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Angst vor Mann, dann 200€-Strafe – Frau packt im ORF au

Eine neue ORF-Doku beschäftigt sich am Mittwoch mit Gewalt gegen Frauen. Gleich zu Beginn geht es dabei um einen aufsehenerregenden "Heute"-Fall.

Leo Stempfl
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Wer liebt, tötet nicht, wer liebt, prügelt nicht, sollte man meinen. Trotzdem ist immer wieder von "Beziehungstaten", "Eifersuchtsdramen" oder Tötungen "aus Liebe" zu lesen. Gewalt ist ein mehrheitlich männliches Phänomen. Diese traurige Wahrheit belegt die jährliche Kriminalstatistik

Vergangenes Jahr wurden in Österreich 31 Frauen getötet, die Täter stammten zum überwiegenden Teil aus dem Familienkreis. Jede fünfte Frau ist im Laufe ihres Lebens von männlicher Gewalt betroffen, ausgeübt auch von Fremden, in den allermeisten Fällen aber von (Ehe-)Partnern oder Ex-Partnern.

"Die gefährlichste Zeit im Leben einer Frau ist die Trennung", sagt deswegen die Anwältin Sonja Aziz. "Schrittweise ist es immer mehr geworden"; so eine andere Betroffene. "Meine Rolle war: arbeiten, Mund halten, funktionieren." 

"Heute"-Fall wird aufgerollt

Neu aufgerollt wird dabei auch ein Fall, der durch "Heute" ans Tageslicht kam. Ein Opfer häuslicher Gewalt alarmierte die Polizei, doch die eintreffenden Beamten reagierten eher genervt und waren nicht bereit, zu helfen. "Wenn Sie Streit haben, ist mir das prinzipiell egal (…) Es ist mir eigentlich egal, wer wen schlägt (…) Was sollen wir jetzt machen?" Am Ende flatterte der Wienerin sogar selbst eine Strafe über 200 Euro ins Haus.

Frau flehte Polizei um Hilfe an, bekam 200 Euro Strafe >>

Gegenüber dem ORF führt die zweifache Mutter weiter aus: Ihr Ex-Mann habe sich noch darüber lustig gemacht, in spätestens 20 Jahren eh wieder frei zu sein, wenn er sie jetzt umbringen würde. In der ORF-Doku ist nun erstmals das Tonband, das auch "Heute" vorliegt, im Original zu hören.

So wird die Wienerin darin von einem Polizisten dazu aufgefordert, ihrem Mann den Wohnungsschlüssel zurückzugeben, weil er auch Hauptmieter ist. Den Einwand, Angst vor ihm zu haben, ließ er nicht gelten. Das Problem war offenbar, so ihre Anwältin, dass sich der Mann gegenüber den Polizisten plötzlich ruhig verhielt und so die Gefahr nicht richtig eingeschätzt werden konnte.

Gewaltspirale

Lisa hingegen, eine junge Frau aus Wien, verliebt sich mit 15 Jahren in einen Gleichaltrigen. Schon bald zeigt sich seine Eifersucht. Damit beginnt eine Spirale von verbaler und steigender körperlicher Gewalt. Lisas Mutter alarmierte die Polizei, eine Anzeige folgte – auch gegen die Polizei, denn diese sprach in weiterer Folge keine Wegweisung aus.

Was danach geschah, welchem Martyrium sie anschließend ausgesetzt war, erzählt sie in der neuen "Menschen & Mächte"-Dokumentation "Wer liebt, tötet nicht. Gewalt gegen Frauen" von Gregor Stuhlpfarrer und Viktoria Tatschl am Mittwoch, dem 18. Mai 2022, um 22.30 Uhr in ORF 2. Um 23.25 Uhr folgt "WELTjournal +: Ex-Freund als Stalker – Chronik eines angekündigten Todes".

Wo und wie geholfen wird

Hilfe können Betroffene etwa in Frauenhäusern finden. In eines in Tirol ist Frau Margarethe im Frühjahr 2021 geflüchtet. 46 Jahre lebte sie in einer von Gewalt dominierten Beziehung. "Er hat alles getan, um mir mein Leben so schwer wie möglich zu machen." Mit Psychoterror und Gewalt. "Das Schwierigste war, zu begreifen, dass man den Menschen nach 46 Jahren eigentlich gar nicht kennt", sagt die 67-Jährige im ORF-Interview.

Für Frauenhaus-Leiterin Gabriele Plattner wird noch immer zu wenig getan, um häusliche Gewalt zu bekämpfen: "Es braucht deutlich mehr Finanzierung im Bereich der Gewaltprävention, aber auch in Richtung Geschlechtergerechtigkeit. Zum Beispiel flächendeckende und kostenlose Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Denn auch das ist ein Schlüssel, um Frauen unabhängiger zu machen."

Seit September 2021 ist jeder, der von der Polizei weggewiesen wird, verpflichtet, einen sechsstündigen Kurs über Gewaltprävention zu absolvieren. Welche therapeutische Wirkung können sechs Stunden haben? "Sechs Gesprächsstunden sind besser als nichts. Aber sicher zu wenig", sagt Sigrun Roßmanith, Psychiaterin und Gerichtsgutachterin, die mit Hunderten männlichen Gewalttätern gesprochen hat.

Leidensgenossinnen Mut machen

Auch Gerhard hat die sechs Beratungsstunden im Rahmen der Gewaltprävention absolviert. Zu Beginn des Jahres wurde gegen ihn ein Betretungsverbot ausgesprochen. Während der Dreharbeiten schilderte er seine Sicht des Konfliktes mit seiner Ex-Partnerin. Gerhard hat noch nie in so einem Setting über seine Gefühle und die Aggressionen gesprochen. "Am Anfang ist es mir schwergefallen, darüber zu reden. Ich wollte wieder gehen, weil da kommen viele Sorgen und Ängste in einem hoch. Existenzängste, Verlust der gesamten Familie, das Ansehen in der Gemeinde", erzählt der 45-jährige Steirer.

Viele Frauen, mit denen Gregor Stuhlpfarrer und Viktoria Tatschl sprachen, wagten dann nicht, ein TV-Interview zu geben. Sie fürchteten, der Ex-Partner könnte sie und ihre Leidensgeschichte erkennen und Rache üben. Daher wurden die Namen jener Frauen, die in der Doku vorkommen, zu ihrem persönlichen Schutz von der Redaktion abgeändert.

Jene, die sich bereit erklärten, Interviews zu geben, taten das auch, um Leidensgenossinnen Mut zu machen, sich zu wehren, Selbstbewusstsein zu entwickeln und verlorene Würde zurückzugewinnen. So gelang eine feinfühlige Dokumentation mit vielen Zwischentönen, zu der Kameramann Walter Reichl eine ebenso sensible Bildsprache entwickelte.

"Wer liebt, tötet nicht. Gewalt gegen Frauen": Neue "Menschen & Mächte"-Dokumentation am 18. Mai um 22.30 Uhr in ORF 2.
Danach: "WELTjournal +: Ex-Freund als Stalker – Chronik eines angekündigten Todes"

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