Politologe schockt:

"Der Krieg steht schon längst vor unserer Tür"

Drohnen, Sabotage und Desinformation: Politologe Urs Vögeli warnt, dass Europa bereits im hybriden Krieg steckt.
14.12.2025, 08:30
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Seit dreieinhalb Jahren hört man aus sicherheitspolitischen Kreisen immer wieder denselben Satz: "Wir haben einen Krieg in Europa." Gleichzeitig zeigt das Sorgenbarometer, dass der Ernst der Lage bei großen Teilen der Schweizer Bevölkerung noch nicht angekommen ist, sagt Politikwissenschafter Urs Vögeli. "Der hybride Krieg steht schon längst vor unserer Tür – doch fassbar ist das für viele nicht."

Als Beispiele nennt er Drohnen an europäischen Flughäfen, sabotierte Unterseekabel, anhaltende Desinformationskampagnen oder Ballonsichtungen über Litauen. "All das gehört zu einem schleichenden Zermürbungskrieg. Juristisch ist das kein Krieg, aber die Grenzen zwischen Krieg und Nichtkrieg verschwimmen. Genau diese Unschärfe spaltet Politik, Institutionen und Gesellschaft."

"Institutionen sind den zunehmenden Herausforderungen nicht gewachsen"

Diese Uneindeutigkeit wird weiter wachsen, so Vögeli. Er fürchtet weniger einen russischen Einmarsch in Polen oder Estland als vielmehr die Handlungsunfähigkeit von Institutionen und Gesellschaft. "Die Herausforderungen nehmen zu und unsere Systeme sind darauf nicht vorbereitet."

Viele dieser Bedrohungen sprengen etwa die traditionellen Zuständigkeitslogiken. "Wer ist verantwortlich, wenn in unseren Nachbarländern Drohnen auftauchen? Polizei? Armee? Flughafensicherheit? Zuerst wirkt es wie eine Aufgabe für eine bestimmte Stelle, dann doch wieder für alle. Und am Ende fühlt sich niemand wirklich zuständig."

Krieg anders gedacht

Europa denkt zu kurzfristig, zu traditionell. "Genau das machen sich Staaten wie China zunutze. Die Abhängigkeiten beispielsweise bei Infrastrukturen und Energie, die Europa selber geschaffen hat, sind unsere Achillesferse, sodass wir kaum reagieren können, machen andere Partner etwas Verwerfliches. Reagiert man zu hart, ist es übertrieben und man schadet sich selber. Reagiert man zu schwach, gilt man als unfähig oder kann der Doppelmoral bezichtigt werden", so der Politikwissenschaftler.

Politikwissenschafter Urs Vögeli
Privat

Länder wie China hätten hingegen ein breiteres Verständnis von Krieg. "Dort ist Krieg nicht nur Technik, sondern auch eine Art Kunst. Entscheidend ist, wie man ein Vorgehen erzählt, inszeniert, welche Geschichte man schafft." Ähnliches beobachtet Vögeli bei Donald Trump, etwa im Fall Venezuelas: "Er verwischt bewusst die Gründe für Angriffe auf venezolanische Schiffe. Geht es um Drogen? Öl? Terror? Geopolitik? Man weiß es nicht genau – und genau darauf zielt die Strategie ab."

Das müsste Europa tun

Für Vögeli braucht Europa zwei parallele Strategien. Erstens muss der Dialog mit der Bevölkerung gestärkt werden. "Man kann das nicht von oben verordnen." Die Menschen müssen verstehen, wie moderne Konflikte funktionieren und welche Rolle Europa darin spielt. Dazu braucht es gute Erzählungen, klare Kommunikation und ein gemeinsames Bedrohungsverständnis.

Zweitens muss Europa seine Kapazitäten ausbauen, etwa die industrielle Grundlage, um wieder eigene Kriegsschiffe herstellen zu können. "Zuerst muss die Werft gebaut werden, bevor das Schiff entsteht." Oder wie Vögeli es formuliert: "Wir müssen jetzt den ersten Knopf drücken, damit wir in fünf Jahren den nächsten drücken können." Der Faktor Zeit wird also zentral.

Was passiert, wenn Europa nichts unternimmt

Tut Europa nichts, steigt laut Vögeli die Abhängigkeit – vor allem gegenüber China. Konflikte rücken näher an Europa heran, der Druck wächst, und am Ende bleibt kaum Handlungsspielraum. "Dann können wir nichts mehr sagen. Europa würde zum Spielball."

{title && {title} } 20 Minuten,wil, {title && {title} } Akt. 14.12.2025, 14:46, 14.12.2025, 08:30
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