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Sind Corona-Maßnahmen verfassungswidrig?

Heute Redaktion
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Hat die Bundesregierung mit ihren Covid-19-Gesetzespaket und den folgenden Maßnahmen verfassungswidrig gehandelt? Die fünf wichtigsten Kritikpunkte im Überblick.

"Ob das alles auf Punkt und Beistrich in Ordnung war, das wird der Verfassungsgerichtshof entscheiden." Aber erst zu einem Zeitpunkt, "wo viele dieser Maßnahmen nicht mehr in Kraft sind" – mit diesen Worten schob Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag die Antwort auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit einiger Corona-Gesetze seiner Regierung auf die lange Bank. Kurz bat mit Verweis auf die Ausnahmesituation um "Nachsicht". Das Wichtigste, so der Regierungschef, sei gewesen, dass man schnell gehandelt habe und dass es funktioniert.

Nun regt sich aber heftige Kritik an diesem scheinbar achtlosen Vorgehen der türkis-grünen Koalition. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) reagierte darauf noch am selben Tag im Rahmen eines "ZiB2"-Interviews. Dort erklärte er, bereits eine Experten-Gruppe – zu dieser gehört auch der ehemalige Verwaltungsgerichtshof-Präsident und Interims-Justizminister Clemens Jabloner – zu sich ins Ministerium gebeten zu haben. Diese solle die Gesetze, Verordnungen und Erlässe analysieren, allfällige Unschärfen werde man dann auch "selbstverständlich" bereinigen.

Doch worum dreht sich die Kritik eigentlich? Wie die Nachrichtenagentur APA meldet, dreht sich diese um 5 Kernthemen. Die zentralen Fragen im Überblick:

1) Sind Ausgangsbeschränkungen rechtswidrig?

Bereits die maßgebliche Verordnung des Gesundheitsministeriums für die Ausgangsbeschränkungen vom 16. März könnte rechtswidrig sein. Sie gründet sich auf dem ersten Covid-19-Gesetzespaket, das die Regierung ermächtigt, "das Betreten von bestimmten Orten" zu untersagen. Im Initiativantrag für den Nationalrat werden präzise Beispiele (Spielplätze, Sportanlagen, See- und Flussufer oder konsumfreie Aufenthaltszonen) genannt. Anschobers Verordnung erklärte aber den gesamten öffentlichen Raum zur verbotenen Zone, womit er den Rahmen seiner Ermächtigung überdehnt haben könnte.

"Die Verordnung dreht das vom Gesetz vorgesehene Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Erlaubnis (Regel) und Verbot (Ausnahme) um. Die Verordnung ist daher gesetzwidrig", erklärte der Europarechtler Stefan Griller von der Universität Salzburg im Gespräch mit der "Presse". Auch Rechtsanwalt Alfred Noll sieht einen Verstoß: "Es ist eine überschießende Verordnung".

2) Schwammig formuliert?

Ein so tiefer Eingriff in die Bürgerrechte wie eine Ausgangsbeschränkungen brauche eine unmissverständliche gesetzliche Grundlage, so die weitere Kritik. Einige der Formulierungen, wie etwa die Ausnahme des Aufenthalts an öffentlichen Orten im Freien "alleine, mit Personen, die im gemeinsamen Haushalt leben, oder mit Haustieren", seien dabei aber sehr vage definiert. Was fällt darunter, was nicht? Noll: "Der Verfassungsgerichtshof hat schon Gesetze aufgehoben, weil er gesagt hat, sie waren nicht genau determiniert".

3) Nicht angemessen?

Durch die Covid-Maßnahmen werden die bürgerlichen Freiheiten, die etwa im Staatsgrundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention festgesetzt sind massivst eingeschränkt. Eingriffe in diese Rechte sollten laut den Kritikern nur das allerletzte Mittel sein. Man müsse diese sachlich rechtfertigen können und sie dürften nicht über ein angemessenes Maß hinausgehen.

4) Bevorzugung einiger Geschäfte

Dass nach Ostern alle kleinen Geschäfte mit einem Kundenbereich von weniger als 400 Quadratmetern wieder aufsperren dürfen, größere mit Ausnahme der Baumärkte aber nicht, sorgt für Unmut. "Es gibt keinen sachlichen Grund, nicht auch größere Geschäfte zu öffnen, wenn dort die gleiche Beschränkung der Kundenzahl praktiziert wird", wird der ehemalige Staatsanwalt Georg Krakow von der APA zitiert. Es sei zudem nicht zu rechtfertigen, dass größere Geschäfte nicht ihren Kundenbereich durch Barrieren auf das erforderliche Maß verkleinern dürften. Dies wird in der letztgültigen Verordnung dezidiert untersagt.

5) Eingriffe per Erlass

Einige der freiheitsbeschränkenden Covid-19-Maßnahmen wurden von den Ministerien per Erlass gesetzt – ein unzureichendes Mittel wie Kritiker erklären. Ein Erlass stellt eigentlich nur eine Weisung einer Behörde an ihr untergeordnete Verwaltungsorgane dar.

Bereits jetzt haben Richter des Verwaltungsgerichtshof, des Bundesverwaltungsgerichts, der Verwaltungs- und der Finanzgerichte in einer gemeinsamen Erklärung festgestellt, dass das so nicht möglich sei: "Bloße Erlässe stellen kein zulässiges Mittel für Eingriffe gegenüber Bürgern dar."

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