Es ist ein klarer Jännermorgen, als Pedro Alarcón mit seinen Enkelkindern über sein Tomatenfeld geht. Plötzlich ereignet sich eine gewaltige Explosion am Himmel. Ein US-Bomber ist über dem spanischen Dorf Palomares abgestürzt – an Bord vier Wasserstoffbomben. Zwei schlagen auf dem Boden ein und explodieren.
Zwar zünden sie nicht atomar, doch ihre herkömmlichen Sprengladungen reißen riesige Krater und schleudern radioaktives Plutonium in die Luft. Eine dritte Bombe landet unversehrt. Die vierte verschwindet im Meer. 80 Tage lang bleibt sie vermisst. Und niemand weiß, ob sie noch zündet.
Am 17. Jänner 1966 kollidiert ein US-Bomber vom Typ B-52 auf einer Höhe von 9.500 Metern mit einem Tankflugzeug der US-Luftwaffe. Die Maschinen gehören zur "Operation Chrome Dome", bei der B-52-Bomber mit scharfen Wasserstoffbomben an Bord rund um die Uhr in der Luft bleiben sollen (siehe Infobox). Der Bomber nähert sich beim Auftanken zu schnell und prallt mit dem KC-135 zusammen. Das Kerosin explodiert, die vier Männer im Tankflugzeug sterben sofort. Drei der sieben Bomber-Besatzungsmitglieder kommen ebenfalls ums Leben.
Beim Absturz der B-52 reissen Trümmer und vier Wasserstoffbomben vom Typ B28 durch die Wolkendecke, mitten über der andalusischen Küste. Wasserstoffbomben sind eine besonders starke Form von Atombomben. Jede hatte eine Sprengkraft, die etwa hundertmal so groß war wie die Atombombe, die 1945 auf Hiroshima abgeworfen wurde. Eine davon schlägt in das Tomatenfeld von Pedro Alarcón ein und explodiert konventionell.
Eine zweite Bombe detoniert beim Aufprall nahe einem Friedhof. Beide Explosionen verteilen feinen Plutonium-Staub über mehrere Hundert Hektar. Die dritte Bombe landet mit ihrem Fallschirm in einem Flussbett und bleibt unversehrt. Die vierte bleibt vorerst verschollen.
In Palomares herrscht Chaos. Flugzeugteile regnen vom Himmel, ein großer Teil des Bombers kracht auf den Pausenplatz der Dorfschule. Eine Anwohnerin sagt später: "Meine Tochter schrie: Mama, unser Haus brennt! Ich dachte, es sei das Ende der Welt."
Operation Chrome Dome
Zwischen 1961 und 1968 ließ die US-Luftwaffe während des Kalten Krieges B-52-Bomber mit scharfen Wasserstoffbomben rund um die Uhr über dem Atlantik und Europa kreisen. Ziel war es, bei einem sowjetischen Angriff sofort zum atomaren Gegenschlag bereit zu sein. Die Bomber mussten dafür regelmäßig in der Luft betankt werden – eine riskante Praxis.
1958, Tybee Island (USA): Eine Atombombe ging nach einer Kollision verloren und wurde nie gefunden.
1961, Goldsboro (USA): Zwei Wasserstoffbomben stürzten ab – eine war nur durch eine letzte Sicherung vor der Detonation geschützt.
1966, Palomares (Spanien): Nach einem Flugzeugabsturz stürzten vier Wasserstoffbomben ab – zwei explodierten konventionell und verseuchten die Umgebung mit Plutonium.
1968, Thule (Grönland): Ein B-52 stürzte nahe einer US-Basis ab, das Eis wurde radioaktiv kontaminiert.
Nach dem Thule-Unfall stellte die US-Regierung das Programm ein – auch weil es zunehmend als zu gefährlich galt. Gleichzeitig verlagerte sich die nukleare Abschreckung auf andere Systeme: Interkontinentalraketen in unterirdischen Silos und atomwaffenbestückte U-Boote galten als sicherer und zuverlässiger.
Wenig später trifft US-Militärpersonal ein. Mit Geigerzählern suchen sie nach radioaktiver Belastung. Stellen mit erhöhter Strahlung werden abgetragen. Rund 1.400 Tonnen verseuchter Boden werden in Fässern verpackt und nach South Carolina verschifft. Mehr als 700 US-Soldaten, Techniker und Wissenschaftler sind vor Ort. Innerhalb weniger Tage finden sie drei der vier Bomben.
Die Suche nach der vierten Bombe wird zum Wettlauf gegen die Zeit. Sie könnte beschädigt sein und noch immer eine nukleare Katastrophe auslösen. Erst ein lokaler Fischer gibt einen entscheidenden Hinweis: Er hat gesehen, wie etwas Großes im Meer versank – und entschuldigt sich, dass er einen der US-Soldaten nicht retten konnte. Doch alle Besatzungsmitglieder sind bereits geborgen. Die US-Militärs begreifen jetzt: Der Mann hat wahrscheinlich die Bombe gesehen.
Daraufhin beginnt eine aufwendige Suche im Mittelmeer. Über 30 Schiffe, darunter Minensucher, Sonargeräte und Unterwasserfahrzeuge, durchkämmen tagelang den Meeresboden. Nach mehr als zweieinhalb Monaten wird die Bombe am 7. April 1966 in 869 Metern Tiefe gefunden. Sie wird gehoben, entschärft und an Bord der USS Petrel gebracht.
Wie durch ein Wunder stirbt im Dorf niemand. BBC-Reporter Chris Brasher sagt später: "Fast 100 Tonnen glühender Trümmer fielen auf das Dorf – aber nicht einmal ein Huhn starb." Noch heute erinnern sich die Menschen in Palomares an den Vorfall. Rund 40 Hektar Land sind weiter abgesperrt. Ein Abkommen zwischen den USA und Spanien zur vollständigen Sanierung des Gebiets wurde 2015 unterzeichnet – umgesetzt wurde es bis heute nicht.