Politik

Volkshilfe-Chef schläft auf der Straße vor Kurz' Tür

Heute Redaktion
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Im Rahmen einer österreichweiten Protestaktion gegen die neue Mindestsicherung übernachtete Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger neun Tage lang im Zelt.

Der Direktor der Volkshilfe Österreich schläft dieser Tage auf der Straße. Acht Nächte in einem Zelt mit Schlafsack hat Erich Fenninger schon hinter sich, in der neunten und letzten Nacht am Dienstag schlägt er sein Lager vor der Tür des Kanzlers auf. Er wird nicht der Einzige sein.

Was soll das? Fenningers Nächte auf der Straße sind Teil der bundesweiten Aktion der Volkshilfe gegen die neue Mindestsicherung. In allen Bundeshauptstädten wurde protestiert, in allen Bundeshauptstädten schlug der Volkshilfe-Direktor sein Zelt auf. Letzter Stopp ist Wien.

Dass er am Ende sogar eine kleine Zeltstadt bei Deserteursdenkmal vor dem Bundeskanzleramt aufschlagen wird, kam eher zufällig zustande. Beim Stopp in Linz gesellte sich erstmals ein Pensionistenpaar hinzu, in St. Pölten waren es drei junge Erwachsene, die sich dem nächtlichen Protest anschlossen. In Wien ruft Fenninger nun aktiv dazu auf: #aufdiestraße und Zelt mitbringen heißt das Motto.

Zahlreiche Prominente unterstützten die Volkshilfe bei den Protestaktionen. So gab beispielsweise Rainhard Fendrich ein spontanes Straßen-Konzert in Eisenstadt. In Wien werden unter anderem Willi Resetaris, Ernst Molden und Russkaja auftreten.

+++ Alle Infos zum Großprotest in Wien lesen Sie hier! +++



Aktion mit Symbolkraft

"Sehr kalt, vor allem in der Nacht, anstrengend", seien die Nächte gewesen, erzählt Fenninger im Gespräch mit "Heute.at". Die Aktion war aber wohlüberlegt. Fenninger wollte etwas tun, das Symbolkraft hat.

Mit der neuen Mindestsicherung ("Sozialhilfe") werden mehr Armutsbetroffene auf der Straße landen, ist er überzeugt. Es gehe ihm nicht darum, Obdachlose zu imitieren, sondern darum zu zeigen, "was da auf dem Spiel steht".

Die Menschen wollen das eigentlich nicht

Auf der Protest-Tour habe es "nur positive Rückmeldungen" gegeben. Man habe viele Menschen erreicht, viele positive Gespräche geführt. "Dabei hat man gemerkt, dass die Menschen das eigentlich nicht wollen", dass das Mindeste (die Mindestsicherung) gekürzt wird.

Einen messbaren Erfolg verbucht die Volkshilfe bereits für sich: Dass Spenden nun nicht mehr von der neuen Sozialhilfe abgezogen werden sollen. Das wäre "ganz dramatisch" gewesen, so Fenninger. Die Aufmerksamkeit, die man auf diesen Aspekt gelenkt hat, "hat sich gelohnt".

Abgeordnete sind persönlich verantwortlich

Mit seinem Appell an die Abgeordneten, in den kommenden Tagen GEGEN das Gesetz der Regierung zu stimmen, hofft Fenninger darauf, dass das freie Mandat diesmal den Klubzwang besiegt. Die Abgeordneten sollten ihrem Gewissen folgen, findet er.

Für den höchstwahrscheinlichen Fall dass das Gesetz in den kommenden Tagen beschlossen wird, hat die Volkshilfe weitere Pläne. "Es gibt den Tag danach", sagt Fenninger. Und da werden man die Abgeordneten kontinuierlich daran erinnern, dass jeder einzelne, der dem Gesetz zustimmte, noch mehr Menschen in noch mehr Leid gestürzt hat.

Folgen schon spürbar

Die Folgen, die die neue Sozialhilfe haben wird, könne man bereits am Beispiel von Oberösterreich erahnen. Dort sei die Mindestsicherung bereits gekürzt worden und es gebe "jetzt schon mehr Probleme als früher". Bundesweit werde man die Auswirkungen "sehr, sehr rasch", in mehreren Monaten, sehen können, sagt Fenninger.

Er erzählt von Eltern, die ihre Wohnungen nicht heizen oder den Strom nicht bezahlen können. Im September werde es dann für Mütter mit geringem Einkommen besonders schlimm: Der Schulstart stellt jedes Jahr eine hohe finanzielle Belastung dar.

Regierung verbreitet Unwahrheiten

Der langjährige Sozialarbeiter reagiert auch auf die Argumente der Bundesregierung, denen zufolge die neue "Sozialhilfe" fairer gestaltet wird, keine Zuwanderung ins Sozialsystem mehr möglich ist und Anreize geschaffen werden, sich schnell wieder ins Berufsleben hineinzufinden.

Entweder herrsche hier blankes Unwissen oder die Regierung verbreite wissentlich die Unwahrheit, formuliert es Fenninger dramatisch: "Das ist vollkommen bestürzend."

Wissenschaftliche Studien würden belegen, dass die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt gerade dort am schnellsten gehe, wo das Arbeitslosengeld hoch sei. Fenningers Beispiel ist Schweden. Dort müsse man sich nach einem Jobverlust nicht um seine Existenz sorgen und könne sich dadurch voll auf die Arbeitssuche konzentrieren.

Auch die vielzitierte "Zuwanderung ins Sozialsystem" kann Fenninger aus Erfahrung nicht bestätigen. "Es gibt keinen einzigen Beweis, dass Flüchtlinge wegen der Mindestsicherung zu uns kommen", sagt er.

Es trifft die Ärmsten

Der Volkshilfe-Direktor hat konkrete Zahlen auf Lager. 60 Prozent der Mindestsicherungsbezieher seien gar nicht in der Lage, erwerbstätig zu sein. Das betreffe Kinder, Jugendliche, Pensionisten, Behinderte und Pflegebedürftige, wie er dem "ORF" erklärt. Und außerdem: "Wir reden von 0,9 Prozent des Sozialbudgets" (das für die Mindestsicherung ausgegeben wird, Anm.)

Dass gerade bei den Ärmsten gespart und gekürzt wird, nennt Fenninger einen "absoluten Skandal". "Die suchen sich dieses Leben nicht aus", sagt er. Die Mindestsicherung ist nach dem Arbeitslosengeld das letzte Netz. Die Regierung hätte die Staatsziele Armutsbekämpfung, Existenzsicherung und Teilhabe für alle Menschen schlicht gestrichen. (csc)