Mehr als zehn Monate nach dem schrecklichen Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg, bei dem sechs Menschen ums Leben kamen und viele weitere verletzt wurden, startet am Montag in der Hauptstadt von Sachsen-Anhalt der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter.
Es werden hunderte Nebenkläger, Anwälte, Zuschauer und Journalisten erwartet. Das Landesgericht Magdeburg hat vorerst 46 Verhandlungstage bis März nächsten Jahres angesetzt.
Kurz vor Weihnachten, am 20. Dezember des Vorjahres, raste der 50-jährige Taleb A. mit einem 340 PS starken Mietauto und bis zu 48 Stundenkilometer über den gut besuchten Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Während der rund einminütigen Fahrt erfasste er zahlreiche Menschen. Ein neunjähriger Bub und fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren verloren ihr Leben. Mehr als 300 weitere Besucherinnen und Besucher wurden verletzt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg wirft ihm unter anderem sechsfachen Mord und versuchten Mord in 338 Fällen vor. Laut Ermittlungen wurden 309 Menschen verletzt, 29 Personen blieben körperlich unversehrt - auch bei ihnen geht die Anklage von versuchtem Mord aus.
Die Anklage spricht von einem heimtückischen Anschlag aus niedrigen Beweggründen, den A. mit einem Fahrzeug als gemeingefährliches Mittel verübt haben soll. Während der Amokfahrt stand er laut Ermittlern nicht unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol. Die Ermittlungen ergaben, dass er die Tat über Wochen hinweg genau geplant und vorbereitet hat. Er soll alleine gehandelt haben.
A. ist Arzt und stammt aus Saudi-Arabien, geboren am 5. November 1974. Seit 2006 lebt er in Deutschland, wo er seine Facharztausbildung gemacht hat. Zuletzt wohnte er in Bernburg in Sachsen-Anhalt und war dort seit März 2020 als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie für das Unternehmen Salus im Maßregelvollzug Bernburg tätig. In einem internen Bericht heißt es, es gebe "fachärztliche Defizite und Unzuverlässigkeiten eines verschlossenen Einzelgängers".
A. selbst sieht sich als Islamkritiker, hat sich aber in der Vergangenheit auch abwertend über deutsche Behörden und den Staat geäußert und Sympathien für die AfD gezeigt. In sozialen Medien fiel er mit radikalen, verschwörungstheoretischen und teils wirren Aussagen auf.
Nach der Tat wurde bekannt, dass A. mehreren Sicherheitsbehörden und anderen Dienststellen bereits bekannt war. Es gab Hinweise auf mögliche Gefahren, die von ihm ausgehen könnten, aber die Behörden konnten ihn keiner der üblichen Kategorien wie Islamist, Rechts- oder Linksextremist zuordnen.
A. hat selbst Strafanzeigen erstattet, gegen ihn wurden ebenfalls Verfahren geführt. In Mecklenburg-Vorpommern gab es wiederholt Probleme mit den Behörden. Er wurde unter anderem vom Amtsgericht Rostock wegen der Androhung von Straftaten zu einer Geldstrafe verurteilt. Auch in anderen Fällen soll er gedroht haben. In Sachsen-Anhalt gab es laut Polizei zwei Gefährderansprachen im September 2023 und Oktober 2024. Im Dezember gab es weitere ähnliche Versuche.
Die Generalstaatsanwaltschaft sieht "Unzufriedenheit und Frustration" als Motiv. Der Beschuldigte habe das Verbrechen offenbar als Reaktion "auf den Verlauf und den Ausgang einer zivilrechtlichen Streitigkeit sowie die Erfolglosigkeit diverser Strafanzeigen" begangen. Sein Ziel war es laut Anklage, möglichst viele Menschen zu töten.
Der Täter konnte offenbar ohne Hindernisse mit seinem Auto auf das Gelände fahren. Die in Deutschland sonst üblichen Poller zum Schutz vor Amokfahrten fehlten am von ihm gewählten Zugang. Die Stadt Magdeburg erklärte nach dem Anschlag, dass der Weg als Rettungsgasse für Einsatzfahrzeuge gedacht war. Ein Untersuchungsausschuss im Landtag beschäftigt sich derzeit mit möglichen Mängeln am Sicherheitskonzept.
Verhandelt wird am Landesgericht Magdeburg. Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, weil er - anders als das Landesgericht - den Fall nicht als Staatsschutzverfahren einstuft. Sonst wäre das Oberlandesgericht Naumburg zuständig gewesen.
Wegen der großen Zahl an Beteiligten - darunter bisher mehr als 140 Nebenkläger und über 40 Anwälte - wurde für den Prozess extra eine Leichtbauhalle angemietet. In Sachsen-Anhalt gibt es kein Gerichtsgebäude, das groß genug wäre. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Anklage unter anderem 410 Zeugen, fünf Sachverständige sowie zahlreiche Fotos und Videos angeführt.