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Austria hat die NS-Zeit in einem Buch aufgearbeitet

Heute Redaktion
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Die Wiener Austria hat die dunkelsten Jahre der österreichischen Geschichte wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Nun wurde ein Buch dazu präsentiert.

Bereits 2014 hat sich die Wiener Austria entschlossen, die Geschichte des Vereins sowie das Schicksal von Spielern und Funktionären in der NS-Zeit aufzuarbeiten. 2016 startete schließlich die wissenschaftliche Arbeit.

Am Donnerstag haben die "Veilchen" nun das Buch "Ein Fußballverein aus Wien – Der FK Austria im Nationalsozialismus 1938-1945" in den VIP-Räumlichkeiten der Generali Arena vorgestellt. Ab Freitag ist es im Austria-Fansho erhältlich.

"Wir finden es extrem wichtig, diese Zeit aufzuarbeiten, um diesen Teil der Geschichte in weiterer Folge auch in unserem Museum weiterzugeben. Die Erkenntnisse und Erzählungen sind nicht nur Teil der Austria-Geschichte, sondern auch der Stadt Wien und von Österreich", erklärte Austrias AG-Vorstand Markus Kraetschmer im Rahmen der Buchpräsentation.

"Das große Interesse an der wissenschaftlichen Arbeit zeigt, dass es wichtig war, dieses Projekt umzusetzen. Es ist wichtig, ein Bewusstsein für diese Thematik zu schaffen – umso mehr, da die Zeitzeugen immer weniger werden", so Kraetschmer weiter. "Es ist letztlich eine Stadtgeschichte, eine Fußballgeschichte, eine Klubgeschichte und eine politisch-ideologische Geschichte. Das Buch soll uns auch dabei helfen, ein besseres Bewusstsein für aktuelle Gegebenheiten zu schaffen", so Autor Johann Skocek.

Die Hauptergebnisse des Buchs

Mit dem „Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 war auch der Wiener Fußballsport gravierenden Eingriffen durch das nationalsozialistische Regime ausgesetzt. Zugleich aber liefen viele Prozesse und Abläufe im Alltag der Vereine aus der Zeit vor 1938 nahezu unverändert weiter. Eine grundlegende Veränderung betraf die Vertreibung der Juden aus dem Wiener Sport. Der Vorstand der Austria bestand im März 1938 durchwegs aus jüdischen Mitbürgern, sie wurden sofort nach der Machtergreifung abgesetzt und vertrieben. Der Manager Robert Lang und der Schriftführer Heinrich Bauer wurden Opfer der Shoa. Martin Medina, der Mitte der 1930er Schriftführer der Austria gewesen war, aber im März dem Vorstand nicht mehr angehörte, wurde ebenfalls ermordet.

Wiener Fußball im Nationalsozialismus als Massenkultur

Wiener Fußball im Nationalsozialismus als Massenkultur

Gerade das massenkulturelle Phänomen Fußball vermag im Hinblick auf ein umfassendes Verständnis des Nationalsozialismus Einblick in konkrete Lebenswelten, gerade auch unter diktatorischen Rahmenbedingungen, zu geben. Die Untersuchung des Wiener Fußballs zwischen 1938 und 1945 anhand des FK Austria stellt Fragen nach individuellen Handlungsspielräumen, Vereinnahmungen durch die Obrigkeit und der Bedeutung von Sport – und beantwortet viele davon.

Das Zusammenspiel von Indoktrinierung und Resistenz, von Ideologie und Praxis kann nachgezeichnet werden. Es zeigt sich, dass der Sportbetrieb im Sinne von Körperkultur und Leibeserziehungen zwar direkt der NSDAP unterstellt wurde, der Wiener Spitzenfußball als populäre Unterhaltungskultur – trotz medienwirksam inszenierter Veränderungen – in vielen Aspekten aber vergleichsweise unberührt blieb. Populäre Narrative wie beispielsweise das vom Widerstand des Matthias Sindelar gegen das NS-Regime können hinterfragt werden. Das Beispiel der Austria zeigt vor allem, dass sich die Populärkultur des Wiener Fußballs der simplen Dichotomie von Instrumentalisierung und Widerstand, von Identitätspolitik und Zugehörigkeit, aber auch von Macht und Hegemonie entzieht.

