Regisseurin Paulita Pappel

"Niemand muss zusehen, aber alle dürfen"

Die bekannte Erotikfilm-Regisseurin Paulita Pappel spricht im Interview über die Rolle feministischer, ethischer Pornographie, die sie produziert.
André Wilding
13.11.2025, 05:00
Loading...
Angemeldet als Hier findest du deine letzten Kommentare
Alle Kommentare
Meine Kommentare
Sortieren nach:

Kommentare neu laden
Nach oben
Hör dir den Artikel an:
00:00 / 02:45
1X
BotTalk

Paulita Pappel (37) ist eine der profiliertesten Aktivistinnen und Kreativen an der Schnittstelle von Sexualität, Feminismus und Medien. Als Gründerin der Plattform Lustery hat sie die Idee der feministischen Pornografie neu definiert und in den Mainstream getragen. Nun wagt sie den nächsten Schritt und bringt mit "House of Love and Lustery" ein Reality-Format heraus, das die Grenzen des Genres neu auslotet. Während klassisches Reality-TV oft mit inszeniertem Drama, problematischen Körperbildern und dem Versprechen von Sex spielt, ohne ihn zu zeigen, geht Paulita Pappel den ganzen Weg: Sie zeigt echte Sexualität und Beziehungen, ethisch produziert und mit dem klaren Ziel, aufzuklären und zu empowern.

Paulita, du hast mit Lustery die Idee von feministischer Pornografie neu definiert. Jetzt bringst du mit House of Love and Lustery ein Reality-Format heraus, das echte Sexualität und Beziehungen zeigt. Warum braucht es heute eine Reality-Serie mit echtem Sex?

Pornografie wird gesellschaftlich oft verachtet mit der Begründung, sie würde falsche Vorstellungen von Sexualität und Körpern vermitteln. Dabei sind es auch viele andere Formate – etwa Reality-TV –, die problematische Körperbilder und Beziehungsnormen reproduzieren. Diese Sendungen sind Unterhaltung, und das ist völlig in Ordnung, solange wir sie auch kritisch betrachten. Die meisten Reality-Shows verkaufen Sex, sie zeigen ihn nur nicht. Wir gehen den ganzen Weg: Wir zeigen Sex und den Mehrwert, den ehrliche Darstellungen haben können. Weniger Tabu, mehr Aufklärung. House of Love and Lustery beweist, dass Pornografie mehr kann: Sie kann unterhalten, aufklären und Spaß machen.

Viele Reality-Formate inszenieren Beziehungen – sie sprechen von Liebe, aber sie zeigen selten ehrliche Sexualität. Du drehst das um: Bei dir ist Sexualität das Tor zur Authentizität. Wo ziehst du die Grenze zwischen Voyeurismus und Empowerment?

Alles, was vor einer Kamera stattfindet, ist in gewisser Weise performativ – und das ist völlig okay. Auch im privaten Sexleben kann etwas Spielerisches oder Beobachtbares mitschwingen. Voyeurismus hat einen schlechten Ruf, aber er hat auch eine positive Seite: Neugier, gemeinsames Erleben, Schamabbau. Niemand muss zusehen, aber alle dürfen. Unsere Produktionen sind ethisch, alle Beteiligten entscheiden selbst, wie weit sie gehen möchten, und behalten jederzeit die Kontrolle. Wir spielen bewusst mit den Grenzen, um zu zeigen, wie frei, offen und leicht Sexualität sein kann, wenn wir sie nicht mit Scham belegen. Das stärkt unser Verhältnis zu Körper und Lust. Und das ist Empowerment.

Wenn man "feministischer Porno" sagt, denken manche an ästhetisch weiches Licht und schöne Körper in Slow Motion. Aber du sprichst oft davon, dass Feminismus im Porno nichts mit Stil, sondern mit Strukturen zu tun hat. Was heißt das für dich konkret – am Set, im Vertrag, in der Haltung?

Es gibt viele feministische Pornos, so wie es viele Feminismen gibt. Für mich bedeutet es vor allem: transparente Kommunikation, faire Bezahlung, Respekt und Empathie in jedem Schritt. Feminismus am Set heißt, Strukturen zu schaffen, in denen Selbstbestimmung möglich ist. Wo alle offen miteinander reden, Grenzen respektiert werden und Einvernehmen selbstverständlich ist.

House of Love and Lustery erinnert an Formate wie Love Island – nur mit echtem Sex. Wie inszeniert man "Echtheit", ohne sie beim Drehen zu zerstören? Ist es überhaupt möglich, Intimität vor der Kamera authentisch einzufangen?

Sex ist immer auch performativ, und das ist nichts Schlechtes. Bei Lustery haben wir gelernt, wie Paare sich selbst filmen können, ohne Vorgaben, ohne Skript. So entsteht echte Intimität. Bei House of Love and Lustery spielen wir bewusst mit der Balance zwischen Authentizität und Inszenierung. Wir entwickeln Szenarien gemeinsam mit den Paaren, aber die Sexszenen bleiben die ehrlichsten, weil sie aus echtem Begehren entstehen.

