Es war ein Höllenritt, den wohl keiner der 173 Menschen an Bord des Austrian Airlines Flugs OS434 von Mallorca nach Wien noch einmal durchmachen will. Wenige Minuten vor ihrem Ziel geriet die Maschine in 6.100 Meter Höhe über Hartberg direkt in ein heftiges Hagelgewitter.
Die Cockpitscheiben sowie die Nase des Airbus A320 mit der Kennung OE-LBM "Arlberg" wurden von den Eisgeschossen völlig zertrümmert. Die Piloten waren daraufhin ohne Sicht, mussten "Mayday" funken und mit Instrumenten weitersteuern. Trotz der immensen Schäden konnten sie den Flieger sicher landen.
AUA-Sprecherin Anita Kiefer schilderte später, dass der Hagel überraschend über die Maschine hereingebrochen sei: "Das Flugzeug geriet im Anflug auf Wien in eine Gewitterzelle, die für die Cockpit-Crew laut deren Aussage auf dem Wetterradar nicht ersichtlich war." Eine Untersuchung dazu wurde eingeleitet.
Der international bekannte Meteorologe Jörg Kachelmann hat sich sein Urteil jedenfalls schon gebildet. Auf X schoss er scharf gegen die AUA und in weiterer Folge wegen deren Berichterstattung zu dem Fall auch gegen den ORF und "AustrianWings" und bezichtigte diese sogar der Lüge.
Das Unwetter habe sich "mitnichten 'überraschend' gebildet", tippte er in das Kommentarfeld. In einem weiteren Beitrag stellte er fest: "Man hätte warten können oder westlich vorbei. Man wollte aber mitten durch ein Extrem-Gewitter."
Die schweren Vorwürfe, die der Schweizer Meteorologe erhebt, werden von seinem Chef-Experten Janek Zimmer gegenüber dem "Spiegel" noch einmal untermauert. "Diese Gewitterzelle war [...] schon rund eine Stunde vorher in der Steiermark aktiv und behielt ihre Zugrichtung gen Osten relativ stabil bei". Der österreichische Wetterdienst habe da bereits die höchste Radarechostärke gemessen, was bei derartigen Wolken häufig Hagel mit Körnung jenseits der 3 Zentimeter Durchmesser bedeuten würde.
Und auch die Flugsicherer der Austro Control hatten bereits gewarnt: "Für den Zeitraum des angefragten Fluges waren [...] entsprechende Wetterprognosen und anlassbezogene Wetterwarnungen für den En-Route-Verkehr publiziert, die auf Gewittergefahren mit Hagel in der Region hingewiesen haben."
Selbst ohne Radarbild hätten die Piloten mit einem Blick aus den da noch ganzen Scheiben die Gefahr erkennen müssen, legte Zimmer noch nach. Zusammengenommen "sollten alle Anzeichen auf Gewitter gedeutet haben".
"AustrianWings" reagierte auf Kachelmanns Kritik mit einem heftigen Konter: "Jörg Kachelmann mag ein guter Meteorologe sein [...], von der Fliegerei an sich scheint er dagegen nicht die geringste Ahnung zu haben." Es habe in der Vergangenheit immer wieder Vorfälle gegeben, wo den Piloten auf dem Wetterradar ein vermeintlich sicherer Weg angezeigt wurde, der das dann aber nicht war.
"Wenn Herr Kachelmann also ein oder zwei Tage nach dem Zwischenfall, wo die Untersuchungen der technischen und flugbetrieblichen Experten noch in vollem Gange sind, ohne jeden Beweis einfach mutmaßt, [...], dann ist das nicht nur in höchstem Maße respektlos gegenüber professionellen Piloten, sondern reine Spekulation", donnert Luftfahrtjournalist und Buchautor Patrick Huber in seiner Replik.
Video zeigt: Das war die Route des AUA-Ferienfliegers
Es sei ganz generell überhaupt nicht die Aufgabe der Flugsicherung, Piloten um ein Gewitter herumzulotsen oder diese kurzfristig zu warnen, wenn sie auf eine Gewitterzelle zusteuern. Der Letztentscheid liegt laut Austro Control nämlich bei den Piloten an Bord. Diese müssten bei der Flugsicherung eine Streckenänderung erbitten, nicht umgekehrt die Austro Control eine vorschlagen.
Eine Vorverurteilung wie sie Kachelmann vornehme, sei unseriös, da noch gar nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen würden. Huber: "Es ist nicht ausgeschlossen, dass er am Ende doch Recht hat, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eben noch alles offen. Dass Flugunfalluntersuchungen einige Zeit dauern hat seinen guten Grund."
Ob im Fall von OS434 die Gefahr wirklich nicht ersichtlich war, oder die Piloten tatsächlich eine Fehlentscheidung getroffen haben, müsse die unabhängige behördliche Untersuchung klären "und kein Meteorologe ohne Qualifikation als A320-Verkehrsflugzeugführer".
Der 23 Jahre alte Hagel-Flieger wird nun komplett durchgecheckt. Diese Arbeiten dauern noch an. Unklar bleibt dem Luftfahrt-Magazin zufolge aber, ob sich eine Reparatur überhaupt lohnt. Womöglich war dies der letzte Flug der "Arlberg".