Balkan-Blog

Seit über 20 Jahren hier – also will ich auch wählen!

Die Wien-Wahl steht vor der Türe. Doch viele Wiener können dabei nur still beobachten und die Entscheidung hinnehmen.

David Slomo
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Bei der Wien-Wahl bleibt ein Drittel der Einwohner nicht repräsentiert
Bei der Wien-Wahl bleibt ein Drittel der Einwohner nicht repräsentiert
imago/picturedesk

Seit ziemlich genau 22 Jahren lebe ich mit meiner Familie in Wien. Wie in einigen vorherigen Blogs erklärt, flüchteten wir nach dem Kroatien-Krieg nach Österreich. In der Bundeshaupstadt haben wir die Chance bekommen, ein neues Leben zu beginnen. Und dafür sind wir alle überaus dankbar. Wir werden den Rest unseres Lebens mit großer Sicherheit hier verbringen. Es gibt jedoch ein großes Aber.

Es ist nämlich so, dass ich politisch absolut kein Mitspracherecht habe. Ich bin politisch überaus interessiert, die meiste Zeit über am neuesten Stand und verfolge auch jede Wahl mit Spannung mit. Aber mein Pass hindert mich daran, mein Kreuz bei einer Wahl zu setzen. 

Ein Drittel wird nicht repräsentiert

Und ich bin natürlich nicht alleine in dieser Situation. Ich spreche für sage und schreibe 30 Prozent aller Wiener, denen der Weg zur Urne verwehrt bleibt, da sie eine andere Staatsbürgerschaft als die österreichische besitzen. In Zahlen sind das knapp 570.000 Personen. Und dabei handelt es sich keineswegs um Menschen, die erst seit kurzem hier sind. Laut Statistik Austria lebt mindestens die Hälfte davon bereits über zehn Jahre lang in Wien. 

Interessant ist auch, dass seitens der SPÖ die aktuelle Lage kritisiert wird. So sieht zum Beispiel Integrationsstadtrat Jürgen Czernohorszky „ein Demokratiedefizit in Österreich und besonders in Wien“. Es dürfe der Politik „nicht egal sein, wenn zehntausende Wienerinnen und Wiener nicht wählen dürfen, obwohl sie hier geboren sind oder seit vielen Jahren hier leben.“ Ganz anders sieht das aber Bürgermeister Michael Ludwig. In der ZiB2 meinte er zu Moderator Armin Wolf: "Ich persönlich bin der Meinung, dass das Wahlrecht verbunden sein sollte mit der österreichischen Staatsbürgerschaft." 

Klar – ich kenne die ganzen Einwände schon, weshalb es mir (und einem Drittel der Wiener) weiterhin verwehrt bleiben sollte, ein politisches Zeichen in der Form eines Kreuzes zu setzen. An dieser Stelle möchte ich euch kurz erklären, warum sie mich allesamt nicht überzeugen:

1
"Du darfst ja in Kroatien wählen!"

Was mir immer wieder gesagt wird: "Dafür darfst du in Kroatien wählen". Mag zwar sein, aber in Wahrheit interessiert mich die Politik dort nicht. Klar schaue ich hin und wieder runter und beobachte, was so abgeht. Aber es betrifft mich eigentlich in keinster Weise. Mein Lebensmittelpunkt ist hier in Österreich.

Ich bin der selben Staatsgewalt unterworfen wie jeder Österreicher. Wenn Steuern erhöht werden, dann bin ich ebenso betroffen wie jeder andere Österreicher. Wenn es ums Rauchverbot geht, dann würde ich nicht nur gerne mitreden, sondern auch mitentscheiden.

2
"Hol' dir doch die österreichische Staatsbürgerschaft"

Meinen Pass hergeben möchte ich aber auch nicht. Und zwar aus mehreren Gründen. Erstens: Kroatien ist doch irgendwo ein Teil meiner Identität. Ich bin dort geboren, dort aufgewachsen und und es definiert mich auf eine Art und Weise. Ich fiebere auch mit, wenn die "Kockasti" bei Fußball-Großveranstaltungen auf das Spielfeld laufen. Ich bin da ganz ehrlich: ich bin ein klein wenig stolz drauf, dass ich einen blauen Pass mit dem Karo-Wappen besitze. Gleichzeitig finde ich, dass er mich aber nicht weniger österreichisch macht. Oder?

Zweitens: Ich hätte in meiner jetzigen Situation einen riesigen Nachteil gegenüber gleichaltrigen Staatsbürgern. Würde ich mir jetzt die österreichische Staatsbürgerschaft holen, dann müsste ich entweder zum Bundesheer oder zum Zivildienst. Nicht, dass ich mich davor drücken möchte. Jedoch würde dies mein Leben ziemlich auf den Kopf stellen. Mein Einkommen wäre mit einem Schlag weg. Ob der Arbeitgeber das mitmacht, ist dann noch die Bonus-Frage.

3
"Wieso hast du dir den Pass nicht früher geholt?"

Stimmt, ich hätte mir den Pass schon zu Schulzeiten holen können. Dann hätte ich das Problem mit dem Heer gar nicht. Mein innerliches Dilemma mit der Identität lassen wir jetzt außen vor. Es ist aber nun mal so, dass man den die österreichische Staatsbürgerschaft nicht nachgeworfen bekommt. Tatsächlich habe ich mich im Alter von 17 Jahren bezüglich des bordeauxroten Passes erkundigt. Nicht nur, dass für Erlangen der rot-weiß-roten Staatsbürgerschaft ein immenser bürokratischer Aufwand verbunden ist, sie ist zudem auch nicht gratis. 

Knapp 1.200 Euro hätte ich hinblättern müssen, um ein Stück Papier zu erhalten, dass mir mehr Rechte garantiert. Geld, welches weder ich, noch meine Familie zu dem damaligen Zeitpunkt hatte. Wir mussten jeden Cent mehrmals umdrehen, um einen Wocheneinkauf zu tätigen. Meine Mama verdiente damals monatlich sogar weniger als die Staatsbürgerschaft kostete. Deshalb war mir der Pass-Wechsel einfach nicht möglich.

Es geht auch anders

Ich weiß, dass man aktuell weit davon entfernt ist, Migranten wählen zu lassen. Alle Großparteien stellten sich im vergangenen Jahr klar gegen das Wahlrecht für Ausländer. 

Klar ist auch: Ausländer haben in den meisten Staaten der Welt kein Wahlrecht. In lediglich vier Ländern ist es Migranten erlaubt, ihre Stimme in dem Land abzugeben, in dem sie sesshaft sind: Chile, Uruguay, Neuseeland und Malawi. Zwischen fünf und fünfzehn Jahren müssen Ausländer in den betreffenden Ländern ihren Lebensmittelpunkt haben, damit sie zur Wahlurne gehen dürfen.

Ich finde: Es würde Österreich gut anstehen, hier in Europa ein Stück Pionierarbeit zu leisten. Es wäre nicht sonderlich schwer den Menschen, die hier leben, ein wenig Vertrauen zu schenken. Vielleicht ist genau jetzt die Zeit dafür?

Was sagst du dazu? Bist du auch von dieser Misere betroffen? Würdest du dir wünschen, du dürftest in Österreich wählen gehen?

Oder bist du der Ansicht: "In Österreich dürfen auch nur österreichische Staatsbürger wählen"? Schreib mir eine Mail ([email protected]) oder diskutiere in den Kommentaren mit.

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