"Wir Frauen sind keine Opfer"

ORF-Expertin: "Verstehe es nicht, mir kommen Tränen"

Alexandra Meissnitzer ist Doppel-Weltmeisterin und ORF-Skiexpertin. Im "Heute"-Interview spricht sie über schlaflose Nächte, Dubai und Opfer.
Martin Huber
06.02.2025, 06:59

"Heute": Frau Meissnitzer, Sie sind Doppel-Weltmeisterin. Heute wird es in Saalbach richtig ernst. Fühlt sich ein WM-Rennen eigentlich anders an?

Alexandra Meissnitzer: "Ja. Im Starthaus ist es nicht anders, aber in der Nacht davor. Jeder wird ja vorher abgeschottet, aber als Athlet checkst du das: Es geht um mehr. Der Druck von innen ist oft viel größer als der von außen."

„Skifahrer sind keine Heilige, in Dubai dreht sich keiner um nach uns“
Alexandra MeissnitzerÖSV-Ikone

Auch bei einer Heim-WM wie jetzt in Saalbach.

"Da zu performen, das ist die Königsklasse. Ich habe bei der Heim-WM vor meinen Liebsten keine Medaille gemacht, dafür in Amerika. Druck darf man den Profis aber schon zumuten. Skifahrer sind keine Heilige in Österreich. Skifahren ist auch keine Weltsportart. Wenn wir nach Dubai fliegen, dreht sich keiner um. Das geht bereits in Deutschland los."

"Gira" zeigt Kante

Wer ist Ihr rot-weiß-roter Gold-Tipp?

"Manuel Feller hat trotz der vielen Ausfälle nie zurückgeschaltet. Das muss man können. Platz zwei in Schladming hat für Ruhe gesorgt, er wird gelöster fahren. Und Saalbach ist eine Art Heimat für ihn. Julia Scheib traue ich im Riesenslalom viel zu. Die Frage bei ihr ist, ob sie zwei Läufe hinkriegt. Und dann ist Conny Hütter. Ihr liegt die Strecke in Saalbach, sie siegte hier beim Weltcupfinale. Der untere Teil ist jetzt ein bissl anders. Zuletzt war sie krank, in Garmisch nicht auf der Höhe. Das könnte aber helfen, dass sie bei der WM lockerer ist."

„Conny Hütter ist eine starke Frau“
Alexandra MeissnitzerDoppel-Weltmeisterin

Hütter wurde nach schweren Verletzungen zur Siegläuferin.

"Das ist eine Kunst. Connys Geschichte ist interessant: Sie war von Anfang an unglaublich schnell und hat sich dann immer wieder schwer verletzt. Sie hat es aber im Kopf geschafft, dann wieder zu riskieren. Auch bei schlechter Sicht in eisigen Kurven, das musst du dich trauen. Conny hat sich als Person in den letzten Jahren extrem entwickelt. Sie ist eine starke Frau. Als Teamleaderin im ÖSV ist sie derzeit unverzichtbar."

Ihre Teamkollegin Nina Ortlieb fehlt in Saalbach mit einem Unterschenkelbruch. Nach ihrem Sturz in Garmisch wurde die 28-Jährige zum 23. Mal operiert.

"Ich verstehe es nicht, da kommen die Tränen. Bei manchen passiert immer und immer was. Die Nina ist permanent im Schmerz, das macht etwas mit der Persönlichkeit. Und sie gibt nicht auf."

„Ich kenne niemanden mit Verletzungen wie Nina Ortlieb“
Alexandra MeissnitzerORF-Expertin

Was für viele der logische Schritt wäre?

"Bei Tiefschlägen entwickeln wir uns. Das habe ich selbst auch bei mir erlebt. Ich hoffe, es wird gut bei Nina: mit oder ohne Skifahren. Jetzt muss man sie unterstützen. Sie braucht Rückhalt, damit sie das Vertrauen nicht verliert. Ich kenne niemanden mit ähnlichen Verletzungen. Das sind keine glatten Knöchelbrüche, die in ein paar Wochen heilen. Das sind schwere Verletzungen."

Verstehen Sie Eltern, die Zweifel haben, ob Skiprofi nicht zu gefährlich ist?

"Ich habe mit fünf Jahren gesagt, ich werde Weltmeisterin. Meine Eltern hatten keine Wahl, sie mussten mit. Ich hatte keinen Druck von daheim, das war eher umgekehrt. Mein Papa hat gesehen, dass ich lieber Abfahrt fahre als Slalom. Bei uns stellte sich nie die Frage von Verletzungen. Man diskutiert über dieses Thema einfach nicht, es entsteht eine Karriere. Ich bewegte mich in einer Blase. Ich war als Person früh weltoffen, aber mein Job als Skifahrerin fand in einer kleineren Welt statt. Heute denke ich, hätte ich das und das gemacht, wäre noch mehr gegangen. Eines ist für mich aber klar: Wenn jemand Talent mitkriegt, dann soll er das leben. Du musst einmal etwas finden und haben, wo du dich von anderen abheben kannst."

„Warum müssen die Herren immer am Limit sein?“
Alexandra MeissnitzerORF-Expertin

Bei den Herren ermöglichen Carbonschienen noch extremere Linien in den Speed-Disziplinen. Fahren Frauen auch damit?

"Ich höre mich schon länger um. Aber die Läuferinnen wollen nicht offenlegen, was sie schnell macht. Carbon muss zum Fahrstil passen. Ich hätte sie genommen, wenn sie mich schneller gemacht hätten."

Die Top Wintersport-News auf einen Blick

Cyprien Sarrazin carvte damit letztes Jahr in Kitzbühel im Steilhang auf Zug. Jetzt stürzte er schwer, fehlt so wie Aleksander Aamodt Kilde.

"Bei den Damen haben wir mit Peter Gerdol von der FIS jemanden, der bei der Kurssetzung schaut, dass das Tempo rausgenommen wird. Bei den Herren geht es sich oft einfach nicht mehr aus. In Wengen fuhren sie 2:30 Minuten. Früher hast du mit dem Material weniger Kraft gebraucht, jetzt gehen die Stärksten in die Knie: heuer Kriechmayr, letztes Jahr Kilde. Ich frage mich schon, ob es nicht besser wäre, um 15 Sekunden zu verkürzen. Warum müssen die Herren immer am Limit sein? Auch bei den eisigsten Pisten. Die Trainer fordern das aber auch ein. Die Probleme sind teilweise hausgemacht."

„Hirscher wurde gehypt, Vonn belächelt und kritisiert“
Alexandra MeissnitzerGewinnerin von 14 Weltcuprennen

Waren Sie überrascht von den negativen Reaktionen beim Vonn-Comeback?

"Marcel Hirscher wurde gehypt bei der Rückkehr, Lindsey wurde zunächst belächelt, dann gab es Kritik. Das hat mich gewundert. Manche sagen zu mir, ich bin zu euphorisch beim Kommentieren, wenn sie fährt. Was viele nicht bedenken: Lindsey hat 82 Rennen gewonnen, sie hat für den Frauensport so viel gemacht. Sie bringt Glamour. Sie ist bekannter als Shiffrin. Für den Skisport ist sie ein Segen."

Warum dann die negativen Reaktionen? Weil sie eine Frau ist?

"Es ist ihre höchstpersönliche Entscheidung. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass sie eine Frau ist. Aber wir sind keine Opfer. Wir machen das schon und halten dagegen."

{title && {title} } mh, {title && {title} } Akt. 06.02.2025, 08:23, 06.02.2025, 06:59
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