In klassischen Reality-Shows werden Menschen oft in stereotype Rollen gedrängt. Wie verhindert ihr, dass das in House of Love and Lustery passiert?

Wir entwickeln die Narrative gemeinsam mit den Paaren. Sie bestimmen selbst, wie sie sich zeigen wollen und wie weit sie gehen. Die meisten verkörpern eine Version von sich selbst, die authentisch, aber leicht überzeichnet ist, um mit dem Format zu spielen. Der Unterschied zu klassischen Reality-Shows: Wir provozieren kein Drama und bringen niemanden an Grenzen. Wir schaffen Räume, in denen sich Menschen sicher fühlen und Lust haben, sich zu zeigen. Das spürt man! Und das macht das Format so besonders.

Du arbeitest auch als Intimacy Coordinator. Wie verändert dieser Blick – auf Konsens, Kommunikation und Grenzen – deine Arbeit als Regisseurin?

Ich habe selbst vor der Kamera gestanden und weiß, wie verletzlich man sich dabei fühlen kann. Als Intimitätskoordinatorin habe ich gelernt, sichere Räume zu schaffen, in denen Kommunikation selbstverständlich ist. Ich arbeite am liebsten kollaborativ: Ich lade die Darsteller*innen ein, mir ihre Grenzen, Bedürfnisse und Wünsche zu kommunizieren. Dann gestalten wir gemeinsam innerhalb dieses Rahmens. Das schafft Vertrauen und ermöglicht echte Hingabe vor der Kamera.

Was könnte das Mainstream-Fernsehen von dieser Praxis lernen?

In Reality-TV-Produktionen gibt es fast nie Intimitätskoordinator*innen, und leider oft Strukturen, die Menschen ausnutzen, statt sie zu schützen. Dabei kann man großartige Unterhaltung machen, ohne auf Kosten der Beteiligten zu gehen. Das Mainstream-Fernsehen kann viel von der Pornoindustrie lernen: über Konsens, Kommunikation und darüber, wie man Intimität respektvoll darstellt.

Wäre eine ethische Reality-Show im Mainstream-Fernsehen überhaupt denkbar – oder scheitert sie am Publikumshunger nach Drama?

Natürlich ist das möglich! Es ist eine Frage der Absicht. Man kann Drama inszenieren, ohne Menschen auszubeuten. Man kann unterhalten und aufklären. Dafür müssen sich Strukturen und Glaubenssätze ändern. Aber genau das ist unsere Aufgabe als Kulturschaffende: neue Wege und Formate zu entwickeln, die Wissen, Unterhaltung und Ethik vereinen

Feministischer Porno ist immer auch Medienkritik. Wenn du auf das klassische Reality-TV schaust – Dating-Shows, Sex-Dokus, Influencer-Content – was würdest du verändern, wenn du das Zepter in der Hand hättest?

Ich würde mehr Diversität zeigen, in Körpern, Beziehungsmodellen und Perspektiven, und weniger Clickbait-Content, der nur provozieren will, aber nichts hinterlässt. Wir können Unterhaltung als Form der Aufklärung begreifen, mit Humor, Leichtigkeit und Spaß statt mit moralischem Zeigefinger. Genau das macht House of Love and Lustery: Es feiert Lust und Lernen zugleich.

Was sagt unser Verhältnis zu Sex über unsere Gesellschaft aus?

Unser Verhältnis zu Sex ist zutiefst widersprüchlich und das spiegelt sich auch in unseren Medien. Alle reden darüber, alle wollen es irgendwie, und gleichzeitig ist es voller Scham, Angst und Verdrängung. Wir brauchen eine neue, lustorientierte und inklusive Sexualaufklärung, eine, die Lust, Konsens und Vielfalt ins Zentrum stellt. Und wir brauchen Bilder, die inspirieren, statt zu verurteilen.

Und was über unsere Angst, ihn ehrlich darzustellen?

Diese Angst entspringt einer alten Sexualmoral. Wenn Menschen Angst haben, sind sie leichter zu kontrollieren, sei es durch Religion, Politik oder soziale Normen. Das Weglassen von expliziter Sexualität schafft Tabus und Unsicherheit. Wir bleiben allein mit der Frage: Bin ich normal? Dabei ist menschliche Sexualität unglaublich vielfältig. Wenn wir sie offen zeigen und besprechen, entsteht Freiheit, nicht Gefahr.

Wenn Intimität politisch ist – wie sieht dann das politische Statement eurer zweiten Staffel aus?

Wir zeigen, dass Sex etwas Positives ist: etwas, das verbindet, Freude bringt und Kommunikation fördert. Wir zeigen, dass Pornografie nicht das Problem ist, sondern Teil der Lösung sein kann: ein Unterhaltungsformat, das Spaß macht und etwas lehrt. Unsere Botschaft ist klar: Weniger Zensur, mehr Aufklärung. Wir brauchen Strukturen, die neue Formate fördern. Formate, die unser Verständnis von Sexualität, Beziehung und Gesellschaft erweitern.

{title && {title} } wil, {title && {title} } 13.11.2025, 05:00
Jetzt E-Paper lesen