Gesundheit

Baby erstmals im Mutterleib am Gehirn operiert

Das Baby wird bereits im Mutterleib mit VOGM diagnostiziert, einer lebensbedrohliche Krankheit. Die Eltern entschließen sich für einen neuen Eingriff. 

Sabine Primes
Die kleine Denver Coleman mit ihrem Vater Derek. 
Die kleine Denver Coleman mit ihrem Vater Derek. 
Facebook/Derek Coleman

Ein Ärzteteam in Boston (USA) führte im März 2023 erfolgreich eine neuartige fetale Operation durch, um eine seltene Gehirnerkrankung zu behandeln, die als Galen-Venen-Missbildung (VOGM) bekannt ist. Obwohl Operationen in der Gebärmutter – die vor der Geburt eines Babys durchgeführt werden – für andere Erkrankungen eingesetzt wurden, war dieses ultraschallgeführte Verfahren eines der ersten für diese Erkrankung. Details des Verfahrens, das im März stattfand, wurden in der Zeitschrift "Stroke" veröffentlicht.

Galen-Venen-Malformationen (VOGM) sind seltene, lebensbedrohliche Gefäßfehlbildungen, die bei Neugeborenen häufig Herzversagen verursachen. Die bevorzugte postnatale Behandlung für VOGM ist die transarterielle Embolisation. Obwohl die Diagnose oft schon in der Gebärmutter gestellt wird,  gab es bis dato keine Behandlungen im Mutterleib. 

Diagnose: Galen-Venen-Missbildung (VOGM)

Als sie von ihrer vierten Schwangerschaft erfuhren, waren Derek und Kenyatta Coleman aus Baton Rouge, Louisiana (USA) überrascht und aufgeregt. Die 36-Jährige und der 39-Jährige sind seit sieben Jahren verheiratet. Laut Kenyatta wäre nichts an der Schwangerschaft auffällig gewesen. Nachdem sie bereits drei Kinder hatte, betrachtete Kenyatta Ultraschalltermine als Routinetermine.

"Dem Baby ging es gut. Der Anatomie-Scan kam unauffällig zurück. Alles war unauffällig“, sagte Kenyatta gegenüber CNN. Die Colemans führten sogar Gentests durch, die Kenyattas Schwangerschaft als "geringes Risiko" charakterisierten. "Wir dachten, wir wären auf der sicheren Seite." Aber als Kenyatta in der 30. Schwangerschaftswoche zum Ultraschall ging, war etwas anders. "Die Ärztin teilte mir mit, dass mit dem Gehirn des Babys etwas nicht stimmte und auch ihr Herz vergrößert war", erinnerte sich Kenyatta. Nach weiteren Untersuchungen dann die Diagnose: Galen-Venen-Missbildung (VOGM).

Bei der VOGM handelt es sich um eine seltene Blutgefäßanomalie im Gehirn, bei der fehlgeformte Arterien im Gehirn direkt mit Venen statt mit Kapillaren verbunden sind, was den Blutfluss verlangsamt und dazu führt, dass Blut unter hohem Druck in das Gehirn strömt, so das Boston Children's Hospital. Der zusätzliche Druck kann zu einer Reihe von Problemen führen, unter anderem dazu, dass das Blut in Richtung Herz und Lunge strömt, was das Herz zur Mehrarbeit zwingt und bei einigen Säuglingen zu verminderter Pumpfähigkeit des Herzens und steigendem Blutdruck führen kann, der wiederum zu Lungenhochdruck führt. Es kann auch verhindern, dass das Gehirn des Babys richtig abfließt, was zu Hirnverletzungen und manchmal zum Verlust von Hirngewebe führen kann, und manchmal entsteht ein Hydrocephalus, auch "Wasserkopf" genannt. Ein erhöhter Blutdruck erhöht mit der Zeit auch das Risiko von Herzerkrankungen.

Studien zufolge, die sich mit allen diagnostizierten Fällen von VOGM in den ersten vier Lebenswochen eines Kindes befassen, überlebt etwa ein Drittel aller Patienten nicht, etwa ein Drittel erleidet trotz Behandlung mäßige bis schwere neurokognitive Beeinträchtigungen und nur ein Drittel überlebt bis zum Erwachsenenalter ohne "signifikante Beeinträchtigungen", so das Boston Children's Hospital auf seiner Website. Typischerweise werden Säuglinge nach der Geburt mit einem Katheter behandelt, in den winzige Spulen eingeführt werden, um den Blutfluss zu verlangsamen. Allerdings kommt die Behandlung oft zu spät. 

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    Twitter/Gemini Untwined

    In der 34. Schwangerschaftswoche operiert

    Aber die Colemans hatten von einer klinischen Studie erfahren, die von Brigham and Women's and Boston Children's Hospitals durchgeführt wurde und die eine Behandlung vor der Geburt ihres Babys ermöglichen könnte. Trotz möglicher Risiken sahen die Colemans keine andere Option. Am 15. März, genau einen Monat nachdem der Ultraschall die Fehlbildung entdeckt hatte, – also in der 34. Schwangerschaftswoche – wurde Kenyattas Baby im Mutterleib operiert.

    Es wurde eine Technik verwendet, die von früheren Herzoperationen in der Gebärmutter übernommen wurde – die transarterielle Embolisation. Sobald sich der Fötus in der optimalen Position befindet, erhält er eine kleine Medikamenteninjektion, damit er sich nicht bewegt, und er bekommt auch Medikamente zur Schmerzlinderung. Ein Team des Boston Children's Hospital und des Massachusetts General Hospital führte den Eingriff an dem Fötus durch, indem es zunächst in die Gebärmutter und dann in den Schädel des Babys schnitt und schließlich das sich entwickelnde Gehirn operierte. Nach dem Schnitt in den Bauch der Schwangeren wurde die Arterie des Babys mit Hilfe eines Ultraschalls lokalisiert, um den Eingriff zu steuern. Die Ärzte fädelten vorsichtig einen Katheter durch die Nadel, damit die winzigen Metallspiralen die Vene füllen, den Blutfluss verlangsamen und den Druck verringern können. Das Baby zeigte sofort Anzeichen einer Besserung, und die Ultraschalluntersuchungen zeigten, dass der Blutdruck in wichtigen Bereichen gesunken war.

    Geburt 2 Tage später

    Nach dem Eingriff trat bei Kenyatta langsam Fruchtwasser aus. Zwei Tage später, in der 34. Woche, setzten bei ihr die Wehen ein. Am 17. März wurde das Mädchen, Denver Coleman, geboren. Die Ärzte waren zufrieden. "In der unmittelbaren Zeit nach der Geburt war sie sehr stabil und brauchte keine der üblichen Sofortbehandlungen. Jetzt, fast zwei Monate nach der Geburt von Denver, entwickelt sie sich bemerkenswert gut, er nimmt keine Medikamente ein, hat normale Essgewohnheiten und nimmt an Gewicht zu. Es gibt keine Anzeichen für irgendwelche negativen Auswirkungen auf das Gehirn.