"Tragen sie es freiwillig?"

Kopftuch, Steuern, Geld – die neuen Kanzler-Ansagen

Karl Nehammer findet Kickl "rechtsextrem", schließt eine Zusammenarbeit aus. Aber: "Das alles kann sich ändern, wenn er nicht mehr das Sagen hat."

Clemens Oistric
Kopftuch, Steuern, Geld – die neuen Kanzler-Ansagen
Bundeskanzler Karl Nehammer im "Heute"-Interview
Sabine Hertel

Startschuss ins Superwahljahr 2024. "Heute" begrüßte Bundeskanzler Karl Nehammer als ersten Parteichef im neuen Studio in der Wiener City. Am Wochenende hat er seinen 82-seitigen "Österreichplan" vorgelegt. Warum? "Es war wichtig zu zeigen, wofür ich als Bundeskanzler und die Volkspartei stehen. In der Regierung ist man bekanntlich in einer Koalition, wo es wichtig ist, Kompromisse zu finden."

Angesprochen auf die schwelenden Gerüchte um ein Wahl-Doppel (EU, Nationalrat) am 9.6. stellt der VP-Regierungschef klar: "Die Spekulation ist allgegenwärtig. Faktum ist: 2024 ist ein Superwahljahr, da ist viel los. Der Plan ist, dass wir den Nationalrat im Herbst wählen." Wird also bis zum Ende durchgearbeitet? Nehammer: "Das war immer der Plan, ja."

Video: Der Nehammer-Talk in voller Länge

"Entschieden wird am Wahltag"

Dass laut aktuellen Umfragen nur noch rund ein Drittel der Bevölkerung hinter der türkis-grünen Regierung steht ist für Nehammer "ein Auftrag weiterzuarbeiten". Er möchte "den Menschen zeigen, dass wir in einer schwierigen Zeit bereit sind, Verantwortung zu übernehmen". Dass das den Werten seiner Partei nicht zuträglich war, ist Nehammer bewusst: "Die Krisenjahre zeigen ihre Wirkung – als politisch Verantwortliche muss man auch Maßnahmen setzen, die unpopulär sind, das gehört dazu." Er findet aber, dass sich "Österreich in die richtige Richtung entwickelt. Wir haben die Kaufkraft gestärkt, die Reallöhne wachsen, wir haben den schleichenden Lohnfraß abgeschafft. Entschieden wird am Wahltag, die Umfragen sind das andere." 

Bis zum Herbst will er "die Gesundheitsreform vorantreiben". Wird auch das vom Verfassungsgerichtshof in Teilen aufgehobene ORF-Gesetz noch repariert? Der Kanzler bleibt vage: "Die Medienministerin ist dabei, das zu verhandeln. Wenn das mit dem Koalitionspartner gelingt – warum nicht?"

"Durch Verbote wird nichts besser"

Beim Klimaschutz hat er eine klare Meinung: "Durch Verbote wird gar nichts besser", so Nehammer. "Ich bin dafür, die Menschen durch positive Motivation zum Umdenken zu bringen. Deshalb wurde etwa beim Klimaticket der Preis nicht erhöht. Wir sind Europameister im Bahnfahren." Er habe sich "immer dafür ausgesprochen, dass man Innovations- und Forschungsfreiheit leben muss. Die Dampfmaschine ist nicht verboten worden, sondern durch eine effizientere Maschine ersetzt worden".

Wie von "Heute" berichtet, ist auch ein Verbot von Binnen-I und Gender-Sternchen auf seiner Agenda bis 2030: "Es braucht ein vernünftiges Maß, denn Texte müssen lesbar bleiben." Die Differenzierung zwischen Mann und Frau hält Nehammer jedoch für "richtig und wichtig". Aber: "Es soll pragmatisch gehandelt werden und Studentinnen und Studenten nicht gestraft werden, wenn sie in der Diplomarbeit nicht gendern."

"Leitkulturbild entwickeln"

Nachschärfen will der Kanzler auch bei der Zuwanderung: "Die, die sich entscheiden, nach Österreich zu kommen, tun das freiwillig. Sie sollen sich mit unserer Gesellschaft, mit unseren Bräuchen, unserer Kultur konfrontieren und anpassen." Aus diesem Grund habe er Integrationsministerin Susanne Raab damit beauftragt, "ein Leitkulturbild zu entwickeln, an dem man sich orientieren kann. Es soll eine Richtung vorgeben". 

