Viele Ärzte und Pfleger in den heimischen Spitälern ächzen unter Zeitdruck und Personalmangel. Besonders prekär soll die Situation in der Pathologie sein, wie erst jüngst ein Bericht aus der Pathologie Wiener Neustadt zeigt - denn dort soll man bis zu 500 Proben im Rückstand sein.
"Heute" fragte an quasi höchster Stelle nach und fragte mit Primar Alexander Nader einen, der es wissen muss. Doktor Nader ist Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Klinische Pathologie und Molekularpathologie und Vorstand des Instituts für Pathologie und Mikrobiologie im Wiener Hanusch-Krankenhaus.
„Heute“: Der Normalbürger stellt sich unter einem Pathologen einen Arzt im Keller, der Leichen aufschneidet, vor. Wieviel Prozent macht dies tatsächlich aus und worin besteht die Haupttätigkeit? Und was macht Ihr da genau?
Primar Alexander Nader: "Ein Pathologe verbringt im Jahr 2023 weniger als 1 % seiner Tätigkeit im Seziersaal. Andere bildgebende Verfahren, Röntgen, Computertomografie, Magnetresonanz, etc. haben diese „Bildgebung“ - und „Autopsie“ bedeutet ja „Selbst-sehen“ - in vielen Fällen übernommen. Die Tätigkeiten sind heutzutage ganz anders: Von der Vorsorgeuntersuchung beim Gynäkologen (der PAP-Abstrich wird vom Pathologen befundet) über die mikrobiologische Befundung von zahlreichen Körperflüssigkeiten bis hin zur genauen Aufarbeitung von Operationspräparaten reicht unser Spektrum. In mehr als 60 % von bösartigen Tumoren fällt die Entscheidung über die Art der Chemotherapie aufgrund des Befundes (histologisch und molekularpathologisch) des Pathologen. Wir können sehr genau vorhersagen, ob eine Therapie wirken wird oder nicht, deshalb sitzen Pathologen auch in Tumorboards: Ich bin z. B. weniger als 1 Stunde in der Woche im Seziersaal, aber mehr als 6 Stunden in Tumorboards und bespreche mit Klinikern die Therapie von bösartigen Tumoren."
„Heute“: Wieviele Fachärzte für Pathologie gibt es cirka in NÖ und in ganz Österreich?
Primar Alexander Nader: "In ganz Niederösterreich gibt es 54 Pathologen, die bei der Niederösterreichischen Ärztekammer gemeldet sind, davon sind 36 in Krankenhäusern angestellt, einige davon allerdings karenziert. Einige sind bei großen Privatinstituten beschäftigt, die auch bereits zahlreiche Krankenhäuser mitbetreuen. Der Nachteil dabei ist allerdings, dass eine Ausbildung zum Facharzt für Pathologie an derartigen privaten Pathologieinstituten noch nicht möglich ist. Diesbezüglich haben wir bereits seit 1999 den Gesetzgeber immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Regelung nicht mehr zeitgemäß ist. Österreichweit sind etwa 300 Pathologen gemeldet, dies bedeutet aber nicht, dass sie auch als Pathologen arbeiten. Viele sind in Forschungseinrichtungen beschäftigt, andere bereits längst in Pension. Der Altersschnitt in manchen Häusern liegt bei über 56 Jahren, wir brauchen dringend junge Kolleginnen und Kollegen, die sich wieder für dieses Fach interessieren."
„Heute“: Warum wird man Pathologe?
Primar Alexander Nader: "Das kann ich nur persönlich beantworten: Ich habe von meinem Vater zum 6. Geburtstag ein Mikroskop geschenkt bekommen, und mich lässt seither das Betrachten von feinsten Details nicht mehr los. Vereinfacht gesagt: Sehr viele Pathologen, die ich kenne, sind sehr neugierig und wollen Dingen auf den Grund gehen. In den letzten Jahren kommen auch die zahlreichen und noch gar nicht absehbaren neuen Möglichkeiten der Molekularpathologie hinzu – man kann bei Therapieentscheidungen mitwirken, man kann an der Tumorentstehung forschen, man kann chronische Entzündungsprozesse (Rheumatismus, aber auch Corona) viel besser verstehen und aufklären. All das ist ungemein spannend und auch nach 37 Jahren ist mir dabei noch nie langweilig geworden. Für Kollegen mit kleinen Kindern kann es vielleicht auch als Vorteil gewertet werden, dass Pathologen keine Nachtdienste machen und am Wochenende lediglich Samstagvormittag am Institut verbringen."
„"Ich bekam zum sechsten Geburtstag ein Mikroskop" - Primar Alexander Nader über seine Beweggründe und Motive ein "Aufschneider" zu werden.“
„Heute“: Die Bedeutung der Pathologen nimmt in unserer Zeit immer mehr zu. Warum gibt es dann dennoch einen Mangel?
Primar Alexander Nader: "Einerseits ist das Bild, das sich auch viele junge Ärztinnen und Ärzte von Beruf eines Pathologen machen, dominiert von Bildern aus Medien, Film und Fernsehen. Fast jeder große Schauspieler hat bereits einen „Pathologen" gespielt. Es ist schwierig, Bilder, die von Josef Hader (Film "Aufschneider") und Maria Happel ("Soko Donau") dominiert werden, aus den Köpfen von jungen Kollegen zu bringen. Weiters ist die Bezahlung von Ärzten sehr abhängig von der Möglichkeit, Nachtdienste zu machen. Und deshalb ist die Verdienstmöglichkeit im Vergleich zu anderen klinischen Fächern viel schlechter."
Schlechtere Verdienstmöglichkeiten und mediales Bild von Pathologen
„Heute“: Die klinische Pathologie soll in einigen Spitälern regelrecht „ausgehungert“ worden sein – viele Fachärzte kämen mit der Arbeit kaum mehr nach. Stimmt das? Wenn Ja: Was sollte getan werden?
Primar Alexander Nader: "Auch hier spielt meines Erachtens das mediale Bild des Pathologen eine große Rolle: Man glaubt, ökonomisch auf die Obduktionstätigkeit verzichten zu können und übersieht dabei, dass die Tätigkeit der Pathologen längst eine ganz andere ist – wie oben ausgeführt. Die Ausbildung eines Pathologen dauert 5-8 Jahre und ist auch kostenintensiv. Oft bleiben sie dann auch nicht bei ihrer Ausbildungsstelle, sondern gehen aufgrund viel besserer Verdienstmöglichkeiten entweder ins Ausland oder zu privaten Versorgern. Man muss diesen Teufelskreis durchbrechen. Meine Aufgabe als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für klinische Pathologie und Molekularpathologie ist, dieses Medienbild zurecht zu rücken und so junge Kollegen für diese Arbeit zu interessieren. Krankenhausträgern muss es ein Anliegen sein, die Tumordiagnostik zeitgemäß mit Mitteln des 21. Jahrhunderts durchzuführen. Und dem Gesetzgeber muss es ein Anliegen werden, längst fällige Veränderungen des Arbeitsmarktes auch gesetzlich zu formulieren. Einige Verordnungen klingen in meinen Ohren so, als ob man mit einer alten Postkutschen-Verordnung die Auswirkung von Internet und sozialen Medien kontrollieren möchte. Und nicht zuletzt: das Fach Pathologie muss wieder fest im Ausbildungscurriculum aller Medizinuniversitäten verankert werden, schon zu Beginn und nicht erst in den letzten Semestern, wie derzeit in einigen Universitäten."