Gesundheit

"Kann passieren" – Corona-Klartext des Top-Experten

Der österreichische Medizinhistoriker Herwig Czech über das Ende von Pandemien und warum wir das Coronavirus nicht mehr loswerden.

Christine Scharfetter
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Herwig Czech ist Professor für Geschichte der Medizin an der Medizinischen Universität Wien.
Herwig Czech ist Professor für Geschichte der Medizin an der Medizinischen Universität Wien.
Clemens Fabry / Die Presse / picturedesk.com ; MedUni Wien

Seit über zwei Jahren begleitet uns das Coronavirus nun schon. Jetzt, kurz vor dem Sommer, gehen die Zahlen - zumindest in Europa - wieder zurück und die Pandemie scheint besiegt. "Heute" hat mit dem österreichischen Medizinhistoriker Herwig Czech von der MedUni Wien darüber gesprochen, ob wir uns wirklich auf ein Ende der Coronavirus-Pandemie einstellen können und was uns im schlimmsten Fall erwarten kann.

Haben Pandemien ein Ende und wie sieht ein solches aus? 

Herwig Czech: Jede Pandemie muss enden und bisher hat auch noch jede Pandemie geendet. Betrachtet man allerdings beispielsweise die spanische Grippe, da ist der Erreger noch bis 1945 zirkuliert, hat aber nicht mehr diese Durchschlagskraft entwickelt. Man kann annehmen, dass die von vielen erreichte Immunität der Grund war und das Virus dadurch immer weniger verwundbare Individuen gefunden hat. Man kann also sagen, Pandemien enden meist nicht von einem Tag auf den anderen, sondern sie verebben. Die Pocken wiederum wurden durch eine erfolgreiche Impfkampagne besiegt und ausgerottet.

Ist die Coronavirus-Pandemie jetzt vorbei?

Derzeit ist es sicher noch nicht soweit. Das "Ende" einer Pandemie hat objektive und subjektive Dimensionen. Erstere sind natürlich die Erkrankungen, Verläufe, Todeszahlen, et cetera. Daraus ergibt sich, ob beispielsweise die WHO von einer Pandemie spricht. Die subjektive Seite wird aber stark von der Berichterstattung beeinflusst. In den letzten zwei Monaten haben wir gesehen, wie die Pandemie durch den Krieg in der Ukraine in den Hintergrund gedrängt wird. Die Menschen wollen diese Phase ja auch hinter sich lassen, selbst wenn es dann im Herbst vielleicht wieder losgeht.

Es gibt also ein Ende, aber wird auch das Coronavirus an sich – so wie die Pocken – jemals verschwinden?

Da gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen den Viren. Das Pockenvirus ist relativ stabil, mutiert also kaum. Ende des 18. Jahrhundert wurde mit den Kuhpocken ein natürlicher Stamm entdeckt, den man auf den Menschen übertragen konnte, um Immunität gegen die “echten" Pocken zu erzielen. Das war dann die Pockenimpfung. Außerdem kann das Pockenvirus außerhalb des Menschen nicht überleben und das ist ein ganz wichtiger Punkt: es gibt keine tierischen Reservoirs. Im Gegensatz dazu hätte beim immer wieder mutierenden Coronavirus selbst eine erfolgreiche Unterbrechung der Übertragungskette zwischen den Menschen den Erreger nicht ausrotten können. Ganz einfach, weil hier immer noch die tierischen Reservoirs bleiben. Das sieht man anhand anderer Coronaviren und dem Influenzavirus.

Herwig Czech
Herwig Czech
MedUni Wien

Werden wir lernen müssen mit dem Virus zu leben?

Wenn man sich etwas wünschen darf, dann ist das beste realistische Szenario, dass das Coronavirus uns als normales Schnupfenvirus weiterbegleitet und wir nie wieder einen Gedanken darauf verschwenden müssen. Wie wahrscheinlich das ist, beziehungsweise, wie wahrscheinlich die Entstehung einer noch gefährlicheren Variante ist, das ist allerdings die Frage. Man muss hier einfach klar sagen, es ist einmal passiert und kann wieder passieren.

Kann es somit erneut zu einer Pandemie oder einem Aufflackern der alten Pandemie kommen?

Natürlich. Allerdings sind wir durch die weit verbreitete Immunität auch für neue Varianten jetzt in einer besseren Position, aber das ist einfach nicht vorhersehbar.

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    Werden wir aus der Pandemie lernen?

    Bereits aus der Pest hat man Abwehrmaßnahmen wie Quarantäne und Seuchencordons gelernt und das hat teilweise auch ganz gut funktioniert. Die Choleraepidemie im 19. Jahrhundert war ein starker motivierender Faktor für die Verbesserung der Kanalisation und der Trinkwasserversorgung. So hat die Erste Hochquellenleitung in Wien 1870 zu einer unmittelbar sichtbaren, schlagartigen Reduktion der Infektionstoten in Wien geführt. Durch das Coronaviurs sind uns nun Lockdown, Testregimes, Absonderung, Masken vertraut und das alles ist dadurch in Zukunft vermutlich leichter wieder aktivierbar. Gleichzeitig haben wir aber gesehen, wie groß die Widerstände dagegen sind. Ich bin jetzt nicht sehr optimistisch, dass große Lehren gezogen werden, aber ein gewisses kollektives Lernen durch die Erfahrung und Gewohnheit ist natürlich damit verbunden.

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