Was es damit auf sich hat? "Die Leitkultur ist die jahrhundertealte christlich-jüdische Tradition in Österreich, die unser Land geprägt hat, unsere Verfassung mit den Grundwerten Demokratie und Freiheit – es ist aber auch das Miteinander in Respekt, Toleranz und Vielfalt." Nehammer hält es für "wichtig, das anzusprechen" und den Themenbereich "nicht den Radikalen mit irgendwelchen nationalistischen Fantasien zu überlassen".

Herbert Kickl trägt es wie eine Ehre vor sich her, dass er rechtsextrem ist.
Karl Nehammer
Bundeskanzler (ÖVP)

Droht bei Missachtung des Leitkulturbildes die Abschiebung? Nehammer: "Wenn man sich verweigert, die Menschen, so wie sie hier leben, anzunehmen und sich ein Nachteil für die Gesellschaft daraus entwickelt, muss man genau hinschauen." 

Beim Thema Kopftuch stellt er klar: "Entscheidend ist: Ist es ein religiöses Symbol, ein traditionelles Symbol – und vor allem: Tragen es Frauen freiwillig? Wir sind eine offene und freie Gesellschaft."

Nehammer betont auch nochmals, dass die vollen Sozialleistungen an Zuwanderer erst nach fünf Jahren ausbezahlt werden sollen: "Wir müssen Maßnahmen setzen, um die Zuwanderung ins Sozialsystem zu stoppen. Das ist nach wie vor ein großes Problem und kostet sehr viel Geld."

"1.000 € Bonus für Vollzeit"

Das Thema Leistung wird allgemein groß in seinem "Österreichplan" geschrieben. Warum? "Es braucht Anreize, dass sich mehr arbeiten lohnt. Deshalb auch die angedachten Steuersenkungen. Es muss sich für Menschen lohnen, Überstunden zu machen. Daher wollen wir alle Steuern darauf streichen. Es muss aber auch attraktiv sein, von Teilzeit auf Vollzeit aufzustocken – deshalb der 1.000-Euro-Bonus."

Neue Steuern lehne ich ab.
Karl Nehammer

Millionärs- und Erbschaftssteuern hingegen erteilt Nehammer eine klare Absage: "Nein, die wird es mit der Volkspartei nicht geben. Es ist mehrfach bewiesen worden, dass es nichts bringt, wenn man sie nicht als Massensteuer einführt. Das lehne ich ab." 

In Richtung Andreas Babler (32-Stunden-Woche, sechste Urlaubswoche) findet der Regierungschef ebenfalls klare Worte: "Es ist ein völlig falscher Weg, den Menschen zu versprechen, dass unser Wohlfahrtsstaat mit weniger Arbeit finanzierbar ist." Nachsatz: "Ich finde auch, dass Arbeit sinnstiftend ist – man sieht ja, dass Menschen, die arbeitslos sind, viel öfter krank sind." 

"Die FPÖ ist nicht nur Kickl"

FPÖ-Chef Herbert Kickl stuft er als "rechtsextrem" ein, daher schließt Nehammer eine Koalition kategorisch aus. Allerdings nur mit ihm als Person, wie er im Talk mit "Heute" darlegt: "Herbert Kickl tut sich sicher schwer mit dem Verfassungsbogen. Er trägt es wie eine Ehre vor sich her, dass er rechtsextrem ist und will politische Gegner auf Fahndungslisten setzen. Das hat sehr wenig damit zu tun, wie man in einer Demokratie zusammen lebt. Er radikalisiert sich selbst, ist in einer eigenen Verschwörungswelt angekommen. Mit ihm als Parteiobmann gibt es keine Koalition der Volkspartei mit der FPÖ." Nachsatz: "Aber die FPÖ ist nicht nur Herbert Kickl. Das alles kann sich ändern, wenn Herbert Kickl nicht mehr das Sagen hat." 

Eine Wunsch-Koalition benennt er nicht: "Ich werde nach der Wahl schauen, eine tragfähige Regierung zustande zu bringen."

Durchklicken: Die Studio-Eröffnung bei "Heute"

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    "Geschichten, die sonst niemand schreibt": <em>"Heute"</em>-Chefredakteur Clemens Oistric über den journalistischen Anspruch des <em>"Heute"</em>-Teams.
    "Geschichten, die sonst niemand schreibt": "Heute"-Chefredakteur Clemens Oistric über den journalistischen Anspruch des "Heute"-Teams.
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