Sozialbetrug ist und bleibt ein Aufreger-Thema. Erst vergangene Woche wurde bekannt, dass alleine durch Einzelpersonen seit 2018 ein Schaden von 135 Millionen Euro entstanden ist. Nur im Vorjahr wurden 4.900 Fälle aufgedeckt.
Nicht nur Privatpersonen, auch Unternehmen finden immer kreativere Wege, um Sozialleistungen zu missbrauchen – und die Dimensionen sind erschreckend.
Laut Finanzpolizei beträgt der Schaden für Steuerzahler und Sozialversicherung durch Sozialbetrug von Unternehmen alleine in der Baubranche 350 Millionen Euro pro Jahr. Betriebe, die ihre Beschäftigten beim AMS "zwischenparken", wälzen ihre Personalkosten auf die Arbeitslosenversicherung ab und reißen dort ein Loch von 700 Millionen jährlich.
Da so manche Unternehmen immer kreativere Wege finden, um Gesetze zu umgehen, hat die Arbeiterkammer Wien Ende 2023 eine Stabstelle zur Betrugsbekämpfung eingerichtet, die systematisch gegen Sozialbetrug in Unternehmen vorgeht.
Mit Stichtag 31. August bearbeitete die Stabstelle im Jahr 2025 105 Fälle. In diesem Zeitraum wurden alleine in der AK Wien 50 Anzeigen für 476 Arbeitnehmer wegen Unterentlohnung nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) eingebracht. Bei diesen Anzeigen geht es um offene Ansprüche in der Höhe von mehr als 3 Millionen Euro. Diese Summe ist bereits jetzt doppelt so hoch wie im gesamten Vorjahr.
Die Stabstelle beschäftigt sich seit längerem mit einem Firmengeflecht in der Immobilienbranche, das über Jahre hinweg durch dubiose Geschäftspraktiken aufgefallen ist: Mehr als hundert Beschäftigte wurden um ihren Lohn gebracht, Abgaben an ÖGK, Finanzamt und Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse (BUAK) wurden nicht korrekt bezahlt.
Gegen zentrale Akteure laufen Verfahren wegen betrügerischer Krida, einer davon ist Lukas N.: Er ist aktuell in elf Unternehmen Geschäftsführer, neun davon sind im Firmenbuch als insolvent oder als Scheinunternehmen gekennzeichnet. In 47 weiteren Unternehmen, in denen er in den letzten Jahren Geschäftsführer war, ist seine Funktion inzwischen gelöscht, knapp die Hälfte davon sind ebenfalls insolvent oder Scheinunternehmen.
Die Beschäftigten wurden teils mehrfach zwischen Gesellschaften hin- und her gemeldet, um ihnen kein Geld auszahlen zu müssen. Obwohl der Verdacht auf systematischen Betrug bereits 2023 aktenkundig war, ist es völlig legal, dass dieselben Personen weiterhin als Geschäftsführer fungieren und Arbeitnehmer einstellen.
Ein weiterer Praxisfall handelt von einer Bau GmbH, über die im Juli 2025 Konkurs eröffnet wurde. Für 114 Beschäftigte stellte die AK Wien Insolvenzanträge in Höhe von mehreren hunderttausend Euro. Kurz nach Beendigung der Dienstverhältnisse setzten viele Arbeiter ihre Tätigkeit auf denselben Baustellen fort – nun allerdings für eine neu gegründete GmbH.
Diese firmiert an derselben Adresse, mit denselben Eigentümern und Geschäftsführern wie die andere – auch der Firmenname unterschied sich nur durch den Anfangsbuchstaben. Aus der "Hanni-Bau GmbH" wurde die "Nanni-Bau GmbH" (Anm.: Name wegen laufenden Verfahrens geändert).
"Die Fälle, mit denen Arbeitnehmer zu uns kommen, sind längste keine einfachen Standardprobleme mehr, sondern werden immer komplexer", sagte Ludwig Dvořák, Bereichsleiter für arbeitsrechtliche Beratung und Rechtsschutz in der AK Wien, bei einer Pressekonferenz am Mittwoch.
"Innenminister Karner geht bei Sozialleistungsbetrug von 23 Millionen Euro Schaden im Jahr 2024 aus und ist stolz auf seine Aufklärungsquote von 99,5 Prozent. Hätten wir diese Aufklärungsrate auch bei Sozialleistungsbetrug durch Unternehmen, wäre das Budget saniert", so Dvořák.
AK-Arbeitsrechtsexperten Andrea Ebner-Pfeifer fügte hinzu: "Unterentlohnung ist kein Betriebsunfall, es ist ein Geschäftsmodell – und zwar eines, das auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer funktioniert. Wir wären in der AK-Arbeitsrechtsberatung froh, wenn sich Unternehmen an geltende Gesetze halten würden."