Gesundheit

20 Jahre falsch behandelt – daran litt Frau wirklich

20 Jahre lebte April Burrell in der Psychiatrie, weil sie angeblich an Schizophrenie litt. Aber es war eine Krankheit mit ähnlichen Symptomen.

Sabine Primes
Ergebnisse deuten darauf hin, dass den verschiedenen psychiatrischen Syndromen möglicherweise häufiger Autoimmun- und Entzündungsprozesse zugrunde liegen als bisher angenommen.
Ergebnisse deuten darauf hin, dass den verschiedenen psychiatrischen Syndromen möglicherweise häufiger Autoimmun- und Entzündungsprozesse zugrunde liegen als bisher angenommen.
Getty Images/iStockphoto

In einem medizinischen Durchbruch erwachte eine Frau, die über zwei Jahrzehnte lang in einem "erstarrten" (katatonischen) Zustand gewesen war. April Burrell aus den USA entwickelte im Alter von 21 Jahren eine Psychose und wurde mit schwerer Schizophrenie diagnostiziert. Jahrelang war sie in ihrem Kopf gefangen, unfähig zu kommunizieren oder für sich selbst zu sorgen. Die Diagnose stellte sich jedoch als falsch heraus und erst nachdem ihre wahre Erkrankung entdeckt worden war, bekam sie die gezielte Behandlung gegen eine Autoimmunerkrankung, die ihr Gehirn angegriffen hatte.

Lupus statt Schizophrenie

Die unglaubliche Geschichte von April Burrells Erwachen begann im Jahr 2018, als Sander Markx, Leiter der Präzisionspsychiatrie an der Columbia University, und seine Kollegen ihren Fall wiederentdeckten. Sie fanden heraus, dass Aprils Symptome zwar denen einer Schizophrenie sehr ähnlich waren, sie aber auch an Lupus, einer Autoimmunerkrankung, litt. Weitere Untersuchungen ergaben, dass ihr Immunsystem Antikörper produzierte, die ihr Gehirn angriffen, insbesondere die Schläfenlappen, die mit Schizophrenie und Psychosen in Verbindung gebracht werden. Diese Entdeckung stellte das herkömmliche Verständnis von Aprils Zustand in Frage und warf gleichzeitig die Frage auf, wie viele andere Patienten möglicherweise ebenso falsch diagnostiziert worden waren.

Lupus ist eine entzündlich-rheumatische Autoimmunerkrankung mit vielfältigen Erscheinungsbildern, die vor allem bei Frauen auftritt. Das Immunsystem attackiert hier fälschlicherweise körpereigene Zellen. Meist beschränkt sich die Krankheit auf die Haut, mit typischen schmetterlingsförmigen Hautveränderungen, es können aber auch innere Organe betroffen sein (Systemischer Lupus erythematodes (SLE)).
Meist stehen allgemeine und unspezifische Beschwerden am Beginn des systemischen Lupus erythematodes. Symptome wie Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Leistungsabfall, Fieber und Gewichtsverlust treten recht häufig auf. Oft schwellen auch Lymphknoten an. Je nachdem, welche Organe von der Erkrankung betroffen sind, kommen spezifischere Symptome hinzu. Verlauf und Prognose beim systemischen Lupus hängen vor allem davon ab, welche Organe in welchem Ausmaß betroffen sind. Sind Nieren, Herz und Lunge mitbeteiligt, nimmt SLE oft einen schweren Verlauf, sogar tödlich. Lupus ist nicht heilbar, aber behandelbar
Eine Blutuntersuchung auf bestimmte Antikörper helfen bei der Diagnose des systemischen Lupus. Die genauen Ursachen von Lupus sind noch nicht geklärt. Eine genetische Veranlagung wird als Grundlage für die Störung des Immunsystems angenommen. In Zusammenspiel mit anderen Faktoren (z. B. UV-Licht, Hormonschwankungen, Stress, Infektionen) kann es zum Krankheitsausbruch bzw. Krankheitsschub kommen.

Aprils Behandlung bestand aus einer intensiven Immuntherapie für neuropsychiatrischen Lupus – mit bemerkenswerten Ergebnissen. Obwohl ihre Psychose noch einige Zeit andauerte, zeigte April bereits zu Beginn der Behandlung erste Anzeichen einer kognitiven Verbesserung. Sie erinnerte sich wieder an ihre Kindheit, erkannte Familienmitglieder und zeigte eine verbesserte kognitive Funktion, die über zwei Jahrzehnte nicht vorhanden gewesen war. Im Jahr 2020 wurde April als geistig befähigt eingestuft, hat sich selbst aus der psychiatrischen Klinik entlassen, in der sie fast 20 Jahre lang gelebt hatte, und ist in ein Rehabilitationszentrum umgezogen. 

Fall revolutioniert Psychiatrie

Das Ärzteteam der Columbia University stellte eine Gruppe von Experten unterschiedlicher Disziplinen zusammen, um den Zusammenhang zwischen Autoimmunkrankheiten und psychiatrischen Störungen zu untersuchen. Sie identifizierten rund 200 Patienten mit Autoimmunerkrankungen, die seit Jahren wegen psychiatrischer Symptome in Heimen untergebracht waren. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass den verschiedenen psychiatrischen Syndromen möglicherweise häufiger Autoimmun- und Entzündungsprozesse zugrunde liegen als bisher angenommen. Die Auswirkungen dieser Forschung gehen über April Burrells Fall hinaus. Durch die Identifizierung der autoimmunen Ursache ihrer Symptome haben die Forscher neue Wege für die Behandlung und Pflege von Patienten mit schweren psychiatrischen Erkrankungen eröffnet. Auch wenn die aktuelle Forschung nur einer kleinen Gruppe von Patienten helfen kann, hat sie bereits begonnen, das Feld der Psychiatrie umzugestalten, indem sie traditionelle Diagnose- und Behandlungsansätze in Frage stellt.

Burrells Erwachen hat vielen Patienten und ihren Familien, die den Glauben an die Möglichkeit einer Heilung verloren hatten, Hoffnung gegeben. Dieser Durchbruch hat Forscher auf der ganzen Welt dazu inspiriert, die Rolle von Autoimmun- und Entzündungsprozessen bei psychiatrischen Störungen zu untersuchen. Wissenschaftler in Deutschland, Großbritannien und anderen Ländern führen ähnliche Studien durch, in der Hoffnung, mehr Fälle wie den von April zu finden und die psychiatrische Versorgung zu revolutionieren.

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