Er soll Videos verbreitet haben, in denen sich Kinder und Jugendliche als Märtyrer für den IS in die Luft sprengen – mit genau diesem Vorwurf stand ein 26-jähriger Tschetschene am 24. Juli vor dem Wiener Landesgericht. Es geht um den Verdacht der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Der Mann lebt seit seiner Kindheit in Wien, ist derzeit arbeitslos und wird von seinen Eltern unterstützt. Bereits in der Vergangenheit war er wegen IS-Bezug zu sieben Jahren Haft unbedingt und 14 Jahren bedingt verurteilt worden.
Ins Rollen kam das Verfahren diesmal durch deutsche Sicherheitsbehörden, die im Netz gezielt nach extremistischen Inhalten suchten. Bei einer solchen Überprüfung stießen Ermittler auf einen Instagram-Account mit eindeutiger IS-Propaganda. Durch eine technische Rückverfolgung konnte die ursprünglich verknüpfte E-Mail-Adresse ermittelt werden – und diese ließ sich dem Angeklagten zuordnen. Das war der Auslöser für eine Hausdurchsuchung in Wien.
Bei der Durchsuchung der Wohnung wurde keine einzige extremistische Datei gefunden – weder auf Handy noch auf Laptop oder USB-Sticks. Auch der Instagram-Account war zum Zeitpunkt der Maßnahme bereits gelöscht. Das bedeutet: Die Behörden konnten nicht mehr rekonstruieren, ob der Beschuldigte den Account aktiv benutzt hatte.
Laut Anklage wurden allerdings sechs Postings über diesen Account veröffentlicht, deren Inhalte zuvor dokumentiert wurden. Darunter befand sich mehrfach die schwarze IS-Fahne, eine Rede eines hochrangigen IS-Führers mit Aufrufen zur Gewalt – und vor allem: ein Video, in dem 10-jähriges Kind in einem Auto sitzt und später als Selbstmordattentäter stirbt. Man sieht in dem Clip das Auto, wie es langsam auf ein Ziel zufährt – und schließlich in einem Feuerball explodiert.
Vor Gericht beteuerte der Angeklagte seine Unschuld. Die E-Mail-Adresse sei zwar auf ihn registriert gewesen, doch er habe die Zugangsdaten an andere weitergegeben. Wer den Instagram-Account betrieben habe, könne er nicht sagen. Die Vorwürfe treffe ihn hart. Er habe seit seiner ersten Verurteilung keinen Kontakt mehr zur IS-Szene, sei auch unter Beobachtung gestanden.
Er schilderte seine Biografie: 2003 nach Österreich gekommen, einsam, ohne Freunde. In Moscheen habe er erste Kontakte geknüpft, sei auf Chatgruppen wie Telegram gestoßen, wo er mit IS-Inhalten in Berührung kam. Heute lehne er das alles ab: "Der IS sind schlechte Menschen, die missbrauchen den Islam. Ich gehe seit einem Jahr nicht mehr in die Moschee. Ich trinke, ich rauche, ich trage den Bart nur aus Stylegründen."
Der Verteidiger des Mannes machte deutlich, dass die Anklage rein auf die Zuordnung einer E-Mail-Adresse fußt. Auf den Geräten des Angeklagten sei keine einzige Datei mit Bezug zur Terrororganisation gefunden worden. Auch der betroffene Instagram-Account sei längst gelöscht und nicht rekonstruierbar. "Es gibt keinen Beweis für einen aktiven Zugriff."
Zudem sei das Verhalten des Angeklagten seit seiner Vorverurteilung unauffällig gewesen. Er sei unter Betreuung gestanden, habe keine neuen Kontakte zur Szene aufgebaut. "Jemandem zehn Jahre Haft zu geben, nur weil seine alte E-Mail-Adresse bei einem Instagram-Profil auftaucht – das ist juristisch höchst bedenklich." Die Verteidigung forderte daher einen Freispruch.
Für die Staatsanwältin ist das Gegenteil der Fall. "Diese Schutzbehauptungen hören wir ständig. Plötzlich war es immer jemand anderer. Doch hier sprechen die Umstände für sich." Gerade weil der Angeklagte bereits wegen IS-Unterstützung verurteilt wurde, hätte er wissen müssen, wie schwer solche Inhalte wiegen.
Sie betonte insbesondere die Brutalität des geposteten Selbstmordvideos mit dem Kind. "Wer sowas verbreitet, verherrlicht Gewalt, Mord und Terror. Und das nicht irgendwie – sondern in seiner grausamsten Form." Die Gesellschaft müsse sich gegen solche Entwicklungen wehren. Sie forderte eine spürbare Freiheitsstrafe. Bei Schuldspruch drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Nach kurzer Beratung wurde der 26-Jährige freigesprochen. Die Richterin erklärte, es lasse sich nicht mit letzter Sicherheit klären, ob der Mann tatsächlich für die geteilten Inhalte verantwortlich war. Es gebe keinen konkreten Nachweis, dass er den Instagram-Account selbst betrieben oder die Postings verfasst habe.
Der Angeklagte verließ das Gericht sichtbar erleichtert. Ein Schuldspruch – und eine mögliche mehrjährige Haft – blieben ihm zunächst erspart. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.