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Pädophile machen gezielt Jagd auf junge Gamer

Heute Redaktion
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Erwachsene nutzen Gaming-Plattformen, um sexuelle Kontakte mit Minderjährigen zu knüpfen. Die Täter entsprächen nicht dem Klischee, sagt ein Experte.

Über Multi-Player-Spiele und Chat-Plattformen hätten Sexualstraftäter einen einfachen Zugang zum Leben von jungen Gamern erhalten, berichtete die "New York Times". Die Täter würden versuchen, Vertrauen aufzubauen, um dann sexuelle Inhalte wie Nacktfotos zu fordern und die Spieler damit zu erpressen.

Dieses Phänomen – auch Cybergrooming genannt – tauche in den USA vermehrt auf, gewisse Täter würden es auf Tausende Opfer anwenden. Trotzdem habe die Tech-Industrie nur halbherzige Versuche unternommen, die "Bilder-Explosion von sexuellem Kindesmissbrauch" zu bekämpfen.

"Ich habe Nein gesagt"

Auch in Europa haben Gamer mit Cybergrooming Erfahrungen gemacht – so wie Jenny. Auf einem Pokémon-Forum habe ein 22-jähriger Moderator mit der damals 14-jährigen Schweizerin Kontakt aufgenommen, sagt die heute 20-Jährige gegenüber "20 Minuten".

"Seine Kontaktversuche sind auf Skype weitergegangen, er hat dort immer wieder sexuelle Anspielungen gemacht." Er habe den Kontakt mit ihr eineinhalb Jahre aufrechterhalten und sie immer wieder gefragt, ob sie nicht bei ihm persönlich vorbeikommen wolle. "Ich habe aber Nein gesagt. Das Risiko wollte ich nicht eingehen."

"Schockiert uns nicht mehr"

"Hey cutie, I have a surprise for you" – solche und ähnliche Nachrichten bekommt Nicola bis zu dreimal die Woche auf Gaming-Plattformen. Der 18-Jährige und seine Kollegen hätten gelernt, die Nachrichten zu ignorieren oder bei Playstation zu melden, wenn der Inhalt zu weit gehe. "Das schockiert uns schon lange nicht mehr."

Auf Plattformen wie Fortnite werde nicht auf die Problematik hingewiesen, so Nicola. "Es wird davor gewarnt, Passwörter herauszugeben. Auf sexuelle Belästigung wird aber nie hingewiesen."

Problematik der Polizei bekannt

Der Vater von einem 14-jährigen Buben sagt, dass die Täter gezielt gewisse Altersgruppen ansprechen würden. "Anhand von Gaming-Listen kann das ungefähre Alter der Spieler ermittelt werden." Wenn er zweifelhafte Nachrichten sehe, melde er die Profile immer sofort.

Das Phänomen von sexueller Belästigung auf Gaming-Plattformen sei ihm bekannt, sagt Roland Pfister, Kommunikationschef der Kantonspolizei Aargau gegenüber "20 Minuten". Es komme immer wieder zu solchen Fällen. Die Dunkelziffer sei jedoch hoch, da bei Opfern einer sexuellen Straftat oft Scham vorhanden sei. "Wir empfehlen aber in jedem Fall, Anzeige zu erstatten."

Nur vereinzelte Anzeigen

Laut Polizeisprecher Marco Cortesi gehen in der Stadt Zürich nur vereinzelte Anzeigen gegen sexuelle Belästigung auf Gaming-Plattformen ein. "Das Netz hört nicht in Zürich-Altstetten auf. Man erstattet wahrscheinlich keine Anzeige, wenn der Täter vom anderen Ende der Welt kommt." Wenn eine Anzeige eingehe, werde die aber auch ernst genommen und verfolgt.

Leider mache die Anonymität im Internet die Nachverfolgbarkeit schwierig, sagt Pfister. Die Prävention sei darum umso wichtiger. "Wir fordern die Leute auf, auf solchen Plattformen vorsichtig zu sein mit dem Zeigen von Nacktheit und Aufforderungen zu sexuellen Handlungen nicht einzuwilligen."



"Die Täter sind oft jung, cool und medienaffin"

Herr Zahn*, was macht Gaming-Plattformen für die Täter attraktiv?

Kinder und Jugendliche rechnen auf solch spielerischen Plattformen weniger mit pädosexuell veranlagten Personen. Das Einstiegsthema ist klar festgelegt. Die Täter können zum Beispiel mit den Gamern in Kontakt treten, indem sie sie nach dem Spielstand oder Erfahrungen fragen. Außerdem können die Kinder durch das Thema Gamen einfach von den Eltern isoliert werden. Die Täter sagen dann Dinge wie: "Du musst das deinen Eltern nicht sagen, die verstehen das sowieso nicht."

Welche Strategie verfolgen die Täter?

Im Vergleich zu früher gehen die Täter psychologisch geschickt vor und fallen nicht mit der Tür ins Haus. Sie verfügen über viel Zeit und großes Wissen im Gaming-Bereich. Diese Ressourcen verwenden sie dazu, eine Beziehung zu den Spielern aufzubauen, manchmal über Wochen bis Monate.

Die Kinder haben irgendwann nicht mehr das Gefühl, dass sie mit Fremden chatten, und geben dann sehr intime Informationen preis. Die Ziele der Täter sind unterschiedlich. Gewisse Täter wollen nur Kontakt mit einem Kind, andere verlangen Bilder oder Filme. Gelegentlich kommt es auch vor, dass die Täter ein Treffen in der realen Welt wollen.

Wer sind die Täter?

Es gibt nicht den einen Täter. Am besten macht man sich kein klares Bild. Es gibt aber die Tendenz, dass die Gaming-Szene jüngere Täter anzieht. Sexuelle Erpressung wird zum Teil von Personen vorgenommen, die fast Altersgenossen sind. Man muss wegkommen vom Bild des "alten Grusel". Die Täter sind oft jung, cool und medienaffin. Unter den Tätern gibt es zudem Gamer, aber auch Personen mit stark pädosexuellen Neigungen, die sich in die Welt der Spieler einarbeiten.

Gibt es besonders problematische Plattformen?

Heikel sind Plattformen, die stark auf Kinder ausgerichtet sind. Ein Beispiel ist die App Roblox, wo Tausende von Spielen mit teils süßen Legomännchen versammelt sind. Das System ist nicht schwer zu verstehen, man muss dafür nicht wahnsinnig medienaffin sein. Außerdem sind die jüngeren Kinder vertrauensseliger.

Die Prävention ist zentral. Was wird gemacht, wo besteht noch Handlungsbedarf?

Inzwischen setzen viele Schulen auf Medienbildung. Die Präventionsarbeit zeigt Wirkung: Betroffenen ignorieren die Anfragen häufiger und suchen manchmal auch Hilfe bei den Eltern. Es wäre gut, wenn zudem mehr Peer-Arbeit geleistet werden würde, das heißt wenn Jugendliche Kinder unterrichten würden. Außerdem muss man die Eltern mehr wachrütteln, sie nehmen das Risiko oft nicht genug ernst.



*Joachim Zahn ist Medienpädagoge bei der Medienfachstelle Zischtig.ch.

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