Doku zu "We Are The World"

Die unwahrscheinlichste Session der Musikgeschichte

Vor genau 39 Jahren kamen Dutzende Superstars zusammen, um mit der Single "We Are The World" Geschichte zu schreiben. Nur einer wollte nicht…

Fabian J. Holzer
Die unwahrscheinlichste Session der Musikgeschichte
Der Chor von "We Are The World"
Netflix

Wenn am 28. Jänner 1985 der Blitz in die A&M Studios in Hollywood eingeschlagen hätte, dann wäre mit einem Streich ein Großteil der amerikanischen Superstars jener Tage ausgelöscht worden, so prominent waren jene Musiker, die damals für die Aufnahmen zu "We Are The World" am selben Tag zusammengekommen waren. Der in seiner Gesamtheit 7:02 Minuten lange Song ist logistisch und produktionstechnisch eines der urwahrscheinlichsten Lieder, die jemals produziert worden sind. Die jetzt auf Netflix anlaufende Doku "The Greatest Night in Pop" zeichnet die Geschichte des Songs und seiner Produktion in Spielfilmlänge nach. 

"Ich bekam einen Anruf von Harry Belafonte", erinnert sich Lionel Richie in "The Greatest Night in Pop", "und er wollte das Projekt eines Charity-Songs für die Hunger-Hilfe in Afrika starten. 'Ich brauche dich!", war, was er im Wesentlichen gesagt hat." Davor hatte sich Belafonte mit dem amerikanischen Fundraiser Ken Kragen zusammengetan, um die Fundamente einer amerikanischen Antwort auf das britische Band Aid-Projekt zu liefern, das mit der Single "Do They Know It's Christmas?" die Charts anführte. Bevor es noch eine Idee für den Song gab, wurde Lionel Richie Anfang Jänner 1985 beauftragt, das Lied zu schreiben und Star-Produzent Quincy Jones wurde gebeten, das Lied zu produzieren. Jones, der unter anderem auch Michael Jacksons Album "Thriller" produziert hatte, fragte als ersten gleich auch Jackson um seine Teilnahme und dieser meinte sofort, dass er nicht nur mitsingen, sondern das Lied auch mitkomponieren wollte. Mit Richie und Jackson als Komponisten und Jones als Produzent war das Projekt mit einem Schlag prominent, obwohl es immer noch kein Lied gab.  

Ohne Zoom und digitale Dateien mussten damals alle Musiker persönlich antanzen:

Die Musikindustrie hat während der Pandemie bewiesen, wie leicht es heute ist, dass die unterschiedlichsten Musiker von egal wo auf der Welt miteinander musizieren können, ohne sich tatsächlich begegnen zu müssen. Ein perfektes Beispiel dafür war das Anfang 2023 veröffentlichte "Defiance Part 1" von Ian Hunter, auf dem der ehemalige Sänger der Kultband Mott The Hoople mit Stars wie Slash, Jeff Beck, Ringo Starr, Taylor Hawkins oder Billy Bob Thornton musizierte, ohne ihnen zu begegnen. Deep Purple haben mit "Turning To Crime" (2021) sogar ein ganzes Doppelalbum im Lockdown räumlich getrennt eingespielt. Aber in Jänner 1985 bedeuteten Studioaufnahmen in der Regel noch, dass die Interpreten tatsächlich antanzen mussten, um dabei zu sein. Das größte Problem war also für die Produzenten des noch namenlosen Songs, einen Termin zu finden, an dem die größtmögliche Zahl an Stars an einem Ort zusammenkommen kann und Zeit hat. Als Aufnahmedatum entschieden sich Quincy Jones und sein Team für den 28. Jänner 1985, den Vortag der Verleihung der American Music Awards und somit einem der größten Events der Musikbranche des Jahres.  

