Es ist ein "Dauerbrenner" in der Stabsstelle Betrugsbekämpfung der AK Wien: Ein undurchsichtiges Firmengeflecht aus der Immobilienbranche, das seit Jahren für Schlagzeilen sorgt. Mehr als hundert Beschäftigte wurden um ihren Lohn gebracht, Abgaben an Finanzamt, und Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) blieben offen.
Im Zentrum steht Lukas N. – ein Mann mit beeindruckender Bilanz: Aktuell ist er Geschäftsführer in elf Firmen. Neun davon gelten als insolvent oder Scheinunternehmen. In den letzten Jahren war er außerdem in 47 weiteren Unternehmen tätig – fast die Hälfte davon inzwischen ebenfalls pleite. Das Muster ist immer gleich: Beschäftigte werden von einer Gesellschaft zur nächsten verschoben, um ihnen keinen Cent auszahlen zu müssen.
Brisant: Obwohl der Verdacht auf systematischen Betrug bereits 2023 aktenkundig war, dürfen N. und seine Geschäftspartner weiterhin Firmen führen und neue Mitarbeiter einstellen – völlig legal.
Während Wirtschaftsvertreter lautstark über "Sozialmissbrauch" durch Einzelpersonen klagen (Schaden seit 2018: 135 Millionen Euro), klafft an ganz anderer Stelle ein viel größeres Loch. Laut Finanzpolizei verursacht Sozialbetrug durch Unternehmen allein in der Baubranche 350 Millionen Euro pro Jahr. Dazu kommen Firmen, die ihre Leute beim AMS "zwischenparken" und so 700 Millionen jährlich aus der Arbeitslosenversicherung abziehen.
"Am Ende fehlen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Ausstehende Löhne und Gehälter werden durch gezielte Insolvenzen auf die Allgemeinheit abgewälzt", warnt Ludwig Dvořák von der AK Wien. Leidtragende seien nicht nur die betroffenen Arbeiter, sondern auch ehrliche Betriebe, die unter unfairer Konkurrenz leiden.
Dass das Geschäft so gut funktioniert, liegt auch an der Politik: Die Vorgängerregierung hat Strafen für Lohn- und Sozialbetrug gesenkt. Das "Kumulationsprinzip" – früher wurden Strafen mit der Zahl der Betroffenen multipliziert – ist abgeschafft. Das Ergebnis: Für Betrüger rechnet sich der Bruch mit dem Gesetz mehr denn je.
"Leider wurde Unternehmen Sozialbetrug bis jetzt zu einfach gemacht – die Strafen sind zu gering und wirken nicht abschreckend. Sie verursachen großen Schaden und hohe Kosten, die Steuerzahler nicht mehr stemmen können", kritisiert Dvořák.
Genau deshalb gründete die AK Wien Ende 2023 die Stabsstelle Betrugsbekämpfung. Sie schaut nicht nur auf Einzelfälle, sondern versucht, die großen Netzwerke hinter dem Sozialbetrug zu entwirren.
"Unterentlohnung ist kein Betriebsunfall, es ist ein Geschäftsmodell. Wir leisten in der Stabsstelle zum Teil Detektivarbeit, um verschachtelte Firmenkonstrukte zu enträtseln oder dubiose Subunternehmerketten zu entwirren", sagt Arbeitsrechtsexpertin Andrea Ebner-Pfeifer.
Die Bilanz kann sich sehen lassen: Bis Ende August 2025 bearbeitete die Stabsstelle 105 Fälle. Allein in Wien wurden 50 Anzeigen wegen Unterentlohnung eingebracht – betroffen waren 476 Arbeitnehmer mit offenen Ansprüchen von über 3 Millionen Euro. Schon jetzt ist das doppelt so viel wie im gesamten Vorjahr. Es ist aber davon auszugehen, dass diese Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Denn nur ein Bruchteil der betroffenen Arbeitnehmer findet (teilweise aufgrund von Sprachbarrieren oder fehlender Kenntnisse der eigenen Rechte) den Weg zur Arbeiterkammer Wien.
Sozialbetrug ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Milliardengeschäft auf Kosten der Allgemeinheit. Innenminister Karner (ÖVP) präsentierte beim klassischen Sozialleistungsbetrug stolz eine Schadenssumme von 23 Millionen und eine Aufklärungsquote von 99,5 Prozent. Das sei auch lobenswert, müsse man aber schon in den richtigen Kontext setzen. "Hätten wir diese Quote auch im Bereich Unternehmensbetrug, wäre das Budget saniert", so Dvořák.