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Erste Bewohner zogen in Seestadt Aspern ein

Heute Redaktion
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Noch dröhnt der Baulärm über dem Wiener Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern: Bagger rollen über provisorische Straßen, alles ist mit einem Staubfilm überzogen, Gitter statt Büsche säumen die Wege. Inmitten des Chaos leuchtet eine Fassade weiß: Hier bezogen die Mitglieder der Baugruppe "JAspern" am Donnerstag ihre Wohnungen im ersten fertigen Haus der neuen Seestadt.

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"Es ist uns bewusst, dass wir noch mit ein paar Belastungen rechnen müssen", erklärte eine junge Mutter. Belastungen heißt vor allem: Lärm, Staub und fehlende Infrastruktur. Bis die ersten Geschäfte einziehen, versorgt etwa ein temporärer Greißler die Bewohner. Die neuen Seestädter nehmen das aber gerne in Kauf: "Am Ende hat uns ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, das gute Umfeld und das ökologische, verkehrstechnische und soziale Konzept überzeugt", berichtet die Bewohnerin. 18 Eigentumswohnungen werden heute bezogen.

Infrastruktur steht erst im Frühjahr 2015

In einem halben bis dreiviertel Jahr sollte zumindest in dieser Ecke des Areals das Gröbste vorbei sein, dann wird es auch eine Apotheke im Erdgeschoß des Hauses geben und der Gemeinschaftsraum fertiggestellt sein. Bis Ende des Jahres werden 420 Wohneinheiten fertig, rund 900 Menschen werden hierher übersiedeln. Bis dahin versucht die Stadt mit dem Stadtteilmanagement auf die Bedürfnisse der neuen Bewohner einzugehen.

Heute sind die Betreuer mit den grünen Westen mit einem offenen Ohr und einem Willkommenssackerl vertreten, das sie den Neuankömmlingen in die Hand drücken. Scheinbar mit Erfolg: "Ich bin guter Dinge, dass wir das überstehen werden", schmunzelt die Neo-Seestädterin. Immerhin konnten die Mitglieder der Baugruppe "JAspern" rund um Architekt Fritz Oettl den Wohnblock von Anfang an nach ihren eigenen Wünschen mitgestalten.

"Besonders schöner Tag"

Auch Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) hat es zur feierlichen Wohnungsübergabe in den Nordosten Wiens verschlagen. "Heute ist ein besonders schöner Tag", kommentierte er die Etappe des Langzeitprojekts. Denn ganz reibungslos sei der Weg dorthin nicht verlaufen. "Schwierig war vor allem die Größe des Stadtentwicklungsprojekts, die Seestadt ist immerhin so groß wie der 7. und der 8. Bezirk zusammen. Wir können daher nicht nur Wohnungen hierherbauen, sondern müssen auch die verkehrstechnische und soziale Infrastruktur bereitstellen", meinte der Stadtrat.

Mit der U2 auf die Baustelle

Man habe jedoch von internationalen Vorgängern gelernt: "Das ist sicher die einzige europäische Baustelle, wo schon die Bauarbeiter mit der U-Bahn zur Arbeit fahren können", so Ludwig. Derzeit fährt allerdings nur jede zweite U2 tatsächlich bis zur Endstation Seestadt.

Bis 2030 wird sich das ändern - dann sollen auf dem 240 Hektar großen Areal 10.500 Wohnungen entstanden sein und 20.000 Menschen wohnen. Das Interesse sei jedenfalls groß. Alle Wohneinheiten, die bis Jahresende fertig werden, seien schon vergeben. "Am besten interessiert man sich schon in Planungsphase und meldet sich frühzeitig an", erklärte der Wohnbaustadtrat. Gebaut werden sowohl freifinanzierte, geförderte oder eben von Baugruppen entworfene Wohneinheiten.

Erste Bewohner als Versuchskaninchen

Jetzt sind allerdings erst einmal die Versuchskaninchen der Baugruppe "JAspern" am Zug, sie sollen auch zeigen, wie das Leben in der neuen Stadt vor der Stadt funktioniert. Auch deshalb gibt es vor dem Haus einen "Ideenpool", einige Kärtchen baumeln schon von den Ästen: Ein Wochenmarkt wird hier gewünscht, viele Bäume (vor allem duftende) schlägt ein anderer Neo-Seestädter vor. Und: Mehr Parkplätze.

Nostalgikern wird wohl das Herz geblutet haben: Am 3. Juli 2009 wurde mit dem Abriss der Rollbahn des ehemaligen Flugfelds Aspern in Wien-Donaustadt begonnen. Spätestens damit endete die fast 100-jährige Geschichte des einst modernen Luftverkehrsknotenpunkts. Statt Flugzeugen bevölkern nun die ersten Wiener das Areal, das nun das Stadtentwicklungsprojekt "Seestadt" Aspern beherbergt.

20.000 Wohn- und Arbeitsplätze

Mit anvisierten 20.000 Wohn- und genauso vielen Arbeitsplätzen im Vollausbau ist das 240 Hektar umfassende Projekt derzeit Wiens größtes Stadtentwicklungsgebiet.

Seite 2: Mit Superlativen konnte das Gelände bereits vor Jahrzehnten aufwarten!

Im Sommer 1912 wurde in Aspern ein Flughafenkomplex eröffnet, der zeitweilig als größter Airport des Landes fungierte. Nach wechselvoller Geschichte wurde das Gelände 1955 vom Österreichischen Aero-Club übernommen und für Sportflugzeuge genutzt.

Ab diesem Zeitpunkt drehten am Areal auch schnelle Autos ihre Runden: Exakt am 28. April 1957 fand am Stadtrand Wiens das erste internationale Autorennen in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Die legendäre "Rumpelpiste" war in der Folge bis 1977 Spielwiese von Legenden wie Niki Lauda oder Jochen Rindt.

Aspern hatte als Fliegerstützpunkt nicht zuletzt wegen des sukzessiven Ausbaus von Wien-Schwechat zunehmend an Bedeutung verloren. 1977 wurde das Flugfeld endgültig geschlossen. Auf einem Teil des Platzes siedelte sich Anfang der 1980er-Jahre General Motors mit einem Motorenwerk an, das Flughafengebäude und der Kontrollturm fielen Abrissbirnen und Bulldozern zum Opfer. Die Fliegerclubs siedelten großteils ab. Ab 1988 nutzte der ARBÖ die Anlage als Verkehrsübungsplatz.

Erste Stadtentwicklungspläne gab es seitens der Gemeinde bereits in den frühen 1990er-Jahren. Damals war von 10.000 Bewohnern und 6.000 Arbeitsplätzen die Rede. Im Windschatten der EU-Osterweiterung, des erwartbaren Wachstums der Bundeshauptstadt und der Entscheidung, das Straßen- und U-Bahnnetz - konkret die U2 - in den Donaustädter Stadtteil zu führen, vergrößerte sich die Dimension des Vorhabens jedoch deutlich. Die U-Bahn hält nun auch tatsächlich bereits in der "Seestadt".

Nach derzeitigem Stand sollen ab 2030 20.000 Menschen am ehemaligen Flugfeld leben und ebenso viele dort arbeiten. Die ersten Wohnungen wurden im September übergeben. Als Herzstück des Retorten-Stadtteils wurde ein 50.000 Quadratmeter großer See konzipiert.