Lionel Richie und Michael Jackson hatten nur knapp zwei Wochen Zeit, den Song zu schreiben, wobei die Grundideen von Richie kamen und das Songwriter-Duo gemeinsam darauf aufbaute. Der Stichtag für die Melodien war der 22. Jänner, denn für diesen Tag waren Studiomusiker gebucht, um die Instrumente aufzunehmen. Gleichzeitig wurde das Who is Who der amerikanischen Musikszene durchtelefoniert, ganz unabhängig von ihrem Musikstil. Rockmusiker wie Bruce Springsteen, Steve Perry, Bob Dylan oder Huey Lewis wurden dabei genauso angefragt wie die Country-Ikonen Kenny Rogers und Willie Nelson, Soul-Giganten wie Ray Charles, Tina Turner, Dionne Warwick und Al Jarreau oder Postars von Billy Joel, Madonna oder Paul Simon. Bis auf Madonna sagten alle zu, deren Management ihr damals dazu abriet. Zugesagt, aber nicht teilgenommen hat auch Prince, woraufhin die Gerüchteküche jahrelang brodelte, ob das Nicht-Erscheinen von Prince etwas mit seiner damaligen Rivalität mit Michael Jackson zu tun hatte. 

Strenge Geheimhaltung: Ein Auflauf von Journalisten und Fans hätte die Session gefährdet

Die Aufnahmen gestalteten sich zur permanenten Zitterpartie für alle Beteiligten, denn der finale Text lag erst am Vorabend der tatsächlichen finalen Aufnahmesession vor und die Macher hatten große Angst, dass der geheime Aufnahmeort, die A&M Studios in Hollywood an die Presse durchsickern könnte. Eine so große Ansammlung an Stars an einem so geschlossenen Ort hatte es bis dato noch nie gegeben und die Produzenten hatten Angst vor Massen an Fans, die durch ihre reine Anwesenheit die Aufnahmen gefährden würden. Die wahren Probleme entstanden aber während den Aufnahmen, denn zu einen versagte die Technik immer wieder, zu anderen auch die eine oder andere Stimme. Erst gegen 22.30 Uhr des 28. Jänners 1985 konnten die Aufnahmen beginnen und sollten bis 8 Uhr am nächsten Tag dauern. 

Der Rest ist Musikgeschichte. Das legendäre Video zu "We Are The World" zeigt einen Zusammenschnitt einiger individueller Aufnahmesessions und des finalen Chorgesangs, zum dem sich auch Künstler wie Dan Akroyd, Bette Midler und Lindsay Buckingham, aber auch praktisch die gesamte singende Familie von Michael Jackson, Band Aid- und Live Aid-Gründer Bob Geldof und Initiator Harry Bellafonte gesellten. So schnell die Komposition und Ansammlung der Stars auch über die Bühne ging, sollte es noch bis zum 7. März dauern, bis "We Are The World" als Single veröffentlich wurde. Dafür wurde die Single aber sofort zur Nummer 1 in den USA, Großbritannien, Irland, Frankreich und etlichen anderen Ländern. In Österreich und Deutschland landete der Song wegen Falcos "Rock Me Amadeus" nur auf Platz 2. Alleine in den USA wurde die Single 20 Millionen mal verkauft und so kamen für die Hunger-Hilfe in Afrika 63 Millionen Dollar zusammen, was heute inflationsbereinigt knapp 170 Millionen Dollar wären.

Heute weiß man natürlich, dass bei "We Are The World" praktisch alles geklappt hat und das ein Großteil der Superstars der mittleren 1980 Jahre an der Produktion beteiligt waren. Die Netflix-Doku "The Greatest Night in Pop" zeigt aber auf beeindruckende Weise, wie wenig hätte passieren müssen, damit das gesamte Projekt gescheitert wäre. Heute ist es kaum mehr vorstellbar, dass so viele so hochkarätige Stars alle ihre Egos bei der Tür eines einzigen Aufnahmestudios abgeben, um gemeinsam an einem einzigen Lied zu arbeiten. Im Feuer des Gefechtes vergaßen die Protagonisten 1985 schnell, dass Kameras alles eingefangen haben, was passierte, was die Aufnahmen zu einem spannenden Zeitdokument machen. Und dank neuer Interviews mit Teilnehmern wie Lionel Richie, Bruce Springsteen, Cindy Lauper oder Huey Lewis ist die Doku ein großartige Einblick in die vielleicht unwahrscheinlichste Musikaufnahme der letzten Jahrzehnte. 

Die VIP-Bilder des Tages:

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    Amadeus-Abräumerin Melissa Naschenweng entspannt sich nach der Preisverleihung im Pool.
    Amadeus-Abräumerin Melissa Naschenweng entspannt sich nach der Preisverleihung im Pool.
    Melissa Naschenweng/Instagram
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