Politik

"In der Moschee machen" – Ansage an Austro-Türken

Tumulte und Straßenblockaden in Wien nach der Wahl in der Türkei – ein Experte sagt, warum Recep Tayyip Erdogan ausgerechnet hier so emotionalisiert.

Rene Findenig
Soziologe Kenan Güngör am Dienstagabend zu Gast bei ORF-Moderator Martin Thür in der "ZIB2".
Soziologe Kenan Güngör am Dienstagabend zu Gast bei ORF-Moderator Martin Thür in der "ZIB2".
Screenshot ORF

Es waren Szenen, die viele Menschen in Österreich nicht nachvollziehen konnten: Von jenen Austro-Türken, die bei den Präsidentschafts-Stichwahlen in der Türkei gewählt haben, stimmten fast drei Viertel (74 Prozent, 45.000 Personen) für Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan. Und als dieser am Sonntagabend die Wahl für sich entschied, stürmten Tausende davon die Straßen von Wien-Favoriten. Besonders rund um den Reumannplatz kam es zu Straßenblockaden, Autokorsos, "Allahu akbar"-Geschrei und auch dem Zeigen verbotener Symbole wie dem Wolfsgruß. Erst um Mitternacht beruhigte sich die Lage.

International wird Erdogan allerdings oft als Autokrat gesehen, der die ganze Macht für sich anhäuft, während die Wirtschaft und die Bevölkerung in der Türkei unter der Politik leiden. Nicht umsonst wird immer wieder die Kritik geäußert, dass Auslands-Türken zwar die Vorzüge des Lebens in anderen Ländern wie Österreich genießen, dennoch aber über das Schicksal ihrer Landsleute in der Türkei bestimmen und Erdogans Macht weit deutlicher sichern, als es bei den Wählern in der Türkei der Fall ist. Warum hat Erdogan ausgerechnet im Ausland so viel Zuspruch? Ein Experte klärte nun auf.

"Das kann man in der Moschee machen"

Der in der Türkei geborene Soziologe Kenan Güngör war am Dienstagabend zu Gast bei ORF-Moderator Martin Thür in der "ZIB2". Es gebe zwei zentrale Faktoren für das Phänomen, so Güngör, einer habe mit der Arbeitsmigration der 60er-Jahre zu tun. Damals seien Menschen mit konservativen Einstellungen aus ländlichen Regionen gekommen, die Erdogan zusprechen würden. Der andere habe mit den türkischen Medien zu tun, die positive Einheitsmeldungen über Erdogan in die Haushalte spielen würden. Was der Experte auch sagte: Es gebe eine "Überfokussierung" auf die "200, 300 oder 600" Personen, die nach Erdogans Wahlsieg am Reumannplatz aufmarschiert sind.

    Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan stürmten nach dessen Wahlsieg auf die Straßen.
    Anhänger des türkischen Präsidenten Erdogan stürmten nach dessen Wahlsieg auf die Straßen.
    Lesereporter

    Es sei völlig naheliegend, dass, wenn ein Partei oder ein Fußballverein gewonnen habe, Menschen auf die Straße gehen und feiern würden. Das Problem sei aber, dass diese Menschen das nicht für die Demokratie tun würden, sondern für ein autoritäres System. "Allahu akbar"-Rufe, das "kann man in der Moschee machen von mir aus", so der Experte, aber wenn man das auf offener Straße mache, "dann ist das schon ein Statement". Seine Abrechnung mit den Betroffenen: Es seien zum Teil "Gefangene", beeinflusst von der Ideologie der Eltern ebenso wie von den Medien in der Türkei. Es entstehe ein Islamismus, der zusammenwachse, da entwickle sich ein problematisches Milieu, so Güngör. 

    Wir haben einen "Empörungssofortismus"

    Der Experte ortete zudem in Österreich einen "Empörungssofortismus", es gebe jetzt Aufregung über die Szenen, aber nach einer Woche sei alles wieder vergessen und es werde nicht über die Gründe und Lösungen geredet. "Wir schauen nur auf das Symptom", so der Experte. Es gebe auch "keine einfache Antwort", wie man das Problem löse, man könne aber auch selbst etwas tun. Wenn türkischstämmige Personen hier aufwachsen und das Gefühl hätten, sie seien die "ungewollten Stiefkinder", dann entstehe kein Zugehörigkeitsgefühl und das bediene dann die Türkei ziemlich gut, so Güngör.

    Außerdem müsse die türkische Community in einen ernsten Dialog geführt werden und man müsse sich fragen, was man auch selbst als österreichischer Staat falsch gemacht habe. Es gehe nur mit ihnen, so der Experte dazu, die türkische Community in einen Dialog einzubinden. Und warum würden Menschen, die hier eher links wählen würden, Erdogan in der Türkei wählen? Von der Wertedisposition würden sie besser zur FPÖ passen, so der Experte, sie würden sie aber nicht wählen, weil sie gegen Ausländer sei – und während die Personen autoritär und nationalistisch geprägt seien, würden sie hierzulande eher Parteien wählen, die ihre Rechte schützen würden. 

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