Als Lala und einige ihrer Kollegen und Kolleginnen sich bei der US-Fluggesellschaft Global X als Flight Attendants bewarben, träumten sie von Reisen in die Karibik, mit Reichen und Berühmten als Passagiere. "Diese Erfahrung ist nicht zu übertreffen", versprach ein Firmenslogan. Doch dann sah die Realität komplett anders aus: Global X unterzeichnete nach Angaben eines Crewmitgliedes einen Fünf-Jahresvertrag mit der US-Einwanderungsbehörde ICE.
Heute führt die Airline fast ausschließlich Abschiebeflüge durch. Von mehreren Drehkreuzen, die Global X in den USA bislang nutzte, operiert am meisten eines: Harlingen im Süden von Texas, wo eine der größten Hafteinrichtungen für illegale Einwanderer steht. Flight Attendant Lala und die anderen, die ihre echten Namen aus Sicherheitsgründen nicht verraten wollen, berichten in einem Artikel von "ProPublica" von ihrem Arbeitsalltag.
Die meisten Migranten und Migrantinnen, die seit Jänner von der Einwanderungsbehörde ICE abgeschoben werden, sind keine verurteilten Kriminellen. Dennoch schreibt die US-Behörde in ihren Richtlinien Fesseln für alle vor. "Gefangene werden mit Handschellen, Hüftketten und Fußfesseln vollständig gesichert", heißt es im Betriebshandbuch von ICE.
Auf einem Abschiebeflug mit über 100 gefesselten Menschen reisen mehr als ein Dutzend private Sicherheitskräfte mit, dazu ein ICE-Beamter und zwei Krankenpfleger. Das Sicherheitspersonal ist dafür zuständig, die Menschen an Bord mit Essen und Wasser zu versorgen und sie zu den Toiletten zu begleiten. Dadurch haben die Flugbegleiter und Flugbegleiterinnen, deren Anwesenheit von der US-Luftfahrtbehörde FAA vorgeschrieben ist, wenig zu tun.
Laut den Flight Attendants sagen sie lediglich die üblichen Sicherheitsanweisungen vor einem Flug an. Für die überwiegend spanischsprachigen Passagiere werden die Sicherheitshinweise nur auf englischer Sprache gegeben.
Sobald die Maschine 3000 Meter Höhe erreicht, steht das Kabinenpersonal von seinen Jumpseats auf und setzt sich in die vorderen für sie reservierten Reihen. Einige erzählen, dass sie aus Langeweile Kreuzworträtsel lösten, andere nutzten die Zeit, um Fotos aus dem Fenster zu machen.
Für die Besatzungsmitglieder gelten auf Abschiebeflügen eigene Regeln, die in einem Firmenhandbuch aufgelistet sind. "Sprechen Sie nicht mit den Gefangenen. Geben Sie ihnen kein Essen. Vermeiden Sie Blickkontakt. Gehen Sie nicht ohne Begleitung eines Sicherheitsbeamten durch die Gänge. Setzen Sie sich nicht auf Gangplätze, wo Gefangene Ihnen nahe kommen könnten. Tragen Sie den Foulard zu Ihrer Uniform nicht." Lala erklärt: "Aus Sicherheitsgründen, weil ein Gefangener das Foulard schnappen und uns verletzen könnte."
Ein Flugbegleiter, der in den Beruf eingestiegen war, weil er Freude am Umgang mit Menschen hat, kann es sich nicht verkneifen, das Protokoll gelegentlich zu brechen. "Wenn jemand ‹Hola› zu mir sagt, sage ich ‹Hola› zurück", sagt er. Schließlich sei er "kein A***schloch", meint er. Wer jedoch gegen die ICE-Richtlinien verstößt, riskiert, von einem Regierungsbeamten bei Global X angezeigt zu werden.
Lala erinnert sich noch an ihre Trainingswochen in Miami, wo Global X seinen Hauptsitz hat: Die angehende Flugbegleiterin bereitete sich auf Wasserlandungen vor, in einer nachgebauten Airbus-A320-Kabine übte sie, wie man schwere Notausgangstüren öffnet und schließt und Kommandos ruft. Sie lernte Wiederbelebung und Feuerlöschen. Nur eines brachte Global X seinem Personal nicht bei: Wie mit Menschen umzugehen ist, die "von den Händen bis zu den verdammten Knöcheln" gefesselt sind, ärgert sich einer von Lalas Kollegen.
"Wir haben nie eine klare Antwort darauf bekommen, was wir bei einer Evakuierung tun", sagt ein anderer. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Abschiebeflug in einer Katastrophe endet", kommentiert eine weitere Person.
Aus Sicht der interviewten Flight Attendants stehen die Fesseln im Widerspruch zur "90-Sekunden-Regel" der FAA, in denen im Notfall ein Flieger komplett evakuiert werden sollte. Die Crewmitglieder geben an, niemand habe ihnen gesagt, wie sie Passagiere in Ketten evakuieren sollten. "Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was wir tun würden", sagte Lala.
Auch Bobby Laurie, Flugsicherheitsexperte und ehemaliger Flugbegleiter, findet die Regelung auf ICE-Flügen "beunruhigend". "Zur Ausbildung von Flugbegleitern gehört es, die Passagiere zu identifizieren, die bei einer Evakuierung helfen können", sagte Laurie gegenüber "ProPublica". Das wären in diesem Fall die Sicherheitskräfte. "Aber wenn sie der Crew helfen müssen, wer hilft den gefesselten Menschen?", fragt sich Laurie.
Eine von Lalas Kolleginnen weiß noch, was ein Global X-Instruktor in einem Kurs vorschlug: "Wenn es in der Kabine brennt oder wir auf dem Wasser landen, sieht nicht nach den Einwanderern. Stellt nur sicher, dass die Sicherheitsmänner und das Regierungspersonal es aus dem Flieger schaffen." "Es war, als wäre das Leben der Inhaftierten wertlos", meinte eine weitere Kollegin.
Kürzlich hatte Lala ein kleines Mädchen an Bord, das während eines Flugs eine Atemkrise hatte und zusammenbrach. Das Kind hatte über 39 Grad Fieber, es bekam kaum Luft. Lala versorgte es mit Sauerstoff, während die mitreisende Pflegerin untätig blieb.
Nach langem Zögern kehrte der Flieger in Richtung Arizona um. Die Mutter des Mädchens, die in der Stresssituation einen epileptischen Anfall erlitt, benötigte ebenfalls Hilfe. Als die Maschine auf US-Boden landete, eilten Sanitäter an Bord und holten Mutter und Tochter aus dem Flugzeug. Der Vater versuchte, mitzukommen. Doch die Sicherheitskräfte hielten ihn davon ab.
Geschockt ging Lala auf den zuständigen Beamten zu. "Das ist nicht in Ordnung!", schrie sie. Die Familie müsse zusammenbleiben. Doch der ICE-Angestellte wimmelte ab. Nur ein Elternteil könne das Kind ins Spital begleiten. Der Vater wurde am Schluss alleine abgeschoben.
Nach dem Vorfall kehrte Lala nicht mehr zur Arbeit zurück. Auch die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen haben mittlerweile bei Global X gekündigt.