Fernkälte in Wien

Kälte aus dem Donau-Kanal – so bleibt Wiens City cool!

Mitten in der Hitzewelle schließt Wien Energie den Fernkältering. Selbst das Parlament wird nun mit Donaukanalwasser gekühlt.
Christoph Weichsler
01.07.2025, 19:15
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Während Wiens Sommer immer heißer werden, läuft unter der Ringstraße nun eine stille, aber revolutionäre Abkühlung: kaltes Wasser. Unsichtbar für Passanten hat Wien Energie ein neues Kapitel städtischer Infrastruktur geschrieben – den sogenannten Fernkältering, der mit einem 4,7 Kilometer langen Leitungsnetz große Gebäude im Zentrum der Stadt mit umweltfreundlicher Kälte versorgt.

Was spektakulär klingt, ist auch technisch ein Coup. Die beiden wichtigsten Kältezentrale – Schottenring und Stubenring – wurden über Jahre miteinander verbunden. Nun ist der "Kältering" ein Jahr früher als geplant in Betrieb. Gerade rechtzeitig in der derzeitigen Hitzewelle.

Rathaus, Uni, Oper: Wer schon mitkühlt

Im ersten Bezirk ist klassische Klimatechnik oft gar nicht umsetzbar: Platz für Rückkühler fehlt, und viele Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Genau hier punktet Fernkälte. "Mit Fernkälte schafft Wien Energie hier Abhilfe und beugt gleichzeitig der Bildung von Hitzeinseln vor", erklärt Wien-Energie-Geschäftsführer Michael Strebl.

Rund 200 Gebäude werden bereits beliefert – darunter die Universität Wien, das Parlament, das Rathaus, die Staatsoper, das Museum für angewandte Kunst (MAK), zahlreiche Hotels sowie Kulturbetriebe wie das Ronacher. Der große Plan: Bis 2027 will Wien Energie insgesamt 90 Millionen Euro in die Technologie investieren und sich langfristig zur Fernkälte-Hauptstadt Europas mausern.

Was Fernkälte besser macht als Klimaanlagen

Klassische Klimageräte blasen die Wärme aus Wohnungen direkt auf die Straße – eine gefährliche Spirale: Je mehr Menschen Wohnungen klimatisieren, desto heißer wird das Umfeld. Fernkälte funktioniert anders. "Ein großer Vorteil von Fernkälte ist, dass sie keine zusätzlichen Hitzeinseln in der Stadt erzeugt", so Wien-Energie-Sprecher Georg Geißegger.

"Bei Fernkälte wird den Gebäuden die Wärme entzogen und über ein Leitungsnetz in die Kältezentrale transportiert. Dort wird das Wasser abgekühlt. So wird die Umgebung nicht weiter aufgeheizt, und es hängen auch keine Geräte an der Fassade." Diese Technik reduziert CO₂-Emissionen im Vergleich zur Klimaanlage um rund die Hälfte – und ist leise, unauffällig und umweltfreundlich.

Kanalwasser als Kühlkraft – und niemand merkt’s

Ein entscheidendes Puzzleteil ist der Donaukanal: Das Wasser daraus hilft, die Rückkühlung der Fernkälteanlagen besonders effizient zu gestalten. "Für die Rückkühlung nutzen wir unter anderem kaltes Wasser aus dem Donaukanal – etwa über Wärmetauscher", erklärt Projektleiter Michael Nassberger.

Wichtig: Es handelt sich um zwei komplett getrennte Kreisläufe – das Kanalwasser bleibt vom Trink- und Kühlkreislauf der Gebäude völlig isoliert. "Nur etwa 1 Prozent der vorhandenen Durchflussmenge wird verwendet, der Kanal wird also kaum erwärmt." Besonders im Winter sei das Kanalwasser so kühl, dass man teilweise ganz auf Kältemaschinen verzichten kann – ein Energiespar-Turbo.

Aber was ist mit Wohnhäusern?

Für viele Wiener stellt sich jetzt die Frage: Wann kommt Fernkälte auch in meine Wohnung? Die Antwort ist ernüchternd – vorerst nicht. "Wir liefern die Fernkälte bis zum Gebäude – das heißt, das kalte Wasser kommt dort typischerweise im Keller an", sagt Geißegger. "Um die Kälte in dem Haus zu verteilen, braucht es ein passendes Verteilsystem, wie es etwa Hotels, Spitäler oder Bürogebäude typischerweise haben."

Solche Systeme fehlen in klassischen Altbauten oder Wohnhäusern. Ein flächendeckender Ausbau sei daher technisch wie wirtschaftlich schwer machbar. "Fernkälte ist vor allem für große Abnehmer interessant, die einen ganzjährigen Kühlbedarf haben", erklärt Geißegger weiter. Dazu zählen neben Hotels und Spitälern auch Rechenzentren, Großküchen und Museen.

Wachstum mit Ziel: 7,3 Millionen Quadratmeter bis 2030

Trotz der Einschränkungen wächst das Wiener Kältenetz rasant. Aktuell betreibt Wien Energie rund 30 Kilometer Fernkälteleitungen und bringt es auf eine Kühlleistung von 220 Megawatt. Das entspricht der Versorgung von 200 Gebäuden.

Bis 2030 soll die Leistung auf 370 Megawatt steigen – genug, um eine Fläche von 7,3 Millionen Quadratmetern zu kühlen. Das ist mehr als der gesamte Wiener Prater. Ein Schlüsselprojekt dafür war die Fernkältezentrale in der Alten Post am Stubenring. Sie wurde 2022 in Betrieb genommen, liegt zwei Stockwerke unter der Erde und bringt 15 Megawatt Leistung. Genau hier schloss sich 2024 der Kühlkreis – der Ring wurde "kaltgestellt".

Wien bleibt cool – nur nicht überall

Auch wenn Privatwohnungen noch außen vor bleiben – das Projekt zeigt, was in einer Großstadt möglich ist. "Eine Fernkälteversorgung für jedes Haus ist aus heutiger Sicht nicht realistisch", sagt Geißegger offen. "Wir konzentrieren uns auf Gebiete mit hohem Kühlbedarf und Gebäude mit geeigneter Infrastruktur – also zum Beispiel die dicht bebauten Innenbezirke oder Neubauprojekte."

Die Vision ist klar: Wien soll Vorbild sein für urbane Klimaanpassung – leise, grün und effizient. Mit jeder neuen Leitung rückt die Stadt dieser Zukunft ein Stück näher. Und vielleicht ist es schon bald normal, dass uns ein Kanal im Hochsommer den Kopf kühlt.

{title && {title} } CW, {title && {title} } Akt. 01.07.2025, 19:40, 01.07.2025, 19:15
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