Gesundheit

Öffnungen: Macht uns die neue Freiheit krank?

Nach vielen Monaten ohne Restaurants, Theater & Co. wollen viele Versäumtes nachholen. Doch wann wird dieses Verhalten krankhaft?

Sabine Primes
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Die Angst etwas zu versäumen hat durch Social Media einen neuen Namen bekommen: FOMO.
Die Angst etwas zu versäumen hat durch Social Media einen neuen Namen bekommen: FOMO.
Getty Images/Stockphoto

Seit 19. Mai hat das öffentliche Leben wieder Fahrt aufgenommen. Kulturhäuser, Gastronomie und Hotellerie locken mit Angeboten. Nach der langen Zeit der Entbehrungen lechzen manche förmlich nach sozialen Kontakten. Da kann schon mal der bekannte Freizeitstress aufkommen. Solange man mit einem ausgefüllten Privatleben zurechtkommt, spricht nichts dagegen.

Problematisch wird es dann, wenn aus Lust Frust wird. Die so genannte FOMO (aus dem Englischen: Fear of missing out) - also die Angst, etwas zu versäumen – kann die Lebensqualität bedeutend einschränken. Im "Heute"-Interview erklärt Univ.Prof. Dr. Stephan Doering, Klinikleiter der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie am Wiener AKH, was hinter dem Phänomen FOMO steckt.

Die Dosis macht das Gift

Machten Social Media FOMO zum einer Modeerscheinung oder ist es etwas, das dem Menschen immanent ist? „Zunächst gibt es verschiedene Motive im Menschen, warum eine solche Angst entsteht“, erklärt Dr. Doering. Er spricht auf unsere Urangst an, von der Herde ausgeschlossen zu werden. Der Verlust der sozialen Zugehörigkeit steht an erster Stelle. Der Mensch ist kein Einzelgänger, sondern ein soziales Wesen, das immer in der Gruppe unterwegs war. Das steckt bis heute in unseren Genen.

Auch der Reiz des Verbotenen spielt bei FOMO eine Rolle. „Wenn man lange Zeit auf etwas verzichten musste, können sich Entzugserscheinungen bemerkbar machen. Ist das „Objekt der Begierde“ wieder verfügbar, stellt sich die Gier ein, möglichst viel davon zu bekommen. Wenn jemand an nichts anderes mehr denken kann, sich ein Leidensdruck breit macht und sich dadurch Einschränkungen in anderen Lebensbereichen einstellen, ist therapeutische Hilfe angezeigt“, so Doering.

Dabei ist FOMO kein Krankheitsbild im psychiatrischen Sinn. Es ist vielmehr ein Phänomen, das durch die sozialen Medien einen knackigeren Namen bekommen hat und so nun in aller Munde ist. Laut Doering steckt hinter der Angst, etwas zu versäumen, meist ein tieferliegendes psychologisches Problem, das es zu behandelt gilt. Und natürlich gibt es auch psychische Krankheitsbilder, die das Entstehen einer FOMO begünstigen können.

Im aktuellen Kontext betrifft beschreibt FOMO nicht nur den Druck, jetzt nach den Öffnungen möglichst viele Freunde treffen zu wollen. Vor allem die ständige Erreichbarkeit, die seit der Erfindung der sozialen Medien Einzug gehalten hat, kann eine psychische Krise auslösen.

Was gegen FOMO tun?

Hinter Fomo stehen also Ängste. Anstatt sie zu ignorieren und uns mit der Informationsflut abzulenken, oder gar zu betäuben, wäre es sinnvoller, sich diesen zu stellen, um sie dann aufzulösen.

Ist jemand psychisch soweit stabil, empfiehlt Dr. Doering an der eigenen Resilienz – psychischen Widerstandkraft - zu arbeiten. Mittels Ratgeber oder auch im Rahmen einer Psychotherapie kann man lernen, Strukturen zu schaffen und Grenzen zu setzen.

Sieht man sich nicht mehr in der Lage, die Situation selbst zu kontrollieren, sollte man sich auf jeden Fall psychologische Unterstützung holen. Unter Umständen ist FOMO nur die Spitze des Eisberges, die ein gröberes Problem überdeckt, das es zu behandeln gilt.