Sitzen ist das neue Rauchen – heißt: Wir sitzen zu viel zu lange und in der falschen Position – oder doch nicht? Während das Sitzen ein häufiger erschwerender Faktor bei Kreuzschmerzen ist, bleibt die beste Sitzhaltung unklar. Besser kerzengerade oder ist ein leichter Buckel eh kein Problem? Neue Forschungsergebnisse fördern Überraschendes zutage.
Zu dieser Forschungsfrage hat der Physiotherapeut und Wissenschaftler Kieran O'Sullivan von der University of Limerick in Irland eine Studie durchgeführt. Sie untersuchte die Wahrnehmung von 295 Physiotherapeuten in vier verschiedenen europäischen Ländern zur Sitzhaltung. Die Physiotherapeuten wählten ihre wahrgenommene beste Sitzhaltung aus einer Stichprobe von neun Optionen aus, die von einer kerzengeraden bis hin zu einer total zusammengesackten Haltung mit vorstehendem Kinn reichten.
Etwa die Hälfte der Befragten war der Meinung, ein aufrechter unterer Rücken bei entspanntem oberem Rumpf sei am besten. Ein Drittel hielt dagegen eine Vorwärtsneigung aus der Hüfte mit gerader Wirbelsäule für optimal. Dennoch herrscht nach wie vor Uneinigkeit darüber, was eine neutrale Haltung der Wirbelsäule ausmacht und was die beste Sitzhaltung ist.
Tendenzen deuten darauf hin, dass Sitzhaltungen, die der natürlichen Form der Wirbelsäule entsprechen und bequem und/oder entspannt erscheinen, häufig als vorteilhaft angesehen werden, da sich die Muskeln nicht zusätzlich an- oder verspannen müssen. Von der Seite betrachtet weist die Wirbelsäule von Natur aus eine S-Form auf, mit einer leichten Innenkrümmung im unteren Rücken (Lenden), einer Außenkrümmung im oberen Rumpf (Brust) und einer weiteren Einwärtskrümmung im Hals- und Nackenbereich. Wie stark diese Krümmungen ausgeprägt sind, ist individuell verschieden, abhängig von den Genen, Lebenserfahrungen und Gewohnheiten einer Person.
Der Mythos vom geraden Sitzen (Kopf hoch, Schultern zurück) hält sich jedoch hartnäckig. Das haben Vasileios Korakakis vom Aspetar Orthopaedic and Sports Medicine Hospital in Doha und seine Kollegen in einer Studie mit 100 gesunden Menschen gezeigt. Die meisten saßen von Natur aus leicht gebeugt. Als sie aufgefordert wurden, eine optimale Sitzhaltung einzunehmen, saßen alle plötzlich viel aufrechter – die Frauen noch etwas mehr als die Männer. Laut O'Sullivan "gibt es nicht nur wenig Evidenz für einen Zusammenhang zwischen schlechter Körperposition und langfristigen Schmerzen – es gibt gar keine".
Das Problem ist vielmehr, zu lange in derselben Position zu verharren. Deshalb sollten Menschen in sitzenden Jobs mindestens einmal pro Stunde aufstehen und sich strecken. Auch beim Workout Muskeln und Bänder stärken und dehnen, weil sie sonst verkürzen und schwächer werden. Pilates und Yoga empfehlen sich dafür.
Sich in unnatürliche Positionen zu zwingen, nur um die eigene Körperhaltung zu verbessern, sei aber keineswegs hilfreich, sagt O'Sullivan: "Wenn man Leute dazu auffordert, sich 'richtig' – also gerade – hinzusetzen, verspannen sie sich und fühlen sich unwohl." Das ist einer der Gründe, weshalb heute dafür plädiert wird, sich weniger Gedanken zu machen und sich stattdessen mehr zu bewegen. Lieber häufiger die Position wechseln, denn es gibt keine Haltung, die für jeden gut ist.