So zeigen sich beispielsweise in der Vita zweier in der Überlieferung als „Wiener Originale" und Widerstandshelden etablierter Austria-Spieler, des Wunderteam-Kapitäns Matthias Sindelar und seines besten Freundes, des Verteidigers Karl Sesta, differenziertere Züge. Sindelar nutzte bei der verordneten Abschaffung des Profispielertums seine Rolle als „Poster Boy" der Amateurisierung, um das Café Annahof im Zuge einer Arisierung zu erwerben. Seine Absenz vom deutschen Nationalteam war vermutlich, den Notizen des Reichstrainers Sepp Herberger zufolge, auf sein damals schon weit fortgeschrittenes Fußballer-Alter und seinen Einsatz in zu vielen Spielen zurückzuführen. Eine Weigerung aus ideologischen oder weltanschaulichen Gründen konnte nicht bewiesen werden.

Und Sesta erwies sich als ein auf seinen eigenen Vorteil bedachter, oft gutmütiger, jedoch nicht nur auf dem Spielfeld auch zu Grobheiten neigender Charakter. Er schaute aber auch auf den eigenen Vorteil: Er engagierte sich bei der Volksabstimmung vom 10. April und posierte als Erntehelfer. Nachdem der Versuch, ein Kaffeehaus zu arisieren, gescheitert war, arisierte er eine Hammerbrotfiliale. Auch noch nach 1945 warf er der Austria vor, ihm Geld schuldig zu sein.

"Opfer" Austria - Differenzierung

Die These von einer besonders harten Behandlung des „Judenklubs" Austria konnte nicht verifiziert werden. Zwar wurden in der Anfangsphase des Kriegs mehr Austrianer als Spieler anderer Klubs zur Wehrmacht eingezogen, aber das lässt sich mit jahrgangsspezifischen Logiken der Heeresrekrutierung erklären. Nachweise einer beabsichtigten Ungleichbehandlung der Austria oder ihrer Spieler durch die Behörden ließen sich nicht finden, allerdings Hinweise auf unterschiedlich gute (und hilfreiche) Kontakte der Vereine zu lokalen Militärkommandanten.

Umgestaltungen im Vorstand nach dem „Anschluss"

Das erste Halbjahr nach dem „Anschluss" hatte bei der Austria massive Veränderungen gebracht, die Einsetzung eines neuen Vorstands im Oktober 1938 sollte die Austria jedoch, aus Sicht des Regimes, zu einem normalen Wiener Großklub machen. Die Entscheidungsgewalt im Klub lag primär beim neuen Vereinsführer, dem Rechtsanwalt Bruno Eckerl. Er hatte alte Beziehungen zur Austria, war 1928 Sektionsleiter der Austria-Akademikermannschaft gewesen. Er passte sich an die neuen politischen Bedingungen bestens an, wurde 1942 auch Parteimitglied. Zu seinem Stellvertreter und zum Dietwart wurde Walter Münch bestimmt. Parteimitglied seit 1931, SS-Mitglied seit 1937, arbeitete Münch ab März 1938 im Büro von Ernst Kaltenbrunner.

Er war es wohl auch, der Kaltenbrunner als Ehrenpräsidenten zum Verein brachte. Kaltenbrunner interessierte sich nicht für Fußball und es ist unwahrscheinlich, dass er jemals bei einer Vereinssitzung anwesend war. Zentrale Figur im Management des Vereins war der im Sommer 1938 als Geschäftsführer installierte Richard Ziegler, ein im Fußballbetrieb bestens vernetzter Akteur, war er doch vorher in ähnlicher Funktion beim FAC und im Wiener Fußball-Verband tätig gewesen.

Partei-, SA-, SS-Mitgliedschaften

Zur Frage der direkten Verstrickung der Austria in das NS-System kann gesagt werden, dass es neben Walter Münch und natürlich Ernst Kaltenbrunner weder unter den Funktionären noch unter den Spielern weitere SS-Mitglieder gab. Der kommissarische Leiter Hermann Haldenwang und der Spieler Johann Mock waren SA-Mitglieder. Insgesamt 17 Austrianer, auch solche, die erst nach 1945 im Vorstand saßen, waren Mitglieder der NSDAP. Von den Spielern waren dies Karl Böhm und der Gastspieler Johann Roggow. Drei ehemalige Parteimitglieder kamen erst nach 1945 in den Vorstand, das heißt zwölf Vorstandsmitglieder aus der NS-Ära waren bei der Partei.

Funktionärskontinuität

Ein interessanter Aspekt ist die Funktionärskontinuität bei der Austria. Präsident Emanuel „Michl" Schwarz musste 1938 flüchten, im Dezember 1945 kehrte er zum Länderspiel gegen Frankreich aus Paris nach Wien zurück. Als einziger der Funktionäre aus der Zeit vor dem „Anschluss". Schwarz übernahm wieder das Präsidentenamt, bis er 1957 vom Anwalt Bruno Eckerl abgelöst wurde. Eckerl war in der NS-Zeit Vereinsführer und also auch ein Vertrauensmann der Machthaber gewesen. Aber er hatte auch die Frau des Austria-Ex-Kapitäns Walter Nausch, Margarethe, vertreten, als ihr von den Behörden wie allen Juden ihr Eigentum weggenommen werden sollte.

Eckerl genoss offenbar das Vertrauen Nauschs, denn der Kontakt riss nicht ab, nachdem Nausch mit seiner Frau in die Schweiz emigriert war. Mit der Migration nach Zürich konnte er bei den Schweizer Behörden für seine Frau bürgen, die sonst keine Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz erhalten hätte. Auch in ihrer Restitutionssache nach 1945 beauftragte Margarethe Nausch wieder Eckerl mit ihrer Vertretung.

Die Untersuchung des FK Austria Wien, seiner Mitarbeiter und Spieler zwischen 1938 und 1945 ermöglicht nicht nur ein besseres Verständnis ihrer Wege, sondern auch der Funktionsweise von autoritären Systemen. Die Analyse erweist sich auch im Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche Tendenzen als wertvoll, von autoritären Entwicklungen bis zu „illiberalen Demokratien". Dem Sport kommt – vom „Führerprinzip" über das Primat von Leistung und Nationalismus bis zur Emotionalisierung der „Massen" – eine entscheidende Funktion bei der Formierung sozialer und kultureller Strukturen zu, das wird heute deutlicher denn je.

Wie das Forschungsprojekt zustande kam

Die Wiener Austria hatte schon einige Jahre lang vorgehabt, ihre Geschicke während der Zeit des Nationalsozialismus einer profunden Untersuchung zu unterziehen, wie das ja schon mit der Einrichtung des Vereinsmuseums begonnen worden war. Die Autoren und der FK Austria Wien entwickelten ein Forschungsprojekt; gemeinsam konnte man den Zukunftsfonds, den Nationalfonds und die Stadt Wien als Förderer gewinnen. Die Austria selbst übernahm einen großen Teil der Kosten. Der Leiter des Arbeitsbereiches Sozial- und Zeitgeschichte am Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien, Rudolf Müllner, übernahm das wissenschaftliche Controlling.

Der FK Austria Wien folgt mit dieser Aufarbeitung seiner Vergangenheit dem Beispiel etlicher Fußballvereine wie Schalke 04 oder Bayern München. Innerhalb Österreichs haben auch der SK Rapid und Sturm Graz und der GAK ihre Rolle in den Jahren 1938–1945 einer kritischen historischen Untersuchung unterzogen.

Fazit

Man könne die Bedeutung der Beschäftigung mit Geschichte gar nicht überschätzen, meint der Philosoph und Soziologe Michel Foucault, denn Sie „beunruhigt, was man für unbeweglich hielt; sie zerteilt, was man für eins hielt; sie zeigt die Heterogenität dessen, was man für kohärent hielt." Was Geschichte ist und was man damit anfangen kann, entsteht im Hier und Jetzt, in den Konflikten, die augenblicklich und aktuell vor sich gehen. Geschichte liegt nicht in der Vergangenheit, sondern wird andauernd neu verhandelt und verwendet. So möge das Buch helfen, durch die Erhellung der Vergangenheit die Gegenwart besser zu verstehen, um die Zukunft besser und für alle vorteilhaft zu gestalten. (Heute Sport)