Die Ukraine hat sich zur Einhaltung einer von Russlands Präsident Wladimir Putin ausgerufenen "Oster-Waffenruhe" bereiterklärt – obwohl sie nach Angaben der Ukraine von der russischen Armee nicht eingehalten wird. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte am Samstag, die russischen Angriffe auf mehrere Frontabschnitte dauerten an und der russische Artilleriebeschuss habe "nicht nachgelassen". In der Hauptstadt Kiew und anderen Landesteilen wurde am Abend Luftalarm ausgelöst.
Osteuropa-Experte Alexander Dubowy ordnet diesen Schritt für "Heute"-Partner "20 Minuten" ein und erklärt, warum taktische Gründe hinter dem Vorgehen des Kreml stecken könnten.
Das ist ganz klar eine PR-Maßnahme – und zwar aus zwei wesentlichen Gründen. Erstens gab es in der vergangenen Woche deutliche Drohungen aus den USA. US-Präsident Donald Trump und US-Außenminister Marco Rubio sprachen davon, sich schon in wenigen Tagen vollständig aus den Gesprächen mit Russland zurückzuziehen – und plötzlich verkündet Russland eine Osterwaffenruhe. Das ist kein Zufall. Das war die "Peitsche" aus den USA. Das "Zuckerbrot" kam kurz darauf: Bloomberg meldete, dass die USA grundsätzlich darüber nachdenken, die Krim als Teil Russlands anzuerkennen.
Russland versucht, Kritik im konservativen Lager der USA zu entschärfen – insbesondere bei den Anhängern der MAGA-Bewegung. Am Palmsonntag griff Russland die Stadt Sumy an. Jetzt will man das mit einer symbolischen Geste wie der Osterwaffenruhe wieder ausgleichen. Dazu passt, dass Fox News die Osterliturgie aus Moskau übertrug. Das ist das Narrativ: Russland als Traditionsmacht, als Hüter des Christentums. Aber letztlich ist es nichts weiter als eine Showeinlage – ein Teil der altbekannten Strategie: verzögern und zermürben.
Nein, das ist ein weiteres Indiz für die Inszenierung. Hätte es eine echte Absprache gegeben, hätte auch die Ukraine zeitgleich informiert. Die Waffenruhe sollte am Samstag um 18 Uhr beginnen. Rund eine Stunde davor hat Putin sie beim Treffen mit Generalstabschef Waleri Gerassimow öffentlich angekündigt. In so kurzer Zeit lässt sich kein koordinierter Waffenstillstand umsetzen – weder bei Raketen- noch bei Flugstarts, geschweige denn bei Operationen am Boden. Das war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Entsprechend ist es in der Nacht auch nicht ruhiger geworden.
Genau. Damit liegt die Eskalationskontrolle wieder ganz auf russischer Seite. Russland kann jederzeit entscheiden, die Kämpfe wieder aufzunehmen und Kiew die Schuld daran zu geben – auch mitten in der Waffenruhe. Das zeigt einmal mehr, dass es um Kontrolle und Machtdemonstration geht, nicht um Frieden.
Das lässt sich von außen schwer beurteilen. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Waffenruhe eingehalten wird. Seit 2014 gab es mehrere solche Osterwaffenruhen – kaum eine wurde tatsächlich beachtet. Seit Beginn der Vollinvasion 2022 ist es die erste dieser Art, aber auch sie dient nicht humanitären Zwecken, sondern strategischen.
Russland will verhindern, dass die Gespräche mit den USA abbrechen. Denn auch wenn Trump bisher nur vage mit Sanktionen im Energiebereich droht und nicht mehr von zusätzlicher Unterstützung für die Ukraine spricht, wäre ein Abbruch der Gespräche ein starkes negatives Signal. Nicht wegen unmittelbarer Folgen, sondern wegen der diplomatischen und symbolischen Wirkung. Russland braucht diese Gespräche für die Bühne der Weltpolitik.
Auch das ist eine taktische Reaktion – ein Versuch, Putins Spiel zu entlarven. Denn es ist offensichtlich, dass von russischer Seite keine ernsthafte Absicht dahintersteht. Damit ein Waffenstillstand funktioniert, braucht es Vorlauf und detaillierte Absprachen. All das fehlt. Der Vorschlag der Ukraine, die Waffenruhe auf 30 Tage auszuweiten, ist eher ein rhetorisches Mittel, um zu zeigen: Wenn Russland es ernst meint, kann es jetzt liefern.
Der 20. April ist ein symbolisch wichtiger Tag für Trump – das Ende der ersten 100 Tage im Amt. Diese Phase ist traditionell die ruhigste für US-Präsidenten mit hohen Umfragewerten. Trump wollte in dieser Zeit etwas vorweisen, hatte aber wenig Greifbares. Jetzt kann er sagen: "Seht her, Putin ist vernünftig, die Waffenruhe ist mein Erfolg." Oder – zweite Möglichkeit – er erkennt, dass es sich um einen leeren Schachzug handelt und zieht sich zurück.
Dann wäre endgültig klar: Es gab nie einen echten Friedensplan. Und wenn der Westen am Ende – offiziell oder inoffiziell – die annektierten oder besetzten Gebiete anerkennt, hätte das dramatische globale Folgen. Es würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, der auch andere Konflikte beeinflussen könnte – etwa Taiwan. Das würde die ohnehin fragile internationale Ordnung vollends ins Wanken bringen. Eine spannende Meldung in diesem Zusammenhang war am Samstag in der "New York Post" zu lesen.
Die "Post" schrieb, es gebe Gespräche zwischen den USA, Europa und der Ukraine über einen westlich koordinierten Waffenstillstandsvorschlag, der Russland unterbreitet werden soll. Ein "perfekter" Vorschlag, bei dem Putin nur noch "Ja" oder "Nein" sagen kann. Die Ukraine soll zu 90 Prozent einverstanden sein. Es geht auch um die Frage, wie mit den annektierten Gebieten umgegangen wird. Denkbar ist ein Modell, das an die Zeit des Kalten Kriegs erinnert – etwa wie beim Baltikum, das formell Teil der Sowjetunion war, aber im Westen nie vollständig anerkannt wurde.
Das stimmt. "Fox News" berichtet über den US-Rückzug aus den Gesprächen, dann kommt "Bloomberg" mit der Krim-Anerkennung, kurz darauf die "New York Post" mit einem angeblichen "großen Wurf" in den Verhandlungen. Das kann alles zugleich stimmen – oder es ist ein gezielter Versuch, Russland zu verwirren. Wenn das der Fall wäre, wäre es ein sehr raffinierter Schachzug: über verschiedene Medien unterschiedliche Narrative streuen und beobachten, wie Moskau reagiert.
Nach dem Signal-Gate und dem Interview mit Steve Witkoff, dem US-Chefverhandler, der weder die teilbesetzten ukrainischen Regionen noch deren genaue Zahl nennen konnte, spricht vieles eher für Chaos als für Strategie.
Das hängt von vielen Faktoren ab – vor allem davon, ob die USA zu einer klaren Linie finden und ob Russland überhaupt an einer stabilen Lösung interessiert ist. Wenn es tatsächlich zu einem westlichen Waffenstillstandsvorschlag kommt, könnte das ein Wendepunkt sein. Aber das Fenster ist klein.