Politik

Im Parlament regieren jetzt 200 Bauarbeiter

Heute Redaktion
Teilen

Schutt statt Sonderausschuss, Plane statt Plenum: Das Parlamentsgebäude wird generalsaniert. „Heute" besuchte die wohl prominenteste Baustelle des Landes.

Dreispurig rauscht der Autoverkehr, Straßenbahnen ziehen bimmelnd ihre Kreise, Touristen lassen ihre Handys klickend Fotos schießen – und ab und zu hört man Hufe der Fiaker klappern. Pferde hat wohl auch Theophil Hansen gehört, als er im Jahr 1874 bei der Grundsteinlegung zum neuen Parlamentsgebäude dabei war. Von Autoverkehr konnte der Star-Architekt seiner Zeit noch nichts wissen, sollte das erste moderne Automobil doch erst mehr als zehn Jahre später gebaut werden. Aber vom Bauen wusste Hansen viel – und so erhielt er den Auftrag fürs Parlamentsgebäude an der Wiener Ringstraße.

144 Jahre ist das jetzt alles her. Nun braust der Verkehr, es hat in diesem Sommer nicht nur beim "Heute"-Lokalaugenschein 35 Grad – aber das Hohe Haus am Ring steht immer noch. Allerdings wird in ihm derzeit nicht politisch debattiert, sondern es regieren die Bauarbeiter.

Kein Dach überm Kopf

200 Menschen sind täglich damit beschäftigt, die Generalsanierung voranzutreiben. Bis ins Jahr 2021 soll das Haus um insgesamt 352,2 Millionen Euro "zukunftsfit" gemacht werden. Heißt: Modernisierung in Sachen Haustechnik, Brandschutz und Barrierefreiheit, Einbau zusätzlicher unterirdischer Räume und eines neuen gläsernen Daches. Das soll nicht nur dafür sorgen, dass den Parlamentariern ein Licht aufgeht, sondern auch das Volk anziehen: Denn oben wird einerseits die Demokratiewerkstatt einziehen und andererseits ein luftiges Restaurant Menschen anziehen.

Unser erster Blick nach oben zeigt eines: Leere. Die alte Dachkonstruktion wird derzeit abgebaut, acht Monate lang wird eine Planenkonstruktion den Nationalratssaal darunter vor Wind und Wetter schützen, danach Stück für Stück das neue Glasdach errichtet. Ein Kran schwenkt über das Dach, hebt die letzte der insgesamt 44 Attikafiguren vom Dach. Eineinhalb Tonnen schwer und rund zweieinhalb Meter hoch ist eine einzelne Figur, gehauen aus Carrara-Marmor. Auch ihr Entwurf stammt von Hansen.

Blick ins Bodenlose

Mit Helm, schwerem Schuhwerk und schützender Jacke betreten wir das Innere des Parlaments. Hier schweift der Blick sprichwörtlich ins Bodenlose: Der Bodenbelag ist bereits großteils abgetragen, er wurde Stück für Stück katalogisiert und eingelagert. Darunter kommt nun die originale Ziegelkonstruktion zum Vorschein. Stahlbeton war damals nichts, worauf man baute. Die meisten Ziegel stammen aus dem Hause Heinrich von Drasche, der mit seinem Unternehmen den Grundstein der heutigen Wienerberger AG legte. Am eingravierten "H" und "D" erkenne man die Ziegel, erklärt uns der Leiter der Örtlichen Bauaufsicht, Valentin Marchetti.

Parlament wird bunter

Zwischen Ziegelboden und Bodenbelag wird künftig die moderne Haustechnik installiert. An Wänden und Decken ist das so gut wie unmöglich: Die sind nämlich denkmalgeschützt. Dieselben werden allerdings wieder auf Hochglanz gebracht. Aktuell testet man unterschiedliche Reinigungsmöglichkeiten, schon zeigen sich sattere Farben – etwa in der Säulenhalle. Das Parlament wird sicher bunter, egal welche Fraktionen in drei Jahren hier wieder einziehen werden.

Bis es soweit ist, sind die Parlamentarier und ihre Mitarbeiter in und rund um die Hofburg untergebracht. Im Ersatzquartier erinnert aktuell nur eine Replik des Bundesadlers an der Wand an den alten Plenarsaal. Das originale Federvieh wiegt 650 Kilogramm und wurde demontiert, in vier Teile zerglegt, durch den Balkon auf der Seite des Schmerlingplatzes gehievt und abtransportiert. In einem Lager im niederösterreichischen Traiskirchen wird er aktuell restauriert, bis er im Jahr 2021 wieder "zurückfliegen" darf.