Gesundheit

Experte warnt – zehntausende Corona-Fälle pro Tag mehr

Die Urlaubszeit hält uns eine Coronawelle vom Leib. Dennoch ist von viel mehr Fällen auszugehen, als die offizielle Zahl angibt. Ein Experte erklärt.

Sabine Primes
Peter Klimek - er warnt vor sehr hohen Corona-Zahlen im Herbst und korrigiert die offiziellen Zahlen.
Peter Klimek - er warnt vor sehr hohen Corona-Zahlen im Herbst und korrigiert die offiziellen Zahlen.
Jeff Mangione / KURIER / picturedesk.com ; BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com

Österreichweit gab es in den letzten 24 Stunden insgesamt 6.992 Corona-Neuinfektionen und 16 Todesfälle. Doch mit dieser Zahl sind wir weit von der Prognose von zehntausenden Fällen täglich entfernt - "Heute" berichtete hier.  Die offiziellen Coronazahlen sind laut dem Komplexitätsforscher Peter Klimek mit Vorsicht zu genießen. Denn es gibt einen Unterschied zwischen der Anzahl der tatsächlich Infizierten im Land und der Zahl der Infektionen, die gemeldet werden (indem mittels PCR getestet wird, damit die Meldekette in Gang kommt).

"Da die Zahl der Testungen in der Bevölkerung drastisch abgenommen hat, repräsentiert die täglich veröffentlichte Infektionszahl lediglich die gemeldeten Fälle. Wie viele aber tatsächlich infiziert sind, es aber nicht wissen, weil nicht oder nicht offiziell getestet wird, werden in dieser Zahl logischerweise nicht erfasst. Auch wer zu Hause mit den "Wohnzimmertests" (Antigentest) selbst den Abstrich macht, wird nicht gemeldet", erklärt Klimek im "Heute"-Gespräch.

Faktoren der Prognose

Um seriöse Prognosen über das Infektionsgeschehen stellen zu können, braucht es mehr Variablen als nur die Zahl der Testungen. Bislang wurden dazu drei Konstanten herangezogen: Die Testzahlen, die Spitalsbelegungen (Normalstation) und das Abwassermonitoring in Österreich. "Aufgrund der abnehmenden Testungen wird diese Zahl in künftigen Prognosen daher nicht mehr so prominent sein wie bisher. Einfach weil sie keine verlässliche Konstante mehr ist", hält der Experte fest.

Auch die Spitalszahlen werden weiterhin berücksichtigt, wobei hier weiter an einer Unterscheidung zwischen Patienten, die mit oder wegen Corona im Spital behandelt werden, gearbeitet werden müsse. Derzeit würde dieser kleine, aber feine Unterschied noch immer vermischt, sagt Klimek. Für die Prognose seien natürlich jene wichtig, die wegen Corona medizinische Betreuung brauchen.

"20.000 bis 25.000 Fälle"

Vor allem die Abwasseranalyse wird ein wichtiger Faktor in künftigen Prognosen sein. "Das Ziel ist, sich von menschlichen Verhaltensfaktoren unabhängig zu machen und genau das erfüllt das Abwassermonitoring", so Klimek. Deshalb sei auch derzeit von einer weitaus höheren Zahl an Corona-Infektionen auszugehen, als die Zahl der gemeldeten Fälle beschreibt. "Würden wir ähnlich testen wie noch vor ein paar Monaten, ginge ich tatsächlich davon aus, dass die gemeldeten Fallzahlen in dem Bereich 20.000 bis 25.000 lägen; dann würde auch die Relation zu den Spitalszahlen und zum Abwasser passen."

Langsamer Aufwärtstrend

Bis dato ist ein rückläufiger Trend im Abwasser zu beobachten gewesen, der sich langsam aber sicher wieder umzukehren scheint. Der Grund: Die Reiserückkehrer. Aufgrund des Ferieneffekts würde sich der Peak bis in den Herbst verschieben, der Schulbeginn würde sein Übriges tun, so der Komplexitätsforscher. Dann sei mit 1.000 Spitalsbelegungen mehr zu rechnen als derzeit und auch tatsächliche Infektionen aufgrund von Abwasserdaten zwischen 35.000 bis 70.000 seien realistisch.

Corona-Monitoring

Um Corona in Zukunft routinemäßig überwachen zu können, wie es bei der Influenza etwa gemacht wird, brauche Österreich ein geeignetes Überwachungssystem, das es derzeit noch nicht so wirklich gibt. Vorschläge lägen am Tisch, jetzt seien die Politik und die Entscheidungsträger am Zug, betont Klimek. "Sonst könnte es passieren, dass wir die Pandemie herausfordern – und das kann wohl keiner wollen."