Angriffs-Analyse

"Drohkulisse, die der Iran aufgebaut hat, ist verpufft"

Israel greift gezielt iranische Atomanlagen an, der Iran reagiert mit Drohnen und Raketen. Drei Experten analysieren, was das für die Welt bedeutet.
13.06.2025, 20:39
Loading...
Angemeldet als Hier findest du deine letzten Kommentare
Alle Kommentare
Meine Kommentare
Sortieren nach:

Kommentare neu laden
Nach oben

Israel startete einen gezielten Militäreinsatz gegen iranische Atomanlagen und militärische Einrichtungen. Der Iran reagierte mit einem massiven Drohnen- und später einen Raketenangriff auf Israel. Was bedeutet diese Eskalation militärisch und strategisch? Droht nun ein Flächenbrand? Drei Experten beantworten für "20 Minuten" die wichtigsten Fragen:

Wie konnte Israel überhaupt so tief zuschlagen?

Andreas Böhm, Nahost-Experte an der Uni St. Gallen, erklärt, der Angriff sei durch eine bereits geschwächte iranische Flugabwehr möglich geworden. Zudem habe der israelische Geheimdienst das "korrumpierte und dysfunktionale" iranische System gezielt unterwandert – durch Bestechung und die Ausnutzung der wirtschaftlichen Schwäche des Irans. "So konnten hochrangige Militärs ausgeschaltet werden, obwohl sie mit einem Angriff rechneten."

Auch der Iran-Experte Walter Posch betont, wie tief sich Israel über die letzten Jahre im Iran festgesetzt habe. Der Schlag sei ein Zeichen dafür, wie schlecht der iranische Sicherheitsapparat funktioniere. "Der Apparat ist auf die Sicherung des Regimes ausgelegt – aber nicht darauf, den Staat zu schützen." Offenbar habe Israel den Angriff gegen den Willen Trumps durchgeführt, der ja mit dem Iran verhandeln wollte. "Es zeigt, wie selbstbewusst Netanyahu handelt."

Israel spricht von einem präzisen Schlag, was weiß man über zivile Opfer?

Israel habe den Angriff lange geplant und alle potenziellen Ziele zuvor identifiziert, sagt Marc Finaud vom "Geneva Centre for Security Policy": "Es hatte bereits verdeckte Operationen durchgeführt, darunter gezielte Tötungen von Wissenschaftlern oder Offizieren sowie Sabotageakte." Kollateralschäden seien bei solchen Luftangriffen unvermeidlich. "Und wie man in Gaza sieht, wendet Israel die Kriegsregeln nicht konsequent an, was zivile Opfer erklärt."

Hat Israel mit einem Gegenschlag gerechnet?

"Ja", meint Posch – und genau deshalb habe Israel überhaupt zugeschlagen. "Israel geht davon aus, dass der Iran sein Pulver bereits verschossen hat." Zwar verfüge Teheran über Raketen und Drohnen, doch diese müssten über Drittstaaten wie Jordanien oder Saudiarabien fliegen – und könnten dort abgeschossen werden.

Wie ist das Kräfteverhältnis zwischen Israel und Iran?

Israel sei dem Iran in Bezug auf Flugzeuge und moderne Waffentechnologie deutlich überlegen, so Finaud. "Der Iran wiederum, seit Jahrzehnten von Sanktionen betroffen, musste in ballistische und Marschflugkörper sowie in die Massenproduktion von Drohnen und den Aufbau von Stellvertretertruppen in der Region investieren." Zudem sei Israel das einzige Land im Nahen Osten mit Atomwaffen. Böhm sieht das ähnlich: Militärisch sei der Iran gegenüber Israel klar unterlegen: "Während Israel über modernste Waffensysteme verfügt, müsste der Iran vor allem auf asymmetrische Methoden wie Terroranschläge setzen, sollte der Konflikt weiter eskalieren."

Wie realistisch ist eine Eskalation des Kriegs?

Die Gefahr einer Eskalation ist laut Finaud groß: "Der Iran hat bereits nach dem Angriff auf sein Konsulat in Damaskus reagiert – und könnte jetzt auch US-Truppen in der Region ins Visier nehmen." Letztlich könnte der Iran auch aus dem Atomwaffensperrvertrag aussteigen und ankündigen, Atomwaffen zur Verteidigung seines Territoriums zu produzieren.

Ein längerer Krieg ist laut Böhm aber unwahrscheinlich: Israel setze traditionell auf schnelle, gezielte Schläge. "Die Strategie ist, das iranische Programm und die Führung kurzfristig zu schwächen – nicht, einen langwierigen Krieg zu führen." Sollte der Iran seine militärischen Kapazitäten wieder aufbauen, werde Israel einfach erneut zuschlagen. Politisch hänge vieles davon ab, wie sich die US-Regierung positioniere, fügt Finaud hinzu.

Droht ein Flächenbrand in der Region?

Die Hizbollah im Libanon sei geschwächt, die Huthi im Jemen könnten aber versuchen, durch Angriffe auf Schiffe Unruhe zu stiften, so Böhm. "Der Iran könnte ausserdem versuchen, die Strasse von Hormus zu blockieren, was die Weltwirtschaft treffen würde." Verbündete habe der Iran nicht mehr viele, fügt Posch an: Mit dem Verlust Syriens als Verbündeten durch das Ende des Assad-Regimes sei ein zentrales Drehkreuz weg. "Die Drohkulisse, auf die der Iran vor einem Jahr noch zählen konnte, ist verpufft."

Auch China oder Russland würden sich kaum einmischen, sind sich beide Experten einig: "China wird kaum für den Iran in die Bresche springen, die sehen auch, wie marode das iranische System ist", sagt Posch. Andere Länder wie Saudi-Arabien seien für China interessanter, auch aus wirtschaftlichen Gründen. "Moskau könnte den Konflikt höchstens nutzen, um von der Ukraine abzulenken", fügt Böhm an. Finaud betont, dass zwar viele arabische Staaten wie Saudi-Arabien den Angriff bereits verurteilten: "Die Mehrheit dürfte sich aber neutral verhalten. Die Normalisierung zwischen Israel und den Golfstaaten, die schon durch den Gaza-Krieg gebremst wurde, dürfte nun ganz zum Stillstand kommen."

Ist eine Reaktion des Irans mit Atomwaffen denkbar?

"Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass der Iran die strategische Entscheidung getroffen hat, Atomwaffen zu bauen, oder über die nötige Fähigkeit verfügt", sagt Finaud. "Wenn der Iran wirklich eine bauen wollte, hätte er das wohl längst getan", fügt Böhm an. Auch Posch ist dieser Meinung: "Es gibt keinen Beweis, dass der Iran Atomwaffen besitzt." Selbst wenn Teheran an der Bombe arbeiten würde – was für eine Regionalmacht wie den Iran der Abschreckung dienen würde –, habe das kaum Wirkung: "Der israelische Angriff zeigt, dass selbst ein mögliches Atomprogramm Gegner wie Israel nicht abschreckt."

{title && {title} } red,20 Minuten, {title && {title} } Akt. 14.06.2025, 15:58, 13.06.2025, 20:39
Weitere Storys
Jetzt E-Paper lesen