Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag in Brüssel zum Gipfel treffen, gibt es ein Thema, das wohl alles überschattet: Es geht darum, ob die in Europa eingefrorenen russischen Vermögen als sogenanntes Reparationsdarlehen für die Ukraine genutzt werden sollen.
Schon seit Monaten diskutieren die EU-Länder, wie sie die Hilfe für die Ukraine in den nächsten beiden Jahren weiter finanzieren können. Die Bundesregierung spricht von einer "Schicksalswoche" für Europa.
Ratspräsident António Costa hat die Mitgliedsstaaten bereits gewarnt: Falls nötig, wird der Gipfel mehrere Tage dauern – solange, bis eine Entscheidung fällt, wie die Ukraine ab 2026 unterstützt werden soll. Bisher hat Costa immer darauf geschaut, dass die Treffen unter seinem Vorsitz nach einem Tag erledigt sind.
Beim Thema der eingefrorenen russischen Vermögenswerte ist aber auch wenige Tage vor dem Gipfel noch kein Durchbruch in Sicht. Vor allem Belgien stellt sich quer. Das Land will dem Plan der EU-Kommission nicht zustimmen, die von Euroclear in Brüssel verwalteten Milliarden der russischen Zentralbank zu leihen und als Darlehen an die Ukraine weiterzugeben. Nach dem Vorschlag müsste die Ukraine das Geld nur dann an die EU zurückzahlen, wenn Russland Reparationszahlungen an Kiew leistet. Russland könnte das Geld erst dann von Euroclear zurückfordern, wenn die EU die Sanktionen aufhebt und das Vermögen freigibt.
Insgesamt geht es um rund 200 Milliarden Euro. Davon sollen zuerst 90 Milliarden in zwei Tranchen an Kiew ausgezahlt werden. Nach fast vier Jahren finanzieller Unterstützung für die Ukraine und angesichts leerer Kassen befürworten viele EU-Länder diese Lösung, besonders Deutschland. Der belgische Premier Bart de Wever fürchtet allerdings finanzielle und rechtliche Folgen sowie russische Vergeltung gegen sein Land. Auch Italien hat Bedenken.
Die Kommission hat schon Anfang Dezember ein dreistufiges System zur Absicherung des Darlehens vorgestellt, um die Sorgen zu zerstreuen – bislang aber ohne Erfolg.
Aus Diplomatenkreisen heißt es, das Ergebnis der Verhandlungen ist weiterhin offen. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas spricht von "zunehmend schwierigen" Verhandlungen. Für eine Entscheidung reicht eine qualifizierte Mehrheit der EU-Länder. Ein hochrangiger EU-Diplomat sagte der Nachrichtenagentur AFP aber: "Es ist schwer vorzustellen", dass die Entscheidung ohne Belgien getroffen wird.
Unklar ist auch, wie die EU-Länder die Unterstützung für die Ukraine ohne das russische Geld weiterführen wollen. Dass die Hauptstädte bereit sind, sich für Kiew weiter zu verschulden, ist kaum vorstellbar. Auch eine gemeinsame Schuldenaufnahme dürfte schwierig werden. Möglich wäre eine neue "Koalition der Willigen", bei der einige EU-Länder gemeinsam eine Lösung suchen – das wäre aber keine europäische Lösung mehr.
Aus deutschen Regierungskreisen hieß es am Dienstag, der geplante Beschluss zur Nutzung der eingefrorenen russischen Vermögen sei zentral für die "Überlebensfähigkeit" der Ukraine und für die "Handlungsfähigkeit der Europäischen Union".
Zusätzlich sieht US-Präsident Donald Trump die russischen Vermögenswerte offenbar als Verhandlungsmasse im Ringen um ein Ende des Ukraine-Kriegs. Einige EU-Länder fürchten, die Kontrolle über das Geld zu verlieren, wenn die EU nicht rasch handelt.
Es steht also viel auf dem Spiel. Auch bei einem anderen Thema gibt es noch keine Einigung: Nach mehr als 25 Jahren Verhandlungen will die EU-Kommission heuer das Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten unterschreiben. Doch Frankreich und andere Länder protestieren. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plant, am Samstag nach Brasilien zu fliegen, um das Abkommen zu unterzeichnen. Aus Berliner Regierungskreisen heißt es: Sollte es beim Freihandelsabkommen kein Ergebnis geben, dann sei dieses "wahrscheinlich tot".