Adil und Halima wuchsen Tür an Tür in einem syrischen Dorf auf. Sie sind Cousin und Cousine, spielten gemeinsam, besuchten dieselbe Schule. Als Halima 13 wurde, begann sie ein Kopftuch zu tragen – auch vor Adil. Denn: "Man muss vor allen Männern, die einen potenziell heiraten dürfen, die Haare verdecken", erklärt sie.
Zwei Jahre später bat Adil um ihre Hand. Mit 15 heirateten die beiden – freiwillig, wie sie betonen. Heute leben sie mit ihren drei Kindern in einer Einzimmerwohnung in Wien-Meidling. Doch ihre Eheform könnte bald in Österreich verboten werden.
Die Regierung aus ÖVP, SPÖ und Neos will Ehen zwischen Cousins und Cousinen ersten Grades untersagen. Das geht aus dem aktuellen Koalitionsabkommen hervor, wie der "Falter" berichtet. Schon unter Türkis-Grün wurde ein ähnlicher Vorstoß unternommen – erfolglos.
Das Ziel: Zwangsehen verhindern und gesundheitliche Risiken für Kinder reduzieren. Doch das geplante Verbot trifft vor allem Communitys aus muslimisch geprägten Ländern, in denen Verwandtenehen kulturell tief verankert sind.
In Ländern wie Pakistan, dem Irak oder auch Syrien sind Ehen innerhalb der Familie keine Ausnahme, sondern Normalität. Die Motive sind vielfältig: Kontrolle, Loyalität, Absicherung. Doch wann wird eine kulturelle Norm zur Einschränkung der persönlichen Freiheit?
Halima erzählt, sie habe vor der Hochzeit kaum an Heiraten gedacht. "Bis zu Adils Antrag habe ich überhaupt nicht ans Heiraten gedacht." Viel Zeit zum Nachdenken blieb ihr nicht – und trotzdem sagt sie: "Ich hätte aber auf jeden Fall Nein sagen können."
Für Adil war die Verbindung mit Halima eine logische Wahl – auch weil die Familie sie gut kannte. "Bei uns werden Ehen nicht nur zwischen zwei Menschen, sondern auch zwischen Familien geschlossen", sagt er im Falter.
Diese Nähe bringt Vorteile, aber auch Herausforderungen. Halima sagt: "Wenn ich mich mit meinem Mann streite, rufe ich meinen Onkel an und er schimpft mit Adil." Gleichzeitig gibt sie zu: "Wenn wir uns streiten, wissen es gleich alle." Die Familie ist eng – aber auch sehr präsent.
Die Ehe zwischen Halima und Adil war rechtlich möglich – in Syrien, aber auch in Österreich. Derzeit können Jugendliche hierzulande ab 16 Jahren heiraten, wenn ein Gericht und die Eltern zustimmen. Künftig soll das Mindestalter auf 18 angehoben werden.
Diese Änderung ist Teil des Maßnahmenpakets gegen Zwangsehen. Doch Experten wie Najwa Duzdar, Leiterin der Beratungsstelle Orient Express, warnen: Zwang sei nicht vom Verwandtschaftsgrad abhängig. "Dabei macht es keinen Unterschied, ob sie verwandt sind oder nicht", sagt sie.
Ein weiterer Punkt: die Sorge vor genetischen Schäden. "Die Wahrscheinlichkeit, dass bei Verbindungen zwischen Cousine und Cousin ersten Grades bei den Nachkommen bestimmte genetische Erkrankungen auftreten, ist in etwa doppelt so hoch wie bei Paaren, die nicht verwandt sind", erklärt Genetik-Professor Markus Hengstschläger.
Halima erinnert sich: "In unserem Dorf sind damals schon einige Kinder krank zur Welt gekommen." Ihre eigenen drei Kinder seien jedoch gesund. Ein generelles Verbot halten sie und ihr Mann für überzogen. "Wenn die Leute es möchten, warum verbieten?", fragt Adil.
Auch Ethikerinnen warnen vor einer Bevormundung. "Jedes Elternpaar wünscht sich gesunde Kinder", sagt Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission. "Aber das durch ein Verbot zu erzwingen, halte ich für schwierig und diskriminierend."
Stattdessen sollte es Aufklärung geben – etwa durch genetische Beratung für Paare, die eine Verwandtenehe eingehen möchten. Ein gesetzliches Verbot könnte eher Misstrauen schüren als helfen.
Kritiker sehen im geplanten Verbot weniger Frauenschutz als Symbolpolitik. Die FPÖ forderte im Wahlkampf 2024 die "Remigration" und präsentierte Cousinen-Ehen als Beispiel für "archaische Erscheinungsformen des frauenfeindlichen Gedankenguts im Islam". Für NGOs wie Orient Express eine gefährliche Pauschalisierung.
Schon im Mittelalter verbot die katholische Kirche Ehen unter Verwandten – nicht aus medizinischen Gründen, sondern um die Macht von Familienclans zu brechen. Auch heute geht es um Kontrolle: Wer entscheidet über Liebe, Ehe und Familie – der Staat oder die Menschen selbst?
Die Tochter von Adil und Halima, heitß Amira und ist vier Jahre alt. Ihre Eltern mussten für ihre Ehe keine Konsequenzen fürchten – denn bestehende Ehen bleiben vom Verbot ausgenommen.
Doch für Amira wird die Gesetzeslage anders aussehen. Ihre Eltern sagen heute: Sie wünschen sich, dass ihre Kinder später nicht innerhalb der Familie heiraten. Aber: „Wenn sie es wollen – warum nicht