmilitarisierenden Waffen und Munitionen.
Screenshot BICC/Leonid Polyakov/2005

Was ist mit den angeblich erhöhten Strahlennwerten?

Von einem Anstieg radioaktiver Strahlung in der Region und Polen war und ist vor allem auf Social Media und bei den russischen Staatsmedien RT und "Sputnik" die Rede. Mal heißt es, im polnischen Lublin sei ein "Anstieg des Wismut-Wertes um das Sechs- bis Siebenfache" verzeichnet worden. In Chmelnyzkyj soll sich die "gemessene Gamma-Strahlung fast verdoppelt" haben.

Offizielle Stellen in beiden Ländern haben laut eigenen Angaben nichts Derartiges festgestellt: Die polnische Atomenergiebehörde erklärte, dass die Strahlensituation im Land normal sei: "Vorübergehende, erhöhte Werte des natürlichen Strahlungshintergrunds sind nichts Ungewöhnliches und kommen regelmäßig vor, etwa bei Regen." Diesen habe es zum fraglichen Zeitpunkt tatsächlich gegeben, schreibt die Maria-Curie-Skłodowska-Universität, deren Messdaten die Anhängerinnen und Anhänger des Radioaktivitätsgerüchts als vermeintlichen Beleg anführen. Beide Institutionen betonen, dass die festgestellten Strahlungswerte "für die Gesundheit nicht bedeutsam" sind und "weder eine Gefahr für Leben noch Gesundheit darstellen".

Das Gerücht der erhöhten Strahlungswerte wird oft zusammen mit einem Diagramm geteilt, das auf Messdaten der Maria-Curie-Skłodowska-Universität basiert. Doch es wird manipulativ eingesetzt.
Das Gerücht der erhöhten Strahlungswerte wird oft zusammen mit einem Diagramm geteilt, das auf Messdaten der Maria-Curie-Skłodowska-Universität basiert. Doch es wird manipulativ eingesetzt.
Screenshot Twitter

Auch den Meldungen über erhöhte Werte rund um Chmelnyzkyj erteilen offizielle Stellen eine Absage: Die Militärverwaltung bezeichnete entsprechende Behauptungen als "gefälschte Informationen": "Wir betonen, dass in der Region keine Abweichungen von den Normen für Strahlung und andere lebensbedrohliche Stoffe festgestellt wurden." Auch der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ist kein Anstieg der Strahlungswerte bekannt, wie sie gegenüber Newsweek.com angab. Die italienische Aufsichtsbehörde für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz (INSI) betonte ebenfalls, nach der Explosion "keine Anomalie in Bezug auf die Radioaktivität registriert" zu haben.

Schaut man sich beispielsweise die Daten der vergangenen zwölf Monate an, sieht man, dass die gemessene Strahlung an vielen Tagen – vorher, aber auch nachher – höher war als am 15. Mai 2023.
Schaut man sich beispielsweise die Daten der vergangenen zwölf Monate an, sieht man, dass die gemessene Strahlung an vielen Tagen – vorher, aber auch nachher – höher war als am 15. Mai 2023.
Screenshot Umcs.pl

Das staatliche ukrainische Zentrum zur Bekämpfung von Desinformation verurteilte die Falschbehauptungen in einer Stellungnahme als Teil einer "Desinformationskampagne". Entsprechend falsch sei auch ein auf Telegram geteiltes Dokument, das angeblich vom ukrainischen Gesundheitsministerium stamme und vor der erhöhten Strahlung warnt.

Fazit

Die Explosion ereignete sich nachweislich auf einem ehemaligen oder bis zum Zeitpunkt des Angriffs sogar noch in Betrieb befindlichen Munitionslager rund drei Kilometer von der ukrainischen Stadt Chmelnyzkyj entfernt. Hinweise, dass dort radioaktive Waffen gelagert wurden, gibt es keine. Die Behauptungen, wonach es nach der Detonation zu einem Anstieg radioaktiver Strahlung in der Luft gekommen ist, sind laut nationalen und internationalen Stellen falsch.

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    Getreidefarmer Oleksandr Klepach vor seinem von einem Schützengraben völlig zerfurchten Feld in Snihuriwka, Oblast Mykolajiw, im Februar 2023.
    Getreidefarmer Oleksandr Klepach vor seinem von einem Schützengraben völlig zerfurchten Feld in Snihuriwka, Oblast Mykolajiw, im Februar 2023.
    REUTERS/Lisi Niesner