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Das Duell der Erzrivalen Polen und Russland

Heute Redaktion
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Bild: VASSIL DONEV (EPA)

Politisch heikel, sportlich brisant - das Spiel zwischen Polen und Russland bei der Fußball-EM am Dienstag (20.45 Uhr, LIVE im Heute.at-Ticker) birgt reichlich Konfliktstoff. Ein geplanter Marsch russischer Fans Richtung Warschauer Nationalstadion und anhaltende Verschwörungstheorien um den Flugzeugabsturz des damaligen polnischen Präsidenten Lech Kaczynski im April 2010 bei Smolensk heizen vor der Partie die Stimmung an.

Aus Sorge vor Zusammenstößen der Anhänger werden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Das Spiel in Warschau werde die bisher größte Herausforderung für die polnische Polizei sein, wie Innenminister Jacek Cichocki am Montag unterstrich. Fast 30.000 polnische und knapp 10.000 russische Fans werden erwartet, 6.000 Polizisten sind im Einsatz. Polens Innenminister verwies darauf, dass von 905.000 Fans, die an den ersten drei EM-Tagen in den Stadien oder in den Fan-Zonen waren, lediglich 72 festgenommen worden seien. Darunter 41 Polen und 10 Russen.

"Wir haben unterschiedliche Signale bekommen, aber wir wollen nicht Sport und Politik vermischen", erklärte der polnische Verbandspräsident Grzegorz Lato. Anders als in der polnischen Öffentlichkeit sind diese Begleitumstände innerhalb der Mannschaft kein großes Thema: "Wir fokussieren uns nicht auf das, was Fans machen, sondern nur auf das Spiel - egal, was auf den Straßen passiert. Meine Spieler schauen sich im Fernsehen Musik-Kanäle an. Sie wollen sich nicht mit diesen politischen Dingen beschäftigen", erklärte Franciszek Smuda. Für den polnischen Teamchef ist das Kräftemessen der Erzrivalen allein aus sportlichen Gründen aufregend genug.

Russen mit Sieg im Viertelfinale

Schließlich könnten sich die Russen mit einem Sieg als erstes Team für das Viertelfinale qualifizieren. Anders als beim ernüchternden 1:1 im Eröffnungsspiel gegen Spielverderber Griechenland halten sich die Medien und Fans diesmal mit optimistischen Prognosen zurück. Niemand kommt nach der Gala der Russen beim 4:1 gegen Tschechien auf die Idee, das heimische Team schon vorab zum vermeintlichen Sieger zu erklären.

Abseits davon kannte die polnische Boulevardzeitung Super Express aber keine Zurückhaltung. Die Zeitung zeigte auf seiner Titelseite Smuda in Uniform, hoch zu Ross und mit einem Schwert in der Hand. "Ein zweites Wunder an der Weichsel", titelte die Super Express. Die Zeitung nahm Bezug auf die "Schlacht von Warschau", in der die polnische Armee im Krieg gegen Russland 1920 den vorentscheidenden Sieg landete und die Rote Armee zurückdrängte.

Einer von vielen Brennpunkten

Der polnisch-sowjetische Krieg ist nur einer von vielen Brennpunkten der belasteten gemeinsamen Geschichte von Polen und Russen. "Unsere Vergangenheit ist geprägt von 400 Jahren der großen Unterschiede. Polen und Russland waren zwei Reiche, ehe Russland viermal die Teilung Polens zu erreichen versuchte. Dazu kommen die schmerzlichen Erfahrungen während des Kommunismus sowie der Zweite Weltkrieg, welche die Geschichte verkomplizierten", sagte der russische Politologe Fedor Lukjanow.

Die Wunden scheinen nicht verheilt und reißen auch in der Gegenwart wiederholt auf. So wie vor zwei Jahren, als Polens damaliger Staatspräsident Lech Kaczynski und 95 weitere Menschen bei einem Flugzeugabsturz im russischen Smolenks ums Leben kamen. Sie waren auf dem Weg zu den Gedenkfeiern zum Massaker von Katyn, wo 1940 Angehörige des sowjetischen Innenministeriums 4.400 polnische Offiziere ermordet hatten. Gemäß einer Umfrage glauben mehr als 20 Prozent der Polen nicht an einen Zu- oder Unfall.

Zurückhaltung gefordert

Während Super Express mit seiner Fotomontage wohl weit übers Ziel schoss, forderten andere Medien die Menschen zur Zurückhaltung auf. "Lasst uns während der EM die Spiele genießen und stacheln wir die Fans nicht zu einem wüsten historischen und politischen Streit an", schrieb das Wochenmagazin "Wprost". In die gleiche versöhnliche Kerbe schlug der russische Verband. Am Sonntag legten Nationalcoach Dick Advocaat und Präsident Sergej Fursenko in Warschau Blumen vor einer Gedenktafel für die Opfer der Flugzeugkatastrophe von 2010 nieder.

Allerdings hat der russische Verband in Polen vor der EM auch schon für Kopfschütteln gesorgt. Im EM-Gastgeberland konnte niemand begreifen, weshalb die russische Delegation ihr EM-Quartier ausgerechnet im Regierungsviertel Warschaus bezog, in einem Hotel mit Blick auf den Präsidentenpalast.

Provokationen in Sicht

Wie sehr sich die polnische Volksseele tatsächlich provozieren lässt, wird sich aber erst am Spieltag zeigen. Weil der 11. Juni  der russische Nationalfeiertag ist, haben die Fans aus Moskau und  St. Petersburg einen Marsch durch die Innenstadt Warschaus angekündigt. 5.000 Russen wollen sich daran beteiligen. Nach den Ausschreitungen im Anschluss an das erste Spiel Russlands am Freitag in Breslau (Wroclaw) weiß man, dass unter den russischen Fans auch einige unangenehme Zeitgenossen zu finden sind. Es ist zu hoffen, dass das größte Polizei-Aufgebot in Polens Geschichte auch tatsächlich groß genug ist.

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