"Vom Stacheldrahtzaun ist nichts mehr zu sehen", heißt es auf einer kleinen Infotafel mitten im Grün. Vom Bauzaun aber sehr wohl. Er steht an der Grenzübergangsstelle Schattendorf im Burgenland und ist das Ergebnis einer jahrelangen Provinz-Posse, die noch lange kein Ende gefunden hat.
Wer am nächsten Bahnhof – den sich die Gemeinde mit dem Nachbarort Loipersdorf teilt – ankommt, ist jedenfalls oft der Einzige, der aus der alten Diesellok steigt. Ein einzelner Bundesheer-Soldat beobachtet von seinem Jeep aus die Passagiere. Auf der Straße in den Ort hinein gibt es keinen Gehsteig, die Autos brausen mit 100 Sachen an einem vorbei. Und doch gibt es in der 2.400-Einwohner-Gemeinde eine Fußgängerzone. Landesweit ist es wohl nach der Mariahilferstraße die bekannteste – und sogar Staatsgrenzen überschreitend die wohl umstrittenste.
Eigentlich wollten Schattendorf und das ungarische Ágfalva (Agendorf) ihre "jahrzehntelange Trennung mit all seinen negativen Begleiterscheinungen" beenden, wie man auf einer weiteren Tafel im Ort erfährt. Mit EU-Geldern wurde die historische Straßenverbindung wiederhergestellt, die Region sollte dadurch kulturell, gesellschaftlich und politisch näher einander rücken. Stichwort Europäische Integration. Kaum ein Jahrzehnt später möchte hier aber keiner der Passanten mehr seine Meinung zum Grenzübergang kundtun. Schnellen Schrittes stapfen sie an diesem Nachmittag in Richtung Ungarn, wirken dabei genervt, weichen dem nett fragenden Reporter gezielt aus. Nicht wenige legen den unnötig kompliziert gewordenen Weg per E-Scooter zurück.
Während an der Hauptstraße Schattendorfs die fürs Burgenland typischen Langhäuser dominieren, befindet sich in unmittelbarer Grenznähe der historische Ortskern. Pfarrkirche, Kindergarten, Schwimmbad, eine Straße weiter die Volksschule, Neue Mittelschule, Polizeiinspektion – und das Gemeindeamt. Dort sitzt seit Juni 2022 Bürgermeister Thomas Hoffmann. Der Landesbedienstete (und SPÖ-Funktionär, versteht sich) wurde mit einer überwältigten Mehrheit von 82 Prozent gewählt. Denn er versprach den Bürgern eine Lösung für die Causa Prima.
Auslöser war die zunehmende Verkehrsbelastung entlang des kleinen Grenzübergangs. Auto-Kolonnen fuhren morgens und abends aus Ungarn in Richtung Mattersburg, Baden und Wiener Neustadt, untertags nahmen Burgenländer die Abkürzung nach Sopron, um dort billig zum Friseur, Arzt oder einkaufen zu gehen. Temporäre Fahrverbote zur Rush Hour brachten keine Besserung.
Die Lücke neben dem Bauzaun ist gerade groß genug, dass ein Fahrrad oder Moped durchpasst. Letztere werden vom diensthabenden Bundesheerler durchgelassen, sofern besagte Ausnahmegenehmigung vorgewiesen werden kann. Die meiste Zeit blickt der Grenzsoldat ohnehin auf sein Handy; die Lage sei ruhig, versichert er im Gespräch.
Grundsätzlich sei die Poller-Regelung innerhalb der Bevölkerung mit "Wohlwollen" aufgenommen werden, sagt Bürgermeister Thomas Hoffmann. Immerhin wurde der Transitverkehr aus dem Ort verbannt, das ist unbestritten. Eine einfache Reparatur der Anlage sei nicht zielführend, schon wenig später würden die Vandalen wohl wieder zuschlagen. Die Gemeinde hat deswegen beim Innenministerium um eine Genehmigung zur Videoüberwachung angesucht. Erst, sobald diese da ist, könne die Anlage "wie bisher" wiedererrichtet werden, um den gewollten "Nachbarschaftsverker" zu ermöglichen. Wer dahinterstecken könnte? "Irgendwer, der mit der Geschichte nicht zufrieden ist."