Science

"Der Mann aus dem Eis" wird 30

Vor 30 Jahren stolperte ein deutsches Ehepaar in den Ötztaler Alpen über eine 5.300 Jahre alte Leiche - der Mythos "Ötzi" war geboren.  

Sabine Primes
Teilen
Ötzi dürfte an den Verletzungsfolgen eines Kampfes gestorben sein.
Ötzi dürfte an den Verletzungsfolgen eines Kampfes gestorben sein.
APA/dpa/Ansa/Ravanelli

Es war der 19. September 1991, als aus dem ewigen Eis eine Weltsensation zum Vorschein kam und ein Mythos entstand, der bis heute anhält: Das Ehepaar Erika und Helmut Simon entdeckten in 3.210 Metern Höhe am Tisenjoch im Südtiroler Teil der Ötztaler Alpen eine über 5.300 Jahre alte Leiche aus der Jungsteinzeit bzw. Kupfersteinzeit.

Unsachgemäße Bergung

Da man sich des Wertes der Mumie nicht bewusst war, wurde sie zunächst mittels Skistöcken und Presslufthammer aus dem Eis geborgen. Das Resultat dieser unsanften Bergung: Schwere Verletzungen an der linken Hüfte und am linken Bein hinab zum Unterschenkel. Nach der "Befreiung" wurde zudem bei der "Einsargung" der linke Oberarmknochen des Eismannes gebrochen.

1/10
Gehe zur Galerie
    So sah Ötzi aus, als er 1991 gefunden wurde.
    So sah Ötzi aus, als er 1991 gefunden wurde.
    dpa / picturedesk.com

    Am 23. September 1991 war die Leiche zur wissenschaftlichen Untersuchung nach Innsbruck gebracht worden. Jedoch am 2. Oktober hatten Vermessungstechniker eindeutig festgestellt, dass der Eismann exakt 92,56 Meter von der italienisch-österreichischen Grenze entfernt auf Südtiroler Hoheitsgebiet gelegen hatte. Offiziell im Tal gemeldet wurde der Leichenfund vom Wirt einer Berghütte in der Nähe des Fundortes. Weil die Carabinieri aber "keine Lust" zur Bergung hatten, wurde die Fundmeldung kurzerhand nach Nordtirol "abgeschoben".

    Streitobjekt und wissenschaftliche Fundgrube

    Rund sechs Jahre nach Ötzis Fund kam es schließlich zu einer Abmachung über die Rückführung des Eismannes nach Südtirol. Im Jänner 1998 trat die Gletscherleiche ihren letzten Weg an. Von Innsbruck wurde sie in einem Kühlcontainer nach Bozen transportiert, wo der Mann aus dem Eis in einem neu eingerichteten Museum, dem Südtiroler Archäologiemuseum bzw. "Ötzimuseum", seine zweite letzte Ruhe fand.

    Nicht nur der Fundort der Gletscherleiche löste Querelen aus. Das deutsche Ehepaar hatte ursprünglich 300 Millionen Lire (rund 155.000 Euro) Finderlohn gefordert. Das Land Südtirol wollte den Nürnbergern aber nur 50.000 Euro zahlen. Langjährige Prozesse waren die Folge. Im Jahr 2010, 19 Jahre nach dem Sensationsfund, konnte der Streit schließlich beigelegt werden. Die Familie Simon erhielt 175.000 Euro. Helmut Simon war 2004 bei einer Wanderung in den Tod gestürzt.

    "Ötzi" ist ein Paradies für Forscher: Parodontitis, Borreliose, Laktoseintoleranz, Gallensteine, Arterienverkalkung und Würmer - die Forschung an der Gletscherleiche hatte dessen mannigfaltigen Krankheiten zutage gefördert. Wissenschaftler untersuchten nicht nur seine Tätowierungen, seinen Mageninhalt und seine Darmbakterien, sondern fanden auch Verwandte, rekonstruierten ihn und gaben ihm sogar eine Stimme.

    Was wir heute über Ötzi wissen

    30 Jahre nach dem Fund hat die Forschung bereits eine Vielzahl der Rätsel rund um die über 5.000 Jahre alte Gletscherleiche gelöst. "Ötzi" war zu Lebzeiten etwa 1,60 Meter groß, hatte Schuhgröße 38 und wog rund 50 Kilogramm. Der Mann hatte braune Augen, braune Haare und Blutgruppe 0.

    Dass es jemals zu einer Klärung des letzten Tathergangs unmittelbar vor dem Tod des Gletschermannes kommen wird, bezeichneten Forscher als unwahrscheinlich. Klar ist, dass "Ötzi" an der linken Schulter von einem Pfeil getroffen wurde. Zudem hat sich der Mann vermutlich erst kurz vor seinem Tod ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen - ob durch einen Schlag oder einen Sturz, blieb vorerst ungelöst. Unmittelbar vor "Ötzis" Tod fand offenbar ein Nahkampf statt, worauf tiefe Schnittwunden an seiner rechten Hand hindeuten.

    Mehr zum Thema