Klimaschutz

Experten warnen vor Nachhaltigkeitssiegel für Atomkraft

Das EU-Parlament stimmt nächste Woche über die Taxonomie ab, also darüber, ob Investitionen in Atomkraft und Gas als klimafreundlich gelten sollen.

Lydia Matzka-Saboi
Teilen
AKW Temelín, 50 km von der österreichischen Grenze entfernt.
AKW Temelín, 50 km von der österreichischen Grenze entfernt.
Herbert P. Oczeret / picturedesk.com

Internationale Experten warnen nachdrücklich vor den Plänen der EU, Atomkraft als nachhaltige Investitionen einzustufen. In einem Brief an das EU-Parlament argumentieren Wissenschafter und Experten aus dem Bereich Kernenergie, unter federführender Beteiligung der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien, warum Investitionen in die Nuklearenergie ökonomisch nicht sinnvoll sind und außerdem nicht geeignet, das Klimaproblem zu lösen.

Um bis 2050 klimaneutral zu werden, hat die EU-Kommission vorgeschlagen, dass auch Investitionen in Atomkraft und Gas als klimafreundlich gelten sollen. Die Experten fordern das EU-Parlament auf, diesen Vorschlag abzulehnen.

Kernenergie sei "keineswegs eine nachhaltige Form der Energieerzeugung und Investitionen in diesem Bereich stünden dann für den dringend benötigten Ausbau erneuerbarer Energiequellen nicht mehr zur Verfügung", warnen die Wissenschafter. Atomenergie sei schlicht zu teuer und unwirtschaftlich, um einen relevanten Beitrag zur globalen Energieerzeugung zu leisten. Hinzu komme das Sicherheitsrisiko und die ungelösten Probleme des langlebigen radioaktiven Abfalls.

Greenpeace appelliert an österreichische Abgeordnete

In dieselbe Kerbe schlägt die Umweltschutzorganisation Greenpeace, die am Freitag einen offenen Brief an die 19 österreichischen EU-Abgeordneten richtet. Gemeinsam mit den anderen 686 Delegierten im EU Parlament werden sie am 6. Juli das Schicksal der EU-Taxonomie entscheiden.

Greenpeace Österreich Chef Alexander Egit fordert, dass Atomenergie und Gas nicht als grüne Energieformen in die EU-Taxonomie aufgenommen werden dürfen: "Österreichs Vertreter im EU-Parlament müssen ihr Versprechen halten und gegen diesen sinnwidrigen Gesetzesentwurf stimmen."

Abstimmung verspricht knapp zu werden

Die EU-Kommission hatte im Februar einen Vorschlag vorgelegt, in dem sowohl fossiles Gas als auch Atomkraft als "grüne" Energiequellen eingestuft werden und besondere Förderungen und Erleichterungen bei Investitionen erhalten sollen. Mit 353 oder mehr Stimmen gegen den Vorschlag können die EU-Parlamentarier diesen Vorschlag ablehnen.

"Aktuell sieht es danach aus, dass die Abstimmung im EU-Parlament sehr knapp verlaufen wird. Bereits eine Stimme mehr für die Taxonomie oder eine Enthaltung aus Österreich wären fatal. Österreich muss bei seinem klaren Nein zu Atomkraft bleiben, alles andere wäre ein Skandal", sagte Greenpeace-Chef Egit.

Mittlerweile sei absehbar, dass fast alle 70 Europaabgeordnete in der Rechtsaußen Fraktion (Identity and Democracy, ID), der auch die FPÖ angehört, für die Taxonomie stimmen werden. Greenpeace fordert daher speziell die österreichischen FPÖ-Abgeordneten auf, keinesfalls dem "Fraktionsdruck" nachzugeben und beim klaren "Nein zu Atomkraft" zu bleiben.

Sicherheitsrisiko Atomkraft

Der Krieg in der Ukraine, wo es auch Kämpfe an AKW-Standorten gab, hat uns das Sicherheitsrisiko von Atomkraft eindrücklich vor Augen geführt. Auch die Auswirkungen des Klimawandels mit dem Anstieg des Meeresspiegels, vermehrte und stärkere Stürme sowie Überflutungen werden das Risiko von Atommeilern weiter erhöhen.

Sicherheitspolitisch gefährlich sei laut BOKU-Experten Atomkraft überdies, weil eine Vielzahl neuer Reaktoren und gerade auch neu vorgeschlagene Reaktortypen dazu beitragen würden, das Risiko der Weiterverbreitung von Atomwaffen zu erhöhen. Die Experten weisen zudem auf das Problem der Versorgungssicherheit hin, da die meisten Atomkraftwerke weltweit von russischen Uran-Lieferungen abhängig seien.

Die Frage sei insgesamt, welche Rolle die Atomenergie in Zukunft noch spielen solle, meinte der Risikoforscher Wolfgang Liebert gegenüber der APA. Als Ergänzung zu erneuerbaren Energien sei Nuklearenergie nämlich nicht sinnvoll, weil Atomkraftwerke anders als etwa Gaskraftwerke nicht rasch hochgefahren werden können, wenn etwa die Sonne nicht scheint und der Wind nicht bläst. Atomkraftwerke müssten dauernd laufen. "Wenn wir es ernst mit der Energiewende meinen, wird es schwierig", so der Leiter des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften.