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Warum Tschernobyl trotz Stilllegung eine Gefahr ist

Das Atomkraftwerk Tschernobyl ist ohne Strom. Warum das ein Problem ist und weshalb aus einem stillgelegtes AKW radioaktive Strahlung austreten kann.

Christine Scharfetter
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Nach der Atom-Katastrophe 1986 wurden die verbliebenen drei Reaktoren erst im Jahr 2000 heruntergefahren.
Nach der Atom-Katastrophe 1986 wurden die verbliebenen drei Reaktoren erst im Jahr 2000 heruntergefahren.
REUTERS

Die schlechten Nachrichten aus der Ukraine überschlagen sich. Die besonders großen Sorgenkinder, auf die derzeit alle Augen gerichtet sind: die Atomkraftwerke. Fünf an der Zahl sind es in der Ukraine. Eines davon Tschernobyl. Erst am Mittwoch sorgte das 1986 havarierte und stillgelegte Atomkraftwerk für Schlagzeilen: Aufgrund der anhaltenden Kämpfe rund um die von Russen besetzte Anlage kann die gekappte Stromversorgung nicht wieder hergestellt werden.

Mittendrin: Rund 210 Techniker und lokale Sicherheitsmitarbeiter, die seit mittlerweile zwei Wochen dort als Geiseln der Russen festgehalten werden. Manche dürften sich jetzt die Fragen stellen, warum dort überhaupt Leute sind, wo das AKW doch stillgelegt ist und ob es den Strom überhaupt braucht. Die Antwort liefert uns die Wiener Dr. Eva Christina Tendl. Die Wiener Tierärztin hat Atomphysik studiert und ist seit 2016 wissenschaftliche Mitarbeit in Forschungsprojekten der Internationalen Atomenergiebehörde sowie wissenschaftliche Konsulentin der Vereinten Nationen (UN).

Die Wiener Tierärztin hat auch Atomphysik studiert und ist seit 2016 eine von vier Tierärzten weltweit, die im Auftrag der IAEA in der verseuchten Zone Tschernobyl zum Thema Strahlenbelastung forschen darf.
Die Wiener Tierärztin hat auch Atomphysik studiert und ist seit 2016 eine von vier Tierärzten weltweit, die im Auftrag der IAEA in der verseuchten Zone Tschernobyl zum Thema Strahlenbelastung forschen darf.
zVg

Das passiert mit den verbrauchten Brennstäben

Recht simple erklärt, funktioniere ein Kernkraftwerk mit Uran, das in Brennstäben eingelagert ist. Dort wird es gespalten und durch die Spaltung entsteht Wärme. Das Kühlwasser, dass die Brennstäbe umgibt, heizt sich auf und treibt eine Turbine an. Die Turbine ist an einen Generator gekoppelt und dieser Generator erzeugt Strom.

"Sind die Brennelemente des Kernreaktors verbraucht, erzeugen sie immer noch Wärme und radioaktive Strahlung." Deshalb müssen diese Brennelemente in ein sogenanntes Abklingbecken – ein mit Wasser gefülltes Becken in den Kernkraftwerken. "Dort werden die Brennelemente gelagert, bis sie transportiert werden können." Tendl ergänzt noch: "Prinzipiell wird das benutzte Wasser in einem Abklingbecken selten wärmer als 50 Grad, und es sind auch spezielle Neutronenabsorber vorhanden, mit denen sich die Anzahl der Neutronen im Reaktorkern gut steuern lässt."

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    Die Nachrichten um das stillgelegte <a href="https://www.heute.at/s/ukraine-akw-warnt-vor-der-nuklearen-katastrophe-100193883">Atomkraftwerk Tschernobyl</a> werden immer besorgniserregender. Nicht nur, dass sich die Belegschaft vor Ort in russischer...
    Die Nachrichten um das stillgelegte Atomkraftwerk Tschernobyl werden immer besorgniserregender. Nicht nur, dass sich die Belegschaft vor Ort in russischer...
    zVg

    Radioaktiver Abfall in Tschernobyl

    Nun ist allerdings keiner der vier Reaktoren in Tschernobyl mehr in Betrieb. "Es geht nur mehr darum, den radioaktiven Abfall in den Abklingbecken zu lagern." Fällt aber die Kühlung – aufgrund mangelnder Stromversorgung – aus, kann das Wasser im Abklingbecken verdampfen. "Dann erhitzen die Brennstäbe und können zu brennen beginnen. Die Brennelemente werden zerstört, es kommt zu einer unkontrollierten Freisetzung von Radioaktivität in die Atmosphäre."

    Das könne natürlich auch in Tschernobyl passieren, so Tendl, beschwichtigt aber: "Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Abklingbecken mit einer enormen Menge an Wasser gefüllt sind, es dauert also schon eine zeitlang, bis hier eine komplette Trockenlegung stattfindet."

    Wann radioaktive Strahlung austritt

    Doch wird wirklich alles trockengelegt und kein Kühlwasser nachgefüllt werden kann, "dann kann das Wasser auch die radioaktive Strahlung nicht mehr abschirmen." Dann werde es gefährlich. "Und zwar in erster Linie für die Ukraine, vor allem für die Zone rund um Tschernobyl. Das Gebiet rund um Tschernobyl wäre großräumig zerstört und kontaminiert." Für Österreich bestehe ihrer Meinung nach aber keine Gefahr, sollte es in Tschernobyl zu einem solchen Zwischenfall kommen.

    Für jedes gekauften Produkt der Edition Friedenswazek gehen 7 € direkt an die Bewohner und Mitarbeiter der Zone in Tschernobyl.
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    Lichtbildkultur – Ing. Martin Schlager

    SPENDENAUFRUF
    Trotz allem leben in der Sperrzone von Tschernobyl auch zum jetzigen Zeitpunkt einige Menschen – vor allem ältere Personen, die nach der Evakuierung in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Im Kernkraftwerk selbst befinden sich immer noch rund 210 Mitarbeiter, die keinen Kontakt mehr zur Außenwelt haben. Sie versorgte bis zuletzt der ukrainische Fotograf und Journalist Alexander Sirota. Aktuell musste zwar auch er mit seiner Familie nach Polen flüchten, will aber so schnell wie möglich wieder zurückkehren.
    Aus diesem Grund hat der Wiener Designer Jürgen Wonderwazek eine Spendenaktion ins Leben gerufen:
    Für jedes gekauften Produkt der Edition Friedenswazek gehen 7 € direkt an die Bewohner und Mitarbeiter der Zone in Tschernobyl.
    > wonderwazek.com