Politik

Geheimdienst-Chef warnt: Anschlagsgefahr "hoch"

Die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst verrichtet seit knapp eineinhalb Jahren ihre Arbeit. Leiter Haijawi-Pirchner sieht "hohe" Gefahr. 

Der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, Omar Haijawi-Pirchner, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Innenminister Gerhard Karner.
Der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, Omar Haijawi-Pirchner, bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Innenminister Gerhard Karner.
EVA MANHART / APA / picturedesk.com

Als direkte Konsequenz der BVT-Affäre wurde der Staats- und Verfassungsschutz mit 1. Dezember 2021 auf neue Beine gestellt: Die neu gegründete Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst fungiert seither unter der Leitung von Omar Haijawi-Pirchner – nun wurde der erste Staatsschutzbericht der neuen Direktion veröffentlicht. "Im Journal zu Gast" ordnet der Staatsschutz-Chef extremistische Gefahren in Österreich ein und fordert weitreichendere Ermittlungsmöglichkeiten, vor allem angesichts der steigenden Spionage-Gefahr im Lande. 

Aktuell gebe es in Österreich demnach eine mittlere zweistellige Anzahl islamistischer und rechtsextremistischer gewaltbereiter Personen. Beispielsweise angesichts der Polarisierung zwischen Rechtsextremisten und der LGBTIQ-Community, wie sie die Gegendemonstrationen anlässlich einer Drag Queen-Lesung in Wien verdeutlichte, bestehe durchaus die Gefahr von Gewalteskalationen. Die DSN sei daher "sehr wachsam", so Haijawi-Pirchner. Das Risiko rechtsextremistisch und islamistisch motivierter Anschläge hält sich laut dem Experten in etwa die Waage. 

Anschlag geplant

Der homophobe Anschlag in Bratislava vergangenen Oktober habe gezeigt, "dass Rechtsextremisten auch dazu fähig sind, Anschläge auf diese Szene durchzuführen". In Österreich war wohl auch ein Anschlag auf eine KPÖ-Veranstaltung geplant. Anschlagspläne werden von Gewaltbereiten immer wieder im Internet veröffentlicht, auch zu größeren Waffenfunden komme es immer wieder.

Islamistischer Terror hat in Wien bekanntermaßen bereits seine traurigen Spuren hinterlassen. Aktuell gebe es in diesem Bereich zwei unterschiedliche Gruppen von Gefährdern: Einerseits junge, in Österreich Aufgewachsene, die beispielsweise nach kurzen Haftstrafen wieder entlassen werden. Sie nutzen soziale Medien für Propaganda, Influencer radikalisieren auf diese Weise vor allem junge Männer. Gleichzeitig gibt es jedoch auch eine ältere Generation an radikalen Islamisten in Österreich. 

Neuer IS-Ableger beunruhigt Haijawi-Pirchner

Wie es im 21. Jahrhundert üblich ist, würden die Extremisten sämtliche soziale Medien nutzen, "um extremen Islamismus in Aufwind zu bekommen". Problematisch würde es jedoch vor allem, "wenn sich diese Gruppierungen treffen, dann entsteht auch ein konkretes Risiko", so der DSN-Leiter. Eine große, neue Gefahr gehe vor allem aus dem Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Turkmenistan aus. 

In Chorasan habe sich inmitten des Taliban-Chaos ein Ableger des Islamischen Staats (IS), der ISKP, herausgebildet, der nun vermehrt zu Anschlägen in Europa aufrufe. Diese Gefahr "nehmen die Sicherheitsbehörden in Europa ernst", versichert Haijawi-Pirchner auf "Ö1". Die Gefahr islamistischer Anschläge sei hoch, "das erwähne ich bei jeder Gelegenheit". Zu konkreten Ermittlungshandlungen wollte er hingegen keine Stellung beziehen. 

Welche Gefahr geht von Linksextremen aus?

Auch mit militanten Umweltschützern befasst sich die DSN. Haijawi-Pirchner verweist einleitend darauf, dass der Umweltschutz ein wesentliches Thema sei, "das uns alle betrifft". Und: "Nicht alle Personen, die sich dafür einsetzen, sind per se verfassungsgefährdend". Allerdings gebe es Überschneidungen mit "gewaltbereiten, linksextreme Personen". Konkret äußere sich dies in sich wiederholenden Angriffen auf Polizeistationen. Die Gewaltbereitschaft dieses Lagers sei weiters vor allem im Aufeinandertreffen mit Rechtsextremen zu beobachten. 

Ein weiterer, wichtiger Tätigkeitsbereich des neu aufgestellten Staatsschutzes sei außerdem die Spionageabwehr. Spionage erlebe in Europa einen Aufschwung, befeuert durch den Ukraine-Krieg und die steigenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen. Dabei handle es sich hauptsächlich um Wirtschaftsspionage, wodurch Russland an Wissen über Hoch-Technologie zu gelangen versucht. Ziel der Spionage seien auch häufig internationale Organisationen – viele bedeutende haben ihren Sitz ja in Wien. 

Forderung nach Zugriff auf Chats

Um im Bereich der Spionage alle relevanten Länder und Gefahren abzudecken, vor allem China, den Iran und die Türkei, fehle der Direktion aktuell noch das Personal. Man sei ständig auf der Suche – vor allem in der Spionageabwehr sei es aber "sehr schwer, Personal zu finden", da es sich um einen sehr fordernden und sensiblen Bereich handle. Man habe sich für den Personalaufbau jedoch das Ziel gesetzt, innerhalb von fünf Jahren auf einem zufriedenstellenden Stand zu sein, relativiert der Leiter die Problematik. 

Zu guter Letzt fordert Haijawi-Pirchner mehr Befugnisse, um mögliche Gefahren bestmöglich aus dem Weg zu räumen. Besonders wichtig sei ein besserer Zugriff auf Chats: Oftmals komme man trotz konkreter Hinweise auf Anschlagsplanungen nicht weiter, da die Befugnisse fehlen würden. Daher "fordern wir eine bessere Möglichkeit, was die Überwachung von Kommunikationskanälen betrifft". Diese müsse selbstverständlich "unter Einhaltung strengster Rechtsschutzregeln" passieren, man wolle keine Massen-Überwachung. 

Chef schließt politische Intervention aus

Man wisse über die Datenschutz-Problematik Bescheid, weswegen eine gute rechtliche Vorbereitung unabdingbar sei. Dennoch sei ein besserer Zugriff auf Chats konkreter Gefährder nötig, um Grund- und Freiheitsrechte durch den Schutz vor Anschlägen zu wahren. 

Laut Bericht des Untersuchungsausschusses zur BVT-Causa habe das ÖVP-Innenministerium in den Verfassungsschutz reinregiert, unter anderem indem Personalentscheidungen getroffen wurden. Die Neos äußerten nun die Befürchtung, dass dies weiterhin so praktiziert werden könnte. Haijawi-Pirchner streitet dies jedoch entschieden ab: Aufgrund des Auswahlverfahrens, das gesetzlich festgehalten wurde und die Vorarbeit von Gremien vorsieht, könne er politisch motivierte Postenbesetzungen ausschließen.

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    Sabine